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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Emmanuele schlug mit der knochigen Faust wie rasend auf das entfaltete Blatt.

„Also auch Das ist über den Haufen gestürzt!“ raunte er keuchend. „Der Bube ist schlauer, als wir ihm zugetraut! Eine Audienz bei dem Cardinal! Was heißt das nun? Hat irgend ein Schuft ihn aufgeklärt, oder verlangt er’s nur der größeren Sicherheit halber? Nun, für uns bleibt die Sache sich gleich. Das Spiel ist verloren, und die schöne Crispina wird sich jetzt anschicken müssen, auf der Gasse zu liegen und Kupfermünzen zu sammeln, wie die Vetteln der Molostraße.“

„Freilich,“ versetzte die Frall nlit einem häßlichen Lachen, „wenn sie so kindisch wäre, wie Du. Bei Gott, ihr Männer seid doch kläglich mit eurer Verzagtheit! Und so kurzsichtig! Wie kannst Du nur zweifeln, was der Brief da bedeutet? Hätte er Lunte gemerkt, so wär’s ihm nicht eingefallen, Dir überhaupt noch zu schreiben. Nein, er hält an der Sache fest – nach wie vor –, und nur, um sich künftig den Lohn zu sichern und ganz gewiß zu sein, daß man ihn nicht übersieht, will er gleich an die rechte Schmiede gehen. Du weißt ja, was Du von dem verwünschten Marsucci zu leiden hast. Der Apulier wittert vielleicht von Deiner Seite ein Gleiches; denn so dumm diese Menschen sind im Großen und Ernsten, so pfiffig spüren sie’s aus, wo ein persönlicher Vortheil in Frage steht. Also geh’ nur getrost hin und sage ihm, das wäre wohl durchzusetzen. Eben Der ist der Rechte – der führt die Sache Dir aus, wie ein Stier, geradezu, ohne nach rechts oder links zu blicken.“

„Aber begreifst Du denn nicht?“ fuhr Emmanuele heraus. „Er verlangt ja doch –“

„Ganz recht. Er verlangt eine Begegnung mit Monsignore De Fabris. Die wirst Du ihm schaffen. Wie die Dinge jetzt liegen, bleibt für uns keine Wahl. Die Zeit ist zu kurz, um auf Neues zu sinnen. Ein Mensch, der für Geld und gute Worte die Rolle des Cardinals übernimmt, wird unschwer zu finden sein.“

„Wie? Du meinst …?“

„Ja, Emmanuele. Ich bin jetzt auf Alles gefaßt, auch auf die Mitwissenschaft eines Dritten. Zudem: was verschlägt’s? Das Wagniß erscheint mir nur mäßig; denn daß der Dritte den Mund hält, das liegt doch ebenso sehr in seinem Interesse, als in dem unsern.“

„In der That – Aber das Geld . . .! Wer schafft uns die Mittel, den Mann zu erkaufen?“

„Das wäre hier noch das Wenigste. Du glaubst nicht, für welche Kleinigkeit dies napoletanische Lumpengesindel den Kopf riskirt! Eine Handvoll Silbergeld wirbt Dir ein Dutzend Banditen, die wochenlang auf ihr Opfer lauern, bis es bei guter Gelegenheit sich dem Stoße darbietet. Aus diesen Puppen suche Dir eine passende für die Figur des Monsignore heraus, und gieb, was Du hast. Es wird allemal genug sein. Weit schwerer als der freundliche Wille findet sich das richtige Können, und theurer als die Leistung des Komödianten wird sein Costüm sein. Ueber alles Dies zerbrich Dir jetzt nicht weiter den Kopf. Diesmal bin ich entschlossen. Ich beschaffe das Geld, das Du brauchst – so oder so –, und wenn ich von Haus zu Haus betteln gehe.“

Emmanuele hatte ihr stauneud zugehört. Von Neuem brachte er Einwände vor. Er hielt die Komödie für unausführbar, weil das lebensgroße Bildniß des Cardinals erst kürzlich im Schaufenster einer der großen Gemäldehandlungen der Via Toledo ausgestellt worden und dem Apulier jedenfalls erinnerlich sei. Crispina widerlegte ihn schlagend. Zwei Tage nur habe das Bildniß zur Schau gestanden; es sei mehr als fraglich, ob der vielbeschäftigte Salvatore dasselbe gesehen habe. Ueberhaupt biete das Antlitz Seiner Eminenz nichts Frappirendes, gleiche vielmehr der Durchschnittsphysiognomie der kleinen wohlgenährten Abbaten, denen man zu Rom wie zu Neapel auf allen Straßen begegne. Da nun Monsignore De Fabris zudem die Gepflogenheit habe, stets nur in geschlossenem Wagen und umringt von einer stattlichen Dragoner-Escorte auszufahren, so sei auch die Annahme von der Hand zu weisen, daß der Apulier ihn jemals in Person zu Gesicht bekommen.

