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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Diesem und Dem, von der ersten Zeit ihrer Liebe, von den Zweifeln der Hoffnung und der Seligkeit des Erringens. Salvatore, gestern beinahe ein Dämon, schien heute ein Kind, – harmlos, an jedem Sonnenstrahle sich freuend, ganz erfüllt von dem Zauber der Gegenwart.

Eine Fahrt im Golfe beschloß den Rausch dieses Nachmittags.

Gegen fünf Uhr ging das Marktschiff nach Capri. Die Zingarella jedoch hatte ihrem Verlobten erklärt, sie werde zu Wagen über Sorrent reisen, dort bei einer Verwandten zu Nacht bleiben und am folgenden Morgen in der Barke nach Capri fahren. –

Salvatore war überrascht, daß Maria in Sorrent eine Verwandte besaß; er hatte niemals davon gehört. Da er indeß keinen Grund hatte, die Wahrheit ihrer Angabe zu bezweifeln, so freute er sich, daß er noch eine Stunde länger ihre Gesellschaft genießen konnte; denn der Messageriewagen nach Sorrent ging erst um sechs.

Im Bureau der Messagerie angelangt, wollte er für seine Braut das Billet nehmen; sie aber kam ihm zuvor, bat ihn, ihr beim Händler jenseits der Straße einige Früchte zu kaufen, und erstand ihre Fahrkarte, ehe noch Salvatore zurückkam. Sie verbarg das Billet in der Tasche: die Aufschrift lautete nicht ‚Neapel–Sorrent‘, sondern ‚Neapel–Resina‘; Resina aber war die nächste Station.

Maria stieg ein; der Messageriewagen setzte sich in Bewegung.

Als der Apulier sich gegen halb neun Uhr nach Fuorigrotta begab, wo Emmanuele Nacosta ihn zu einer letzten Besprechung erwartete, da ahnte er nicht, daß seine Braut, um bei den Reisegenossen keinen Verdacht zu erregen, allerdings mit bis Resina gefahren war, jetzt aber sich bereits wieder auf dem Rückwege nach Neapel befand. …

(Fortsetzung folgt.)




Aus Heinrich Heine’s letzten Tagen.

Die Mouche. – Frau Caroline Jaubert.
Von Eduard Engel.

Heine’s lange Krankheit (von 1847 bis 1856) hatte über ihn zu allen sonstigen Leiden und Entbehrungen die schmerzlichste Prüfung gebracht: die Vereinsamung. Einst der Mittelpunkt eines geistig-geselligen Kreises, gern gesehen und gern gesucht, mit den bedeutendsten Dichtern, Journalisten, Staatsmännern auf persönlich freundschaftlichem Fuße, – und jetzt tagelang, wochenlang allein in der trostlosen Krankenstube der Avenue Matignon, seiner letzten Wohnung, in der Nähe der Champs Elysees, – so vereinsamt, daß er Berlioz, der ihn zufällig einmal aufsuchte, entgegenrief: „Was? Jemand besucht mich? Berlioz bleibt doch immer originell!“

Nur einige freundliche Frauenerscheinungen brachten zuweilen einen Sonnenstrahl in das dunkelverhangene Krankenzimmer: die Prinzessin Christina Belgiojoso erschien gelegentlich bei dem sterbenden Dichter; Frau Caroline Jaubert, der Prinzessin vertraute Freundin, blieb ihm treu bis an sein Ende, – und zu ihnen gesellte sich gegen das Ende des Jahres 1854 (oder im Anfange von 1855?) die unter dem Namen „die Mouche“ in allen Heine-Biographien genannte holde Mädchengestalt, über die wir zwar schon aus sehr guten Quellen seit Langem Näheres wissen, die aber selber erst achtundzwanzig Jahre nach des Dichters Tode mit ihren eigenen Erinnerungen an Heine’s letzte Tage hervorgetreten ist.

Ich habe zu wiederholen, daß, abgesehen von dem wahren Namen der Dame und ihrer persönlichen Geschichte, so ziemlich das Wichtigste und das Beste aus ihren Beziehungen zu Heine längst bekannt war. Sie war ihm eine erquickende Gesellschaft; ihre liebevolle, seit der Mädchenzeit gehegte Bewunderung für den Dichter des „Buches der Lieder“ that Heine wohl; dazu war sie von Geburt und erster Erziehung eine Deutsche, die bei ihrem ersten Besuche in Heine’s Wohnung aus Deutschland kam und ihm wie ein Gruß der sehnsüchtig geliebten Heimath selber erschien. Als Vorleserin, Secretärin, dienstwillige Helferin in kleinen Unentbehrlichkeiten des Schriftstellerlebens, ja selbst als Beistand bei der französischen Uebersetzung seiner letzten Schriften war sie Heine ein stets willkommener, mit einer begreiflichen Zärtlichkeit empfangener Besuch. Das reinste Verhältniß, welches zwischen Mann und Weib denkbar, – auch ganz abgesehen von der Schranke, aufgerichtet durch die Marterkrankheit des seit acht Jahren Sterbenden. So hat man von Heine und seiner „Mouche“ zu sprechen – so schildern uns die an sie gerichteten Briefe und Billete sowie die wenigen Gedichte „An die Mouche“ diese schaurig-reizende Idylle am Lager eines Sterbenden.

