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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Meilen und ein paar Dörfer vor der Nase zuzudecken. Du solltest einmal sehen, was für Respect sie dann vor mir bekommen: ein paar hundert Quadratmeilen rings umher merken sie’s, wenn ich mir Motion mache – sie nennen’s Erdbeben und fallen vor Schreck durch einander, und dem kleinen Ding da drüben bei Neapel, dem Vesuv, fährt’s mitunter so in die Glieder, daß er sein bischen Feuerwerkerei hübsch bleiben läßt, bis ich wieder still bin. – Weißt Du was, komm doch einmal zu mir herauf, daß ich Dir’s besser zeigen kann!“

Ich wollte mich nicht fangen lassen, stand auf und lief in den Straßen von Catania herum, um auf andere Gedanken zu kommen.

Doch überall wurde ich an den Aetna gemahnt. Schon daß ich das Lavapflaster unter den Füßen und die Lavahäuser zu den Seiten nicht los wurde, war fatal genug. Nun ging ich in’s Museum, mich zu zerstreuen: es liegt im Benedictinerkloster – rings starrte mir der gewaltige Lavastrom von 1669 entgegen. Ich ging an den Hafen, den Schiffern zuzusehen – schwarz und trotzig ragte drüben das Vorgebirge aus dem Meer, das, eine halbe Miglie groß, die Lava jenes Schreckensjahres wie ein riesiges Denkmal desselben errichtete, als sie sich endlich in’s Meer ergoß. Ich wandte mich der andern Stadtseite zu – aus schwarzer Lava sah ich Häusertrümmer ragen, die hier vor zweihundert Jahren die Todesumarmung umschloß. Dort, über die alte Stadtmauer hingen, wie ein versteinerter Wasserfall, noch heute die schwarzen Massen herab – sie riefen das Bild vor’s Auge, das der Feuerstrom hier den entsetzten Bewohnern bot, als er vor der festen Mauer höher und höher hinaufquoll, dann aufbäumte und endlich in die Straßen niederfloß, als wollte er sie in Flammen vernichten, wie Sodom und Gomorrha. Wohin ich ging, die Spuren des Aetna!

Und jetzt, da ich auf die lange Straße trat, die ihm entgegenführt, sah er mich wieder unschuldig an. Und wieder war mir’s, als plaudere er mir zu – aber es lag etwas Dämonisches darin. – –

Am nächsten Morgen brach ich von Neuem nach Nicolosi auf.

Es giebt wenig Fleckchen, die Alles, was wir Nordländer „italienisch“ nennen, in so reichem Maße zeigen, wie die Ebene von Catania. Durch Korn-, Wein- und Mandelpflanzungen, zwischen Oliven-, Citronen- und Orangenhainen zog ich lustig dahin. Gerade vor mir, von beiden Seiten fast gleichmäßig in ruhiger Linie zum Kegel ansteigend, lag der Vulcan. Lavamauern begannen die südliche Farbenfülle der Vegetation mit ihren violetschwarzen Streifen zu durchziehen, bald ward das reine Rothgelb vom ersten Anhauch vulcanischer Asche getrübt. Gravina, der Ort, den ich jetzt durchwanderte, hat schon fast alle seine kleinen Häuser aus Lava errichtet; Mascaluccia, ein halbes Stündchen weiter, umrahmt die schwarze Lava seiner Kirche mit weißem Kalk, daß sie freundlicher dreinschaue.

Ich zog weiter: die berühmte Ueppigkeit der Pflanzenwelt begann sich zu mildern. Ein gewaltiger Lavastrom blieb mir, mit Cactus übergrünt, zur Seite. Der sicilianische Ginster, Büsche, ja Bäume bildend, trat immer mehr hervor – dort, jenen Hügel versteckte er fast in das Gelb seiner Blüthen. Der Hügel fiel mir auf, er war rund und oben eingesenkt – der erste Krater war erreicht.

Wie ich weiter wanderte, begann mir die Asche bald lästig zu werden, die dick auf dem Wege lagerte. Das ärmliche Torre di Griso, das ich nun durchzog, zeigte schon den echten Charakter der Aetnadörfer: kleine Hütten aus Lava, ohne Obergeschoß, oft ohne Fenster, Lavapflaster, Lavamauern – Alles schwarz in schwarz, bis auf ein wenig weißen Kalkverputzes, der hier und dort das öde Schwarz erheitern soll und es doch nur düsterer erscheinen läßt. Die Oliven- und Citronenanpflanzungen wurden immer spärlicher und schwanden endlich, nur noch Wein, Getreide und Feige schien angebaut. Sonst sah ich fast allein Cactus und Ginster um mich, ihr Grün aber übertönte das Grau und Schwarz nicht mehr – je mehr ich mich Nicolosi näherte, um so mächtiger herrschte das letztere vor.

Ich wurde unwillkürlich ernster – wie das Leben um mich her dem Tod, so wich die Melodie eines Liedes, die ich vor mich hinsummte, dem Schweigen. Endlich zog ich in Nicolosi ein.

