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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Was sagen die Leute dazu? – Schau, schau! sagen die Leute dazu, und das ist sehr viel gesagt. Der Vater, die Mutter lassen ihr Töchterlein rufen.

„Vater, vielleicht hat’s der Bruder gethan, er hat mich gern.“

„Der Bruder, mein Kind, der hat das nicht gethan. Schau hinüber dort an die Berglehne, vor dem Lehmerhof steht auch ein weißer Stamm. Das hat Dein Bruder gethan.“

„Mutter, so haben sie es unserer Mägd gethan.“

„Leugne es nicht, Kind. Wenn’s sein Ernst ist! Wir können es uns ja wohl denken, wer Dir den Maibaum gebracht hat. Aber sag’ nicht zu früh ja. Laß’ ihn neunmal fragen, bis Du ja sagst. Im Ehestand kommt eine Zeit, wo er Dir das vorzeitige Ja vorhalten wird. Laß’ ihn neunmal fragen, damit Du ihm ’s vorhalten kannst.“

Das thut sie. Schon am nächsten Sonnabend kommt er und frägt sie neunmal rasch hinter einander. Nach dem neunten Mal sagt sie ebenso rasch: ja. Der Vogel, der oben im Wald sein Nest gebaut, hat den schlanken Baum nicht vergessen, er muß ihn wohl noch am Wipfel erkennen, denn er fliegt um den Maibaum, daß seine Flügel an die zitternden Bänder schlagen ...

Wenn ihr, liebe Freunde, im Frühsommer durch’s schöne steierische Land fahret, so seht ihr in den Dörfern die weißen Schafte mit den buschigen Wipfeln hoch aufragen über die Dächer. Ihr wisset nun, daß sie entweder frommen Sinn bezeigen oder helles Liebesglück bedeuten. – Anch die Wirthshäuser stellen mitunter Maibäume auf, um Gäste herbeizulocken. In einzelnen Gegenden pflegt man mit Wein gefüllte, gut verkorkte Flaschen an den Wipfel zu hängen, die dann im Frühherbst, wenn der Baum umgelegt wird, ausgetrunken werden sollen. Solcher Trunk ist für allerlei Herzweh gut. Manchmal sind auch schlimme Sachen an dem Wipfel, Sachen zu Hohn und Spott, denn so ein Maibaum verdankt seinen Ursprung mitunter der Eitelkeit, der Eifersucht, der Tücke etc.; das Bauernherz hat mehr Kammern als vier.

An Maibäumen ist schon manche fröhliche und manche tragische Dorfgeschichte gewachsen. Von schlimmer Bedeutung ist ein verstümmelter Maibaum. Es geschieht oft, daß er schon in der ersten Nacht, oder in einer späteren – denn er steht über den Hochsommer hinein – von boshafter Hand, zumeist aus Eifersucht, beschädigt wird. Da hängt er am Morgen entweder nach einer Seite hin – schief und quer, wie ein Strich durch die Rechnung, oder der weiße Stamm ist beklext, es flattern an ihm schmutzige Fetzen, oder er ist gar aus seinen Grundfesten gehoben, auf den Boden hingeworfen worden, und sein Wipfel ist zerzaust, geplündert, ist vielleicht vom Stamme getrennt, auf den Dünghaufen hingepflanzt und geziert mit zweideutigen Symbolen. Und der Baum, der von einem lieben Burschen dem Dirndl zur Ehre aufgestellt worden, wird nun ihr zum Schimpf, der nimmer vergeht. – „Ei schau! Ei guck! Das ist Die mit dem verstümmelten Maibaum!“ Das Wort verfolgt sie so lange, bis sie sich in die Arme des Ehemanns zu retten vermag. Nach Einer mit verstümmeltem Maibaume ist aber keine große Nachfrage; der ursprüngliche Geliebte wird nachdenklich und argwöhnisch. „Ganz ohne Grund kann’s doch nit sein! Es muß was dahinter stecken!“ Wenn’s auch noch zur Heirath kommt, die reinen Freuden sind dahin. Und so braucht man gar nicht abergläubisch zu sein, um an der Verstümmelung eines Maibaums schlimme Vorbedeutung zu sehen.