„Verlaß Dich darauf,“ sagte sie schließlich, „er geht Dir kunstgerecht in die Falle. Nur klug und verwegen – das Uebrige findet sich! Inzwischen hallt’ ihn nur warm und geberde Dich, als fändest Du seine Förderung berechtigt!“

Emmanuele Nacosta erhob sich, entzündete eine Kerze und verbrannte den Brief, nachdem er ihn nochmals, Silbe für Silbe, gelesen hatte. Dann warf er sich, so lang wie er war, auf die Bettstatt, schloß die Augen und überließ sich willenlos dem Spiele seiner Gedanken.




4.

Gegen halb neun Uhr Abends verließ Emmanuele das Haus. Er schlug die Richtung nach dem Toledo ein und wandte sich, in dieser Hauptschlagader des großstädtischen Verkehrs angelangt, südwärts nach dem Palazzo Reale.

Die Nacht war sternenklar und von frühlingsähnlicher Milde. Vor allen Kaffee-Häusern saßen die Eis-Esser bis weit in die Straße hinein; Musik erscholl aus den weit geöffneten Fenstern; selbst die Fahrdämme waren von lustwandelnden und plaudernden Menschen erfüllt, sodaß die vereinzelten Fuhrwerke Mühe hatten, sich durchzudrängen.

In die Strada del Gigante einbiegend, gewahrte Emmanuele eine mittelgroße Gestalt, die aus einem der links belegenen Weinhäuser kam und gleich ihm den Weg nach Santa Lucia einschlug.

Es war Marsucci.

Emmanuele wollte den Mann voranschreiten lassen, da er jetzt keine Lust verspürte, von Neuem an all die Enttäuschungen der letzten Monate erinnert zu werden. Der Geheim-Polizist jedoch hatte ihn schon bemerkt. Mit einem seltsamen Lächeln machte er Halt, bis Emmanuele herankam. Von Weitem rief er ihm ein behäbiges: „Felice sera!“ zu, dessen Klangfarbe mit dem, was Emmanuele von dem Menschen gewöhnt war, auffällig contrastirte.

„Wohin?“ fragte er, als ihn Emmanuele erreicht hatte. „Irgend etwas in Arbeit? Wie?“

„Nicht daß ich wüßte,“ versetzte der Andere, ein wenig gepraßt. „Und hätt’ ich’s“ – fügte er nach einer Pause hinzu –, „so weiß ich, daß es Keinen minder erfreuen würde, als Euch.“

„Meint Ihr?“ lachte Marsucci, das rechte Auge zusammenkneifend. „Nun, ich merke, Eins ist Euch klar geworden, daß für Unsereinen wenig zu holen ist. Vielleicht besinnt Ihr Euch noch, und gebt die Carrière auf. Ja, was heißt denn das? Wollt Ihr nicht nach Santa Lucia?“

Emmanuele war, da Marsucci ihm zur Seite geblieben, instinctiv abgebogen und wandte sich jetzt, halb zögerud, in der Richtung eines der dunklen, wenig betretenen Seitengäßchen.

„Ihr habt doch etwas auf dem Korn!“ sagte Marsucci.

„Ueberzeugt Euch vom Gegentheil,“ versetzte Nacosta. „Ich flüchte nur aus dem ewigen Straßenlärm . . .“

„So? Seit wann sind Leute unsres Schlags so nervös? Nun, ich gönn’s Euch, Nacosta! Schade, daß wir während der letzten Wochen etwas gespannt waren. Ich hätte Euch sonst für meinen Posten empfohlen.“

„Für welchen Posten?“

„Für den meinigen, den ich quittirt habe.“

„Ihr? Seit wann?“

„Seit vorgestern.“

„Wie kommt Ihr dazu?“

„O, ich war der Sache schon überdrüssig, bevor ich Euch kennen lernte. Es ist ein Jammer, Nacosta. Tag und Nacht keine Ruhe; immer die Vorgesetzten breit auf dem Halse, und dazu der lumpige Sold – ich danke für das Vergnügen! Zu Anfang – da war ich wie Ihr: ich glaubte, ich stünde jetzt auf der ersten Staffel zum Polizei-General: zwei, drei Entdeckungen, die mir natürlich höchst bequem in den Schooß fallen würden – und die Sache war abgemacht. Jawohl! Wir sind die Füchse, die für Andere die Hühner stehlen, – und wenn’s hoch kommt, läßt man uns den Balg und die Knochen. Ich hab’s satt gekriegt, Signore Nacosta.“

„Ja, und was treibt Ihr denn? Habt Ihr geerbt?“

„Das nicht – aber –“

„Nun? Ihr thut ja geheimnißvoll.“

„O, es ist durchaus kein Geheimniß. Freilich, es wird Euch wohl überraschen; – schließlich indeß – der Mensch will leben – und sonderlich ästimirt sind wir auch so nicht: man heißt uns Spione, wenn man außerordentlich höflich ist.“

„Ihr macht mich neugierig,“ sagte Nacosta spöttisch.

(Fortsetzung folgt.)




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