„Eines Tages,“ so erzählt Frau Camilla Selden, oder die „Mouche“, „eines Tages streckte er seinen Arm nach dem meinen aus und drückte ihn mit Macht. ,Verzeihung‘, sagte er, ‚aber es wird ja bald enden. Siehst Du, das ist die Schuld des Todes, der herannaht. Er naht mit langen Schritten, und wenn ich ihn so ganz nahe bei mir fühle, wie jetzt, so fühle ich das Bedürfniß, mich an das Leben zu klammern!‘“

Und in einem seiner letzten Billete[1] an die liebe Freundin heißt es – einen Monat vor seinem Tode, nach einem Jahre der Bekanntschaft –:

„Liebes Kind! Ich habe einen Anfall von Migräne, der, wie ich fürchte, noch morgen anhalten oder gar schlimmer werden wird. Ich beeile mich, Dir dies mitzutheilen, damit Du wissest, ‚morgen ist keine Schule‘, und somit über Deinen Nachmittag nach Belieben verfügen kannst. Dagegen rechne ich auf Dich für übermorgen, Sonntag. Solltest Du nicht kommen können, benachrichtige mich, liebes holdes Kind.

Prügeln werde ich Dich nie, selbst wenn Du solche Strafe durch allzu große Dummheit verdienen solltest. Um die Ruthe führen zu können, muß man mehr Kraft besitzen, als ich. Ich bin elend, leidend und betrübt. Küsse die ‚pattes de mouche‘.

Dein Freund 
H. H.“ 

Das war der Ton des Verkehrs zwischen dem damals sechsundfünfzigjährigen Dichter[2] und der etwa achtundzwanzigjährigen Mouche. Ich glaube, es bedarf einiger Romantik, um bei solcher Bewandtniß von einer „letzten Liebe“ Heine’s zu reden, wie das in manchen Schriften über Heine leider geschehen.

Die Mouche war aus Schwaben gebürtig; Heine hat sie oft genug mit ihrem „Schwabengesicht“, das an die „schwäbischen Gelbveiglein“ erinnere, geneckt. Strodtmann erzählt, zum Theil nach Meißner’s „Erinnerungen“ und „Kleinen Memoiren“, von ihr Folgendes: „Als Kind war sie nach Paris gekommen, später nach England verschlagen worden und dann wieder nach Paris zurückgekehrt. – Hellbraunes Haar umrahmte lockig ihr feines Gesicht, aus welchem die blauen Augen süß und schelmisch über dem kecken Stumpfnäschen hervorblickten. Französischer Esprit und deutsche Innigkeit verbanden sich auf’s reizvollste in ihrem holdseligen Wesen, an welchem Heine ein unsägliches Wohlgefallen fand.“

Frau Camilla Selden berichtet von der Veranlassung ihres ersten Besuches bei Heine: sie habe ihm einige Compositionen seiner Lieder von einem Wiener Verehrer (wahrscheinlich einem Herrn Vesque von Püttlingen) zu überbringen gehabt. Im Begriffe, nach Erledigung ihres Auftrages sich zu entfernen, habe Heine sie durch die Dienstmagd zurückrufen lassen; ein Gespräch entspann sich, und als sich die Dame nach einiger Zeit entfernte,

  1. Entnommen dem Buche „Les derniers jours de Henri Heine“ par Camille Selden (Paris 1884, C. Lévy), von welchem übrigens soeben eine deutsche Uebersetzung (bei Costenoble in Jena) erscheint.
  2. Oder neunundfünfzigiährig, denn mehr und mehr findet die Annahme Bestätigung, daß Heine am 13. December 1797, nicht 1799 geboren worden. Der Scherz, er sei am 1. Januar 1800 geboren, also der erste Mann des Jahrhunderts, ist eben – ein Scherz; übrigens würde Heine selbst dann noch ein Mann des 18. Jahrhunderts seiner Geburt nach sein, auch wenn er wirklich am 1. Januar 1800 geboren wäre, was vollkommen unbegründet ist.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_312.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)