Don Giuseppe begrüßte mich voller Staunen – meine Ausdauer und Wiederkehr verblüfften ihn dermaßen, daß er mich mindestens für einen Engländer hielt. Die Unterhandlungen wegen der Besteigung waren schnell beim Abschluß; hat doch der italienische Alpenclub die Organisation des Führerwesens auch für den Aetna gut geregelt. Don Giuseppe’s Mittagsmahl that ich indeß auch diesmal Unehre – heut, weil ich zu aufgeregt zum Stillsitzen war und es vorzog, noch einmal gegen die Monti rossi hin zu schlendern, von denen aus ich vor ein paar Tagen den ersten Ueberblick über die Aetnagegend genossen hatte.

Als „Monti rossi“ – rothe Berge – kennt das Volk einen Seitenkrater des Aetna, der sich 1669 öffnete und jenen gewaltigsten Verderbensstrom ergoß, dessen riesige Massen ich drunten in Catania bestaunt hatte. Ich ließ in Gedanken noch einmal die Einzelheiten jenes Ereignisses an mir vorüberziehen, dessen Schilderung mich schon oft ergriffen. Es war am 8. März 1669, als sich die Sonne drohend verdunkelte – Vorzeichen kommenden Unheils waren schon lange vorhergegangen. Am 10. März wurden Sturm und Erdstöße so heftig, daß sich die Einwohner von Nicolosi nicht mehr aufrecht halten konnten, gegen Mittag stürzten die ersten Häuser ein, am Abend war der Ort ein Trümmerhaufen. Da, in der folgenden Nacht, um ein Uhr, barst der Boden. Drei Stunden den Berg hinan gähnte, sechs Fuß breit, eine Spalte, die in unheimlichem Lichte glühte. Im Laufe des nächsten Tages öffneten sich noch sechs Krater in ihrer Nähe. Sand- und Rauchsäulen drangen aus ihnen hervor, zwanzig Stunden weit hörte man das Donnern und Dröhnen, dreißig Stunden weit stob Sand und Asche. Neue Spalten brachen auf. Am Ende jener furchtbarsten aber bildeten sich am 23. März die Monti rossi, und wie eine feurige Sündfluth brach aus ihrem Schooße die Lava. Noch in der Nacht wälzte sich ihre Gluth gegen den älteren bewaldeten Krater Mompilieri, die Bäume desselben loderten in Flammen auf, die Lava staute sich, umfloß ihn und plattete sich dann zu einem über eine halbe deutsche Meile breiten Strom aus. Erdbeben und Donner über und unter der Erde begleiteten sie auf ihrem Weiterweg. Nun theilte sie sich, ein Arm erreichte Belpasso, eine Stadt von 8000 Einwohnern, die er im Feuer vernichtete. Der andere Strom wühlte sich durch unterirdische Höhlen fort: als die Lava wieder an’s Licht trat, sank der Hügel, dessen Grund sie geschmolzen, in sich zusammen. Dann kroch sie wie ein feuriger Riesendrache, noch immer mehr als eine Viertelmeile breit, gegen Catania vor, Dörfer und Städte verschlingend und verwüstend, Weinberge auf dem Rücken tragend – „wie ein Schmelzofen“ dampfte ringsum das Land. Dem inneren Gluthenstrom einen Seitenweg zu bahnen und ihn so von ihrer Stadt abzulenken, durchbrachen jetzt besorgte Catanesen seine verhärtete Kruste. Durch den Abfluß weiter oben gemäßigt, wälzte er sich nun langsamer dahin. Im Mai erreichte er dennoch die Mauern, brach verheerungbringend ein, vernichtete einen Stadttheil und stürzte in das Meer.

Der Kampf der beiden Elemente begann: das Wasser – seine Farbe verändert, seine Fische todt – bäumte sich wuthschäumend auf und übertönte mit seinem Prasseln den Donner. Am Himmel auf Wochen keine Sonne, auf Monate kein Blau. In den vierzig Tagen seiner Wanderung soll der Strom die Wohnstätten von 27,000 Menschen verwüstet haben – man sagt, daß von den 20,000 Bewohnern Catanias nur 3000 die Schreckenszeit überlebten. Die Menge der Lava jenes Jahres aber wird auf 760 Millionen Cubikmeter, das begrabene Land auf 3800 Hektare geschätzt. Noch nach acht Jahren rauchte beim Regen die Lava.

Jetzt sind die Monti rossi, die all das Unheil geboren, ein friedlicher Berg, dem die rothe Farbe ihres vulcanischen Gesteins verbunden mit der Doppelspitze, welche der Kraterrand zeigt, seinen Namen gab. Ginsterbäume und Wolfsmilchsträucher siedeln sich auf ihm an, zu seinen Füßen gedeiht der Wein. Rings umher Schaaren von erloschenen Kratern, bald kreisrund, bald hufeisenförmig, bald hoch, bald niedrig, bald noch kahl, bald schon bewachsen, zwischen ihnen und schwarzbraunen Aschefeldern mit mühsamen Anpflanzungen hindurch die gierigen Polypenarme der Lavaströme, die die Krater umschlingen oder sich an ihnen hinaufklammern.

Hoch über Allem ragt aus schneeigem Gürtel der Gipfelkrater des Aetna hervor, welch letzterer[WS 1] uns hier – wir sind bereits 2700 Fuß hoch – den ganzen Weg zu ihm hinauf schon überschauen läßt. Auf der anderen Seite in wundersamem Gegensatz die mit

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_318.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2024)