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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

bildete die Anwerbung von deutschen Colonisten, die bei der Endstation Juiz de Fora angesiedelt werden sollten. Der Gedanke, es diesen Leuten, die in Holstein, am Rhein und in Tirol durch den späteren Director der Liebig’schen Fleischextract-Compagnie in Fray-Bentos zusammen gesucht waren, durch ihre Mithülfe bei dem ihnen in erster Linie zugute kommenden Straßenbau zu ermöglichen, ihre Schulden für Transport und erste Unterhaltungskosten abzutragen, war sicherlich kein schlechter. Man machte nämlich die Erfahrung, daß, da sich auch Frauen und Mädchen dazu verstanden, die Schaufel zu handhaben und Steine zu klopfen, selbst solche Familien sich herausarbeiten konnten, welche, obwohl reich an Köpfen, doch arm an jungen Männern waren.

Hütte eines Tirolers in Brasilien.
Originalzeichnung von F. Keller-Leuzinger.

Leider wurde jedoch schon drei Jahre nach der Ankunft dieser Colonisten, und ehe sämmtliche Schulden abgetragen werden konnten, der Straßenbau vollendet, und wenn auch ein Theil derselben als Fuhrleute, sowie als Bedienstete der Compagnie auf den einzelnen Stationen oder in ihren betreffenden Handwerken eine lohnende Beschäftigung fand, so war eben doch das Endresultat keineswegs ein allseitig befriedigendes.

Aber, so wird man fragen, hatten denn diese Leute keine Ländereien erhalten, die sie bebauen und von deren Ertrag sie nicht nur leben, sondern auch noch etwas auf die Seite legen konnten? Man erzählt uns doch so Vieles von der Fruchtbarkeit jener Länder, von der Ueppigkeit des Pflanzenwuchses und dem hohen Werthe der dort gezogenen Producte! War die Lage der Colonie eine wenig günstige, der Boden schlecht, oder verstanden es die Neuangekommenen nicht, sich in Verhältnisse zu finden, die von denen der Heimath so gänzlich verschieden waren?

Im Anfange könnte, selbst wenn alle anderen Bedingungen zum Gedeihen einer Ansiedelung wirklich gegeben wären, das letztgenannte Moment allerdings eine Rolle spielen; wenn jedoch, nachdem Jahre darüber hingegangen und die Colonisten eine oft bittere Schule der Erfahrung durchgemacht, der richtige landwirthschaftliche Aufschwung immer noch nicht kommen will, so wird man wohl zu der Annahme berechtigt sein, daß die Schuld an der Bodenbeschaffenheit, an den speciellen klimatischen und schließlich an den Verkehrsverhältnissen liegen müsse. Und in nahezu allen deutschen Colonien in Brasilien hat es mit der einen oder andern dieser Grundbedingungen, wie man zu sagen pflegt, seinen Haken gehabt.

Das oben genannte Petropolis liegt zwischen steilen Bergen, sodaß für den eigentlichen Ackerbau so viel wie kein Land vorhanden ist, und es scheint in Wahrheit unfaßlich, wie man es wagen konnte, mehrere tausend deutsche Colonisten in solche Engthäler und Schluchten zu verweisen.

Petropolis prosperirt heute allerdings, aber nicht als Ackerbaucolonie, sondern als Luftcurort für die eine halbe Million betragende Bevölkerung von Rio de Janeiro, die sich glücklich schätzt, in nächster Nähe ein Plätzchen zu haben, wo sie sich von der Backofenhitze und dem giftigen Qualm der Großstadt erholen kann. Das Einzige, was man heute in Petropolis in größerem Maßstabe baut, ist „Capim d’Angola“, ein meterhohes, aus Afrika stammendes Gras zur Fütterung der Pferde und Maulthiere, sowie einiger Kühe, deren Milch- und Butterertrag von den Badegästen theuer bezahlt wird.

Aehnlich verhält es sich in der am andern Endpunkte der Straße, in Juiz de Fora, angelegten Colonie, die den officiellen Namen Dom Pedro II führt. Das Terrain ist allerdings weniger bergig, aber keineswegs von guter Beschaffenheit, und da es außerdem nahezu 3000 Fuß über dem Meere liegt, die Frucht des Kaffeestrauches jedoch unter jenen Breiten (das heißt unter dem Wendekreise) schon mit 1500 und 1800 Fuß Erhebung nicht mehr gleichmäßig zur Reife gelangt, so ist den dortigen Colonisten auch die Möglichkeit benommen, durch Düngung des mageren Bodens wenigstens kleinere, gartenartige Kaffeepflanzungen zu unterhalten und auszunützen. Es bleibt ihnen nur der Bau der landesüblichen Nahrungsmittel, Bohnen, Mais und Mandioca, die jedoch keinen Ausfuhrartikel bilden und selbstverständlich auf den besser gelegenen, in größerem Maßstabe betriebenen Plantagen der Brasilianer verhältnißmäßig wohlfeiler producirt werden, als auf diesen kleinen, dürftigen Parcellen.

Der Colonist leidet allerdings keinen Mangel, sondern lebt, dank der Hühner- und Schweinezucht, die er nebenbei betreibt, mit seiner Familie derart, daß ihn mancher arme Schlesier und „Hundsrücker“ in Wahrheit beneiden kann, aber von wirklichem Wohlstand, von vollständiger Entfaltung seiner Kräfte, von glänzenden Hoffnungen für die Zukunft seiner Nachkommen, kann heute wenigstens noch nicht die Rede sein. Ist er ein geschickter Schmied, Zimmermann oder Maurer, oder hat er die Mittel, um auf eigne Faust ein Fuhrwerk zu betreiben, gelangt er gar dazu, einen Kram- und Schnapsladen anzulegen, so kann er allerdings wohlhabend werden, besonders wenn ein treues, fleißiges Weib ihm zur Seite steht, aber er ist dann längst kein Ackerbauer mehr.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_301.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2024)