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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


„Mein Gott, die zwei Foglietten, die ich geleert habe! Das war so für Augenblicke! Jetzt bin ich ganz und gar Euer Mann. Merkt Ihr denn nicht, daß ich’s heraus habe, was Ihr im Schilde führt? Ich meine, die Serie: die Nummer natürlich muß ich von Euch erfahren. Ein gewagter und niederträchtiger Streich ist’s – und Ihr wollt meine Mithülfe. Nicht wahr, das hab’ ich getroffen? Und glaubt Ihr denn, ich würde so frei von der Leber reden – ich als königlicher Beamter – wenn ich nicht wüßte, daß Ihr mich nöthig habt? Ich will Euch nur Muth machen, Signore Nacosta, – und nun schießt los, denn wir sitzen hier so schön abseits, und der alte Esel da drüben bei seinem Sorbetto ist stocktaub und dazu ein Grieche, der kann Italienisch kaum.“

Emmanuele war über den Scharfblick, den Marsucci bekundete, nicht wenig verblüfft.

„Die reine Wahrsagerei!“ lachte er, den Kellnerburschen heranwinkend.

Er bestellte sich einen Granita und wollte eben im verstohlensten Flüsterton anheben, als Marsucci ihm die Rede vom Munde nahm.

„Vor Allem Eins: wirft die Affaire ein gehöriges Stück Geld ab? Ich bin jetzt gut situirt: unter zweitausend Paoli riskire ich Nichts! Habe ich doch, solang’ ich Geheimpolizist war, all die kleinen Profite, die sich mir darboten, grundsätzlich von der Hand gewiesen! Denn – sagte ich mir – kommt’s heraus, so bricht Dir das Kleine ebenso sicher den Hals, wie das Große; das Kleine lohnt sich nur dann, wenn man’s in Masse betreibt: mit jedem einzelnen Fall aber wächst die Gefahr. – Nun, ich seh’ es Euch an: es ist ein Hauptcoup, der Euch das dürre Gesicht so in’s Breite zieht! Ihr müßt Euch besser beherrschen, Nacosta, sonst glückt’s nicht. Ja, ja, ich weiß, was Ihr sagen wollt: nur mir gegenüber seid Ihr so offenherherzig! Schön! Jetzt erzählt!“

Und Emmanuele erzählte, – schüchtern erst und in halben Andeutungen, dann aber mit cynischer Breite. Rückhaltslos entrollte er den teuflischen Plan, der den unglücklichen Salvatore Padovanino auf das Blutgerüst liefern sollte. –

Marsucci hatte anfangs den Sprecher hier und da unterbrochen. Allgemach ward er stiller. Als Nacosta geendet hatte, ergriff er die Tasse, leerte sie feierlich bis auf den letzten Tropfen, stellte sie auf die Schale zurück und murmelte, sich den Bart wischend:

„Gut! Aber nun weiter! Wir hätten also den armen Gimpel glücklich auf dem Schaffot ...“

„Ich verstehe Euch nicht,“ sagte Nacosta.

„Ja, zum Teufel, wie wollt Ihr’s nun anfangen, daß im letzten Moment ...“

„Ja, was meint Ihr denn? Der letzte Moment ist doch kolossal einfach!“

Er machte mit der flachen Hand eine bezeichnende Geberde.

„Donnerwetter! Daran dachte ich nicht! Bis hierher war die Sache ja gut geplant – spaßhaft sogar – aber nun –“

„Bedenkt, wir machen Halbpart! Zweifelt Ihr an der Freigebigkeit des Monsignore De Fabris? Wer Seiner Eminenz das Leben rettet, der hat doch gewiß den nämlichen Anspruch auf Dank, wie damals der Fischer von Ischia, der ihm den Einen lumpigen Brief zustellte! Ich weiß nicht genau mehr die Ziffer, aber es waren viele Tausende, die er auszahlen ließ – und damals handelte es sich um Angelegenheiten des Staates! Wenn’s aber die eigene werthe Person betrifft, dann schlägt das Herz doch wohl um einige Grade erregter, und der Dankende beugt sich tiefer über die Geldsäcke.“

„Das ist wahr, aber trotzdem – die Sache geht mir wider den Strich.“

„Seid nicht kindisch, Marsucci!“ raunte Nacosta. „Sterben müssen wir Alle, und wenn’s denn doch einmal sein muß, so wüßte ich mir, bei meiner Ehre, nichts Besseres, als so unversehens hinweg geblasen zu werden, noch bis zuletzt von der schönsten Hoffnung erfüllt, eine Zukunft des Liebesglücks, des Reichthums und des Ruhms vor den Augen ... Ihr glaubt gar nicht, was dieser Mensch für eine geistige Kraft besitzt, am Unmöglichsten festzuhalten und sich den schwärzesten Himmel mit Gestirnen zu schmücken. Der geht dahin, wie Einer, der im schwersten Rausch über Bord stürzt: eh’ er noch weiß, daß ihm die Wellen über den Kopf schlagen, ist Alles vorüber. Wahrhaftig, Euer Mitleid könnt Ihr da sparen.“

