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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Es ist bekannt, daß in der Colonie Dona Francisca (Provinz St. Catharina), deren Klima, wenigstens was mittlere Jahrestemperatur anbelangt, mit dem von Juiz de Fora übereinstimmen dürfte, in den fünfziger Jahren, als der Enthusiasmus der Neuankommenden bei dem Anblick der herrlichen Wälder keine Grenzen kannte und man all diese wichtigen Detailfragen der Anlage- und Betriebskosten im Vergleich zu dem Werthe der zu erhoffenden Ernten an Bohnen, Mais und Mandioca übersehen zu können glaubte, Capitalien verloren wurden, die gar nicht unbedeutend waren. Ich selbst kannte einen braven, alten Schleswiger, der im Vertrauen auf die pomphaften Anpreisungen der Hamburger Colonisationsgesellschaft Haus und Hof verkaufte, um in der neuen Welt, wo er für sich und seine Kinder ein neues größeres Heim zu gründen hoffte, schließlich Alles zu verlieren. Er ließ durch in theuerem Tagelohne arbeitende Mestizen und Mulatten den Urwald auf große Strecken niederlegen, Bohnen, Mais und besonders Mandioca in großem Maßstabe pflanzen, um, nachdem er unter Mühen und Entbehrungen von seiner Seite 60,000 Mark, sein ganzes Vermögen, ausgegeben, die Erfahrung zu machen, daß der Werth seiner Ernte deren Productionskosten nicht decke, da der Markt überfüllt und an überseeischen Export nicht zu denken war. –

Da Kaffee und selbst Zuckerrohr in jenen Breiten nicht mehr recht gedeihen, so machte man sich an den Bau jenes andern Krautes, dessen Absatzbezirk heutzutage ein womöglich noch größerer ist, als jener der obengenannten: ich meine den Tabak. Aber die Nicotiana ist ein ebenso heikles und eigensinniges Gewächs, wie die Rebe, und wie in Grüneberg kein Hochheimer, so wachsen auch in Dona Francisca keine Habana, und doch sind es nur diese, mit welchen man dem in der Provinz Bahia gezogenen vorzüglichen Tabak hätte Concurrenz machen können; so brachte auch dieser Versuch nur Aerger und Enttäuschung.

Man wäre beinahe versucht zu behaupten, daß diejenigen Klimate, welche keinen bestimmt ausgesprochenen Charakter zeigen, das heißt weder den echt tropischen, noch den der gemäßigten Zone, sondern den Uebergang von einem zum andern vermitteln (wie dies in der Provinz St. Catharina der Fall ist), dem Colonisten in dieser Hinsicht besondere Schwierigkeiten bieten. Er hat allerdings die Wahl, aber auch die Qual, welche Culturpflanzen er bauen soll.

In den noch weiter südlich gelegenen Colonien, woselbst, wie in der ganzen Provinz Rio Grande do Sul, Klima und Producte ganz entschieden der gemäßigten Zone angehören, ist wenigstens ein solcher Zwiespalt in Bezug auf die Wahl der vortheilhaftesten Culturpflanzen nicht mehr in diesem Maße vorhanden. Auf eine wirkliche, auf größeren Export gegründete Prosperität der dortigen, in den äußersten Ausläufern der Waldregion gelegenen Colonien wird aber auch da vorerst nicht zu rechnen sein, und nur diejenigen Niederlassungen von Deutschen, die sich im Süden und Westen der Provinz und auf Campland gebildet haben und noch bilden werden, können bei richtiger Leitung durch den Betrieb der Viehzucht und den Export der dabei erzielten werthvollen Producte unter den jetzigen Verhältnissen etwas Anderes werden, als idyllische Winkel, woselbst ein Paar tausend Deutsche still und zufrieden vegetiren. –

Man sieht, die Gründung und erfolgreiche Durchführung einer deutschen Colonie ist in Brasilien ein ebenso schwieriges und heikles Unternehmen, wie anderwärts, und ich für meinen Theil habe vor den Männern, die, wie Dr. Blumenau und Andere, unter unsäglichen Opfern und Anstrengungen diese riesige, ein Menschenleben füllende Aufgabe soweit glücklich zu Ende geführt haben, als es die Umstände erlauben, eine unbegrenzte Achtung; haben sie doch thatkräftig dazu beigetragen das alte, übervölkerte Europa zu entlasten, und wäre es auch in noch so minimaler Weise, haben sie doch gewußt, einigen tausend strebsamer, aber auf fremder Erde der Führung dringend bedürftiger Menschen den Weg zur Gründung eines neuen Heims zu zeigen und die brachliegenden Schätze eines jungen, dünnbevölkerten Landes für dieses selbst, wie für andere, mehr und mehr nutzbar zu machen.