Ich weiß etwas von zwei Männern. Die gingen in einer Nacht neben einander über den Feldweg. Der Eine war groß, hatte übermäßig breite Schultern, der Kopf, auf dessen Nacken ein zerschlissener Hut saß, war stark nach vorn eingeknickt. Er hatte eine scharfkrumme pfusternde Nase und unter derselben einen buschigen Schnurrbart, der in der Nacht schwarz, beim Tage aber grau war. Er hatte nur noch das rechte Auge, das linke mußte er einst in seiner Jugend der Herzliebsten opfern, oder vielmehr dem wüthigen Nebenbuhler, der es ihm bei einer Rauferei aus der Höhle schlug. Das war der Holzknecht-Werfel.

Der Andere war ein schlankes behendes Bürschchen, aufrecht wie ein Kerzlein, hatte den halb städtischen Hut tief in die Stirn gedrückt und machte zwei schlenkernde Schritte, so oft der Große mit seinen krummen, hageren Beinen und mit Stütze des Stockes einen schwerfälligen Schritt that. Der Kleine war der Schuster-Sydel.

Sie waren am Kreuzwege zusammengetroffen.

„Schuster-Sydel!“ sagte der Holzknecht, „wo gehst denn heut’ noch hin – so spat?“

„Ich hab’ Dich auch nit gefragt, wo Du hingehst,“ antwortete der Andere.

Sie gingen neben einander, und so oft sie an eine Wegzweigung kamen, hoffte Jeder, der Andere würde abbiegen. Aber sie gingen nicht aus einander, sie hatten den gleichen Weg, und der führte sie zum Kogelhof.

„Bist jetzt da daheim?“ fragte der Schuster.

„Bist Du jetzt da daheim?“ fragte der Holzknecht.

„Bei der Nacht brauch’ ich keinen Schatten,“ sagte der Schuster.

„Hab’ ich Dich gebeten, daß Du neben mir dahergehen sollst?“

Beide blieben stehen. Sie standen unweit dem Kammerfenster der schönen Haustochter Thrimel.

„Ich glaube gar, der alte Schragen will auch noch zum Fenster!“ knurrte der Schuster.

„Schenirt Dich das? Mich nit, und ich denk’, sie auch nit.“

„Du Werfel! Bei dem Fenster hast nichts zu thun, das sag’ ich Dir!“

„Höllsaggra!“ fluchte der Holzknecht und schwang seinen Stock, „ich will Dir weiterhelfen!“

Im selben Augenblicke ertönte vom Hofe her eine derbe Stimme:

„Wart’s, Ihr Kater, Ihr verliebten, ich will Euch Sauborsten in die Haut schuissen!“

Die beiden Männer stoben aus einander, und nun sah man’s, wie flink auch der Werfel noch laufen konnte.

Die Thrimel weinte die halbe Nacht darüber, daß der Vater den Sydel verscheucht hatte, dessen Gasselsprüchen sie so gerne lauschen mochte. –

Einer der nächsten Tage brachte den Mai. Als die Thrimel ihre blauen Augen aufschlug, stand draußen vor dem Fenster im goldenen Morgensonnenschein ein Maibaum.

Sie erschrickt in heißer Freude; der ist vom Sydel. Aber geht denn ein Sturmwind, daß der Baum so zittert und wankt? Sie eilt ans Fenster, da sieht sie es, am Fuße des Maibaums ringen zwei Männer. Der Sydel und der alte Werfel. Den Baum haben sie in der Mitte und ringen mit verbissenen Flüchen. Der Werfel will den Stamm aus der Erde heben, der Andere sucht ihn zu halten, zu schützen. Aber der Holzknecht weiß besser umzugehen mit den Bäumen, als der Schuster – der Stamm hebt sich, noch ein Ruck! er wankt, neigt sich, fällt und reißt die beiden Kämpfenden mit zu Boden. – Ein dumpfer Schrei, ein Blutstrom aus dem Munde des Werfel – der Baum ist ihm auf die Brust gefallen.

Die Leute eilen jammernd zusammen. Die Thrimel stürzt hin auf den Sterbenden, herzt ihn, küßt ihn, als wäre es der Andere.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_306.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2021)