„Das stimmt,“ sagte Marsucci. „Nun, ich sage nicht Nein. Für jetzt kommt mir die Sache, weiß Gott der Allmächtige, ein wenig zu plötzlich. Ich muß das Alles erst rund kriegen. Wann sehn wir uns wieder?“

„Je eher, je besser.“

„Gut. Sagen wir: morgen. Aber nicht hier, wo doch möglicher Weise ’mal ein Gast in der Nähe sitzt, der nicht taub ist und nicht von Geburt ein Grieche. Ich dächte, um sechs Uhr, auf dem Weg nach dem Cimeterio, rechts bei dem Brunnen der vierzehn Oelbäume.“

„Ich werde zur Stelle sein. Ueberlegt Euch indeß nicht nur, ob Ihr’s versuchen wollt, sondern auch ein bischen das Wie, – den Ort, die Zeit und all die sonstigen Einzelheiten! Die Sache ist einfach, aber sie erfordert Umsicht im Vorbereiten. Für gar zu kindisch dürfen wir den Apulier nicht nehmen.“

Die Beiden erhoben sich und trennten sich dann. Marsucci begab sich nach kurzer Wanderung über die benachbarten Quais nach einem glänzend erleuchteten Tanzlocal, wo er einige von den empfangenen Goldstücken toll verjubelte, während Emmanuele Nacosta die Stiegen zu seiner armseligen Wohnung erklomm und seine Crispina von der günstigen Wendung der Angelegenheit in Kenntniß setzte.

(Fortsetzung folgt.)




Die höheren Töchterschulen.

Ein Wort für unser Haus. 0 Von Ferdinand Sonnenburg.

Als im Jahre 1882 das „Aerztliche Gutachten über das höhere Schulwesen Elsaß-Lothringens“ veröffentlicht wurde, fanden die Forderungen, welche darin von einer Commission medicinischer Sachverständiger aufgestellt wurden, vielseitigen Beifall.

Jetzt ist von derselben Commission ein gleichartiges Gutachten über das höhere Töchterschulwesen im Druck erschienen, dessen Werth um so höher anzuschlagen ist, als es von einer stattlichen Reihe durchaus berufener Männer verfaßt und überhaupt die erste Arbeit ist, welche auf diesem Gebiete in Deutschland von einer staatlichen Oberbehörde veranlaßt und veröffentlicht wurde. Die Fragen aber, welche hier sich aufdrängen, greifen in das innerste Heiligthum des deutschen Hauses hinein, und eine Erwägung derselben erweist sich gerade in der gegenwärtigen Zeit als eine gebieterische Forderung, denn in unsern Mädchenschulen sind noch ärgere Schäden zu finden, als in unseren Gymnasien und Realschulen.

Diese Schäden sind doppelter Art, sie treffen nicht allein den Körper, sondern mehr noch den Geist und das Gemüth unserer Töchter. Das Straßburger Gutachten beschränkt sich auf die Betrachtung der Gefahren, welche dem Körper aus der Schule erwachsen können, und auch von diesem Gesichtspunkte aus sieht sich die Commission veranlaßt, an die Spitze ihres Berichtes den schwerwiegenden Satz zu stellen, daß unsere höheren Mädchenschulen überhaupt auf völlig falscher Grundlage aufgebaut sind; man strebte darnach, sie ähnlich wie die Realschulen für Knaben zu gestalten, ohne die Besonderheit der Unterrichtszwecke und, „was weit schlimmer, ohne den besondern Organismus des Weibes in’s Auge zu fassen“.

Mit dieser letztern Bemerkung trifft der Bericht die eigentliche Wurzel aller Schäden unserer heutigen Mädchenschulen. Das völlig falsche System ist zu verurtheilen. Nach der Schablone der Realschule für Knaben hat man die höheren Mädchenschulen zugeschnitten und zwar so consequent, daß viele dieser Anstalten auf der einen und auf der andern Seite sich nur in den verschiedenen Zielen unterscheiden; als ob jedes Mädchen für einen bestimmten bürgerlichen Beruf vorbereitet werden sollte! Daß man zwei von der Natur auf’s schärfste unterschiedene Menschengattungen vor sich hat, das wird nicht im geringsten berücksichtigt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_296.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2021)