Leider kommt Deutschland, seit Jahrhunderten zersplittert und machtlos, nachdem es ihm endlich gelungen durch wunderbare Fügungen die ihm gebührende Stellung wieder zu erlangen, zu spät, um ohne Weiteres eigene Colonien zu erwerben.

Es ist müßig, darüber zu planen, was und wie es gekommen wäre, wenn Preußen die an der Küste El-Mina vom großen Kurfürsten in einem kühnen Anlaufe gegründete Colonie behalten hätte; jedenfalls aber gereicht es dem Andenken jenes ausgezeichneten Fürsten zu hohem Ruhme, in so früher Zeit, da im eigenen, an den Nachwehen des Dreißigjährigen, wie des Schwedenkrieges, leidenden Reiche noch Alles zu thun war, die Wichtigkeit eigener Handels-Stationen und Factoreien mit scharfem Blick erkannt zu haben, und bleibt es ewig zu bedauern, daß es die Kräfte des kleinen Staates in der Folge nicht erlaubten, diese erste überseeische Colonie unter deutscher Flagge zu behaupten.[1]


Anna Ottendorfer.

Deutsch-amerikanisches Frauenbild von Th. Herm. Lange.

Am Nachmittage des 4. April bewegte sich ein Trauerzug in New-York von Nr. 7 Ost 17. Straße zunächst nach Union Square, dann die vierte Avenue hinab bis zur Bowery und durch die Centrestreet und über die Hängebrücke hinüber nach Brooklyn dem Greenwood-Friedhofe zu. Es war die Leiche einer Frau, welche als arme und völlig mittellose deutsche Einwanderin im Jahre 1839 hier landete und an deren Sarge nunmehr Exminister Schurz, Oberst Richard M. Hoe, Supremecourt-Richter Charles P. Daly und andere hervorragende Bürger als Bahrtuchträger fungirten. Ein echter Frühlingstag war hereingebrochen, den man um so freudiger begrüßte, als Orkane, Schneestürme und Regengüsse seit Ende März abwechselnd gewüthet hatten. Tausende gaben der Verblichenen das letzte Geleit, Hunderttausende standen auf den Plätzen und an den Straßenecken, welche der imposante Conduct passirte.

Schon seit zwei Tagen wußte es jeder Deutsch-Amerikaner von der Küste des Atlantischen Meeres bis hinüber zu den Gestaden des Stillen Oceans, daß seine größte Landsmännin, daß die beliebteste Frau der Vereinigten Staaten gestorben war.

Als ich am Morgen des 2. April wie gewöhnlich von Gree-Point mit dem „Ferry-Boote“ nach New-York hinüberfuhr, standen neben mir zwei einfach, aber sauber gekleidete ältliche Arbeiterinnen. „Ich kannte sie schon vor mehr als vierzig Jahren, als sie unten kaum ausgeschifft war und noch nicht einmal zwanzig


  1. Obiger Aufsatz wurde niedergeschrieben zu einer Zeit, da die Erwerbung von Angra pequena (zu deutsch: kleine Bucht) von Seiten der unternehmenden Bremer Firma Lüderitz weder die heutige Bedeutung erreicht, noch den mächtigen Schutz der deutschen Reichsregierung erlangt hatte – wie dies nun erfreulicher Weise der Fall zu sein scheint. – Aus jener entlegenen südafrikanischen Bucht, die zuerst von portugiesischen Entdeckern angelaufen und getauft worden, weht also die deutsche Tricolore, und wenn es gelingen sollte, den Bestrebungen des deutschen Colonialvereins jene weite Verbreitung und jenen sichern Rückhalt zu geben, den sie in jeder Hinsicht verdienen, so wird sie im Laufe der Zeiten auch von andern Küsten wehen, ein Stolz für unser Volk, ein Hort und eine Stütze für dessen Handel. Der Verfasser. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_302.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2024)