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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

wir uns hüten, zu viele Lasten auf die Schultern unserer Kinder, besonders unserer Mädchen, packen zu wollen! Bei weiser Einschränkung kann man in unsern Mädchenschulen dasselbe, ja man kann ein höheres Maß allgemeiner Bildung erreichen, als jetzt im Durchschnitt erreicht wird.

Bei fremden Sprachen beschränke man die ermüdende Grammatik auf das geringste Maß, für das Französische genügt das Elementarbuch von Plötz vollkommen; lesen muß man, immer lesen und das Gelesene verarbeiten, dadurch gelangen Mädchen weit eher zur Fertigkeit, als durch das Uebermaß von Grammatik, in der sie doch niemals sicher werden, trotz aller Quälerei. – Im Rechnen scheide man die schwierigen Arten ganz aus und übe besonders das Kopfrechnen im Kreise bürgerlicher Verhältnisse. In der Geschichte halte man sich nicht für verpflichtet, jeden Regenten, jede Schlacht zu registriren, wenn auf diese Weise auch ganze Jahrhunderte übersprungen werden; besonderes Gewicht aber lege man auf eingehende Culturbilder. In der Geographie behandle man das eigene Vaterland genau und gebe alles Uebrige nur in einer Uebersicht, man wird dann Zeit für Schilderungen der Sitten und des Lebens der Völker gewinnen. Von den Naturwissenschaften halte man den erstarrenden Schematismus gänzlich fern und begünstige z. B. statt der botanischen Systeme lieber die Pflanzenphysiologie. Gesang, Zeichnen, Turnen und Handarbeiten dürfen natürlich nicht fehlen. – Endlich aber führe man in den Dienst der höheren Mädchenschule auch die edle Schwester der Religion, die Kunst, und zwar in der Weise, daß man die bedeutendsten Kunstwerke in Nachbildungen, sei es Abguß, sei es Lichtdruck oder dergleichen, den Schülerinnen vor Augen stellt und in ihnen eingehendes Verständniß zu wecken sucht. Der Kunstgeschichte bedarf es nur in geringem Maße.

Es sollte auch in keiner höheren Mädchenschule die gewählte Form in Allem, was geboten wird, fehlen. Nicht allein Sitte, sondern feine Sitte ist für Töchter gebildeter Stände berechtigte Forderung.

Bei gutem Willen würde es sich einrichten lassen, daß einige Fächer der Oberstufe in einer Form gegeben würden, daß auch die Mütter der Schülerinnen dem Unterrichte als Zuhörerinnen beiwohnen könnten. Es wäre auf diese Weise eine Verbindung zwischen Schule und Haus hergestellt, die beiden Theilen nur zum Vortheil gereichen könnte. –

Die vorstehenden Zeilen konnten nur die allgemeinsten Grundzüge einer Neugestaltung unserer höheren Mädchenschulen geben. Sie sind auf Grund langjähriger Erfahrungen mit dem wärmsten Interesse geschrieben worden. Ihre Ausführung würde an die Lehrenden allerdings bedeutend erhöhte Anforderungen stellen, unsern Töchtern aber eine edlere und tiefere Bildung zugleich des Geistes und des Herzens sichern und ihre körperliche Entwickelung in der kräftigsten Weise fördern.

Möge diesen Rathschlägen eine vorurtheilsfreie Prüfung zu Theil werden!


Eine Besteigung des Aetna.

Von Ferdinand Avenarius.

Die nördliche Wand des Kraters.

Es war zu viel! Gestern erst war ich von Nicolosi, der Vorstation bei der Aetna-Besteigung, muthlos zurückgekehrt: der alte Herr hatte sich so sorgfältig in Wolken eingewickelt, daß man nicht einmal durch ein Löchelchen hier oder dort ein Stück von ihm sah, der Wind so heftig geblasen, daß ich mit meiner schwarzen Maske von vulcanischer Asche wie ein Pulcinell herumlief, und zum guten Schluß war der Regen dazu gekommen, um meine Aschenmaske in Lavaströme zu verwandeln. Don Giuseppe, der Wirth, ist ein braver Mann, aber sein Rindfleisch ist zäh, sein Wein sauer und seine Conversation langweilig – bei Regenwetter wenigstens. So hatte ich die Führer zusammengerufen und nach ihrer Meinung über’s Wetter gefragt: wird’s morgen hell sein? Sie hatten ja gesagt und nein gedacht, und mir war’s nicht entgangen, denn die Leute hier verstehen sich nicht so gut auf’s Lügen, wie die Neapolitaner. So hatte ich mich mit der Hoffnung, dem weißkragigen Raucher einmal auf’s Haupt zu steigen, auf bessere Jahre vertröstet, war gestern noch die vier Stunden nach Catania hinuntergelaufen und saß nun im Wirthshaus am Fenster, guckte hinaus und – ärgerte mich.

Ich hatte auch allen Grund dazu.

Wenn man so ein Jahr lang in Italien herumläuft, wird man allmählich das, was man dort zu Lande einen „Prattico“ nennt, das heißt Einer, der sich selbst von den Italienern kein X für ein U machen läßt. Will Einer zehn Soldi für etwas haben, so biete ich ihm gewiß nur zwei; sagt mir ein Kutscher, das eine von den beiden Gasthäusern im Orte sei das bessere, so gehe ich gewiß in’s andere. Und nun die schönen Wetterregeln vom Scirocco und Maestrale etc. – ich könnte sie an den Fingern herzählen!

Und da guckte mir nun der Aetna in’s Fenster herein, klar, wie aus dem Himmelsblau mit scharfer Linie herausgeschnitten, rauchte gemüthlich, wie ein Philister beim Morgenkaffee, und machte die unschuldigste Miene von der Welt! Und dabei blieb’s noch nicht einmal: nein, wie ich so zu ihm hinüber sah, fing er gar an zu plaudern, und harmlos, als wäre gar nichts Schlimmes dabei und als wären wir die besten Freunde, erzählte er mir behaglich und breit von all seinen Schandthaten.

„Ja, ja,“ sagte er, „wie die Zeiten sich ändern! Du weißt freilich nichts davon, mein Junge, aber ich sage Dir, als noch der Polyphem und die anderen Cyklopen und der Vater Hephaistos hier wohnten, da ging’s lustiger her – das war ein Schmieden und Hämmern den ganzen Tag, daß sie drüben in Calabrien vor den Funken Angst bekamen! Aber der Polyphem verliebte sich in den Backfisch, die Galatea, und dem Hephaistos vertrieb seine Frau, die Venus, mit der Zeit die gute Laune – weiß der Himmel, wo sie jetzt stecken mögen! Da hieß es: selber ist der Mann, und so amüsirte ich mich allein. Bin auch nicht faul gewesen dabei: frag sie nur, die rundum wohnen, sieh Dich nur mit Deinen eigenen Augen um. Sieht’s nicht rund umher wie eine Mondlandschaft aus? Und siehst Du alle die so und so viel Hunderte von Kratern? Das sind meine Jungen – ich sage Dir, sie machen mir alle Ehre! Und siehst Du nach allen Seiten hin die schwarzen, starren Ströme? Ja, damit mache ich mir von Zeit zu Zeit den Spaß, dem Menschengesindel ein paar

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_317.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2024)