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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 17.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Salvatore.
Napoletanisches Sittenbild. Von Ernst Eckstein.
(Fortsetzung.)


Emmanuele war nun längst schon entschlossen, jede nur denkbare Position, auch die untergeordnetste und erbärmlichste, anzunehmen, wenn sie ihm nur halbwege die Existenz fristete. Trotz dieser Bescheidenheit seiner Ansprüche blieb der Eifer, mit dem er suchte, auch hier resultatlos. Die mäßige Baarschaft, die er von Livorno her mitgebracht, schmolz bedenklich zusammen, und Tag für Tag mußte er, in die kleine Herberge des Hafenquartiers zurückkehrend, der angstvoll harrenden Crispina die gleiche Nachricht bringen: Nichts – absolut Nichts. Ja, es schien, daß ein Unterkommen für ihn um so schwerer zu finden sei, je mehr er auf der Scala seiner Bewerbung herabstieg. Es erregte Verdacht, daß ein gut gekleideter Mann, dessen ganzes Auftreten eine gewisse Bildung verrieth, sich als Portier oder gar als Hausdiener und Ausläufer anbot. Dazu kam das scharfe, hagere Gesicht mit den unstäten Augen, die sich nachgerade daran gewöhnt hatten, in jeder Nische einen Verräther zu wittern, – und das „Nein“ ergab sich von selbst.

Kurz, zu Anfang der dritten Woche war Emmanuele der Verzweiflung nahe, und nur der Trotz der zornerfüllten Crispina erhielt ihn aufrecht. Sie, die anfangs geneigt gewesen, ihm Vorwürfe zu machen, daß er sie in’s Elend gestürzt, lobte jetzt seinen Eifer, sprach ihm Muth ein und tobte, wenn sie ihrem beklommenen Herzen Luft machen wollte, nicht, wie ehedem, gegen ihn, sondern wider die „niederträchtigen Hundesöhne“ die ihrem guten Emmanuele den Zutritt verweigerten, wider die Reichen und Vornehmen, die im Golde wühlten, während Leute, wie die braven Nacosta’s, am Hungertuch nagten. – Schließlich machte sie ihrem Gatