Seite:Die Gartenlaube (1884) 319.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Ortschaften durchsäete lachende Ebene in so jubelnder Farbenpracht, daß wir fast die schwarzen Verderbensströme übersehen, die auch sie durchziehen. Und darüber die gerade, scharfe Linie des Meeres.

Als ich zurückkehrte, fand ich den Führer und den Maulthiertreiber mit ihren beiden Thieren schon vor dem Wirthshaus. Eine gute Anzahl von Kindern, Weibern und Männern stand herum und sah sich die Abreise an – obgleich eine Aetna-Besteigung durchaus keine Seltenheit ist, so giebt’s doch für die Guten so wenig „Neues“, daß sich’s immerhin lohnen mag, ihr zuzusehen. Zudem klebt dem Fremden, der an so etwas Vergnügen findet, für die Nicolosianer etwas Geheimnißvolles an, etwa so, wie bei uns dem wegtransportirten Verrückten für die Straßenjugend. Es war gegen zwei Uhr Nachmittags, als wir die primitiven Sättel bestiegen hatten und unter den Glückwünschen halb Nicolosis aufbrachen.

So ging’s denn vorwärts.

Jenseits Nicolosi liegt auf dem Aetnagebiet keine Ortschaft mehr: man merkt’s, sobald man das Nest verlassen hat, am Wege, der von nun an der Fürsorge Gottes und des Aetna überlassen bleibt, wenn auch einmal eine heroische Anwandlung vorhanden gewesen ist, ihn noch ein Stück weiter zu bauen. Die Asche liegt einen oder ein paar Fuß hoch darauf, und wer bei dem Worte „Ritt“ an munteres Traben gedacht hat, wird bald eines Besseren belehrt: die Maulthiere waten oft knietief in schwarzem Staub und, während sie zum Erbarmen schnaufen, geht’s doch nur schleichend vorwärts. Doch läßt man sich’s gefallen, weil die umgebende Natur alle Gedanken fesselt.

Zunächst geht’s noch zwischen Weinpflanzungen fort, sie ähneln mit ihren Maulwurfshügeln von Asche, aus deren jedem ein niedriger Stock herausguckt, unseren Kartoffelfeldern – Feigenbäume stehen spärlich dazwischen. Auch Roggen- und Weizenfelder sehen wir zur Seite. Noch ein halbes Stündchen, und wir kommen, immer schärfer bergan reitend, in dem an, was sich mit ererbtem Namen „bewaldete Region des Aetna“ nennt.

Vor dem Wirthshaus in Nicolosi. Von Ch. Speier.

Jetzt ist – zum mindesten an dieser Seite des Berges – von Wald wenig zu finden. Von den uralten Eichen- und Kastanienriesen, die hier einst ihre mächtigen Wurzeln zu unentwirrbarem Netze verschlangen und im sechszehnten Jahrhundert den Cardinal Bembo zu hohem Preisen begeisterten, sieht uns nur selten und vereinsamt eine abenteuerliche Greisengestalt entgegen. Die Ausbeuterei gut sicilianischer Principi hat ihre Genossen gefällt: ihr Holz wird ja so gut bezahlt, und auf dem Boden, welchen sie urbar gemacht haben, kann man es zudem mit Roggenanbau versuchen. In neuerer Zeit baut man auch wieder Kastanien an.

In einer von den Anpflanzungen der letzteren liegt, etwa 4000 Fuß hoch, die Casa del Bosco. Sie sah uns freundlich an, wollten wir doch in ihr auf ein paar Stunden Halt machen. Den Feldhüter, der die Hütte bewohnt, hatten wir schon durch einen Schuß aufmerksam gemacht; er trat uns grüßend entgegen und lud ein zum Eintritt. Wir tranken von seinem Cisternenwasser und nahmen einen Imbiß, dann stiegen wir auf einen nahen Hügel, dem Untergang der Sonne zusehend.

In mildem Roth lag unter uns das Land. Dort unten, auf der heißen Ebene, über die mein Blick jetzt träumend hinwegschweifte, war’s glühender Sommer, hier oben war’s Frühling. Die leise wogenden niedrigen Kornfelder um mich her, das erste frische Grün der Kastanien, die unseren Buchen glichen, endlich ein Finke, welcher lustig seinen Triller schlug – mir war es, als träfe mich in all dem Fremden ein traulicher Heimathsgruß. Der Führer mußte mich lange mahnen, eh’ ich wieder zur Hütte zurückstieg.

Schon aber begann die gefürchtete Aetnakälte in ihren ersten Schauern zu spuken. Sie ist’s, die die Gefahr beim Besuch des Vulcans ausmacht, weit mehr, als die Schwierigkeit der eigentlichen Besteigung, von der ja Einer, der im Alpensteigen bewandert ist, überhaupt nichts bemerkt. Der enorme Temperaturunterschied aber zwischen dem halbtropischen Catania und dem eisigen Aetnagipfel hat schon Manchem böse mitgespielt, beträgt er doch schon im Durchschnitt dreiundzwanzig Grad. Meine Leute zündeten ein tüchtiges Reisigfeuer an und machten mir eine Lagerstatt zurecht. Von Schlafen war aber nicht die Rede, ich freute mich von meiner Ecke aus an dem malerischen Bilde, das sich mir bot. Die drei rauhen Gesellen, in ihre Felle gehüllt, um’s flackernde Feuer lagernd, wie sie so halb laut vor sich hin schwermüthige sicilianische Weisen summten, der Rauch, der an der Decke der erbärmlichen Bude entlang schlich und in die Ritzen und Spalten der schwarzgeräucherten rohen Balken und Bretter hineinkroch, vertrieben mir die Zeit im Fluge.

Um zehn Uhr brachen wir wieder auf. Ich stülpte mir eine mächtige Pelzmütze über den Kopf und schlug den schweren calabrischen Radmantel um die Schulter, um so, nordpolmäßig ausgerüstet, dem Froste besser trotzen zu können. In langsamem, schweigendem Ritt zogen wir dahin – in einem Ritt, den ich nie vergessen werde. Ueber Stein und Laven, oft knapp zwischen Schlackenblöcken hindurch, ging’s hinein in die Nacht, mühsam, die schnaubenden Nüstern am Boden, suchten die Maulthiere ihren Weg, oft steil hinanklimmend, dann wieder ein Stückchen jäh abwärts, ohne Rast der schwankenden Laterne nach. Da stieß der voranschreitende Treiber mit der Laterne an – sie zerbrach und erlosch. Aber Schritt für Schritt tastend und schnobernd, fanden die Thiere doch immer den Stein zum Tritt. Ueber uns der Sternenhimmel in einer Pracht, die Keiner zu denken vermag, die wir nur sehen können.

Die Kälte ward schneidender. Nach ein paar Stunden erreichten wir den Schnee. Wir stiegen ab. Der Maulthiertreiber zündete ein Feuer an, um hier mit den Thieren bis zu unserer Rückkehr zu warten. Zu Fuß ging’s weiter – Gott sei Dank, denn die Bewegung konnten wir brauchen, war’s doch so kalt,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_319.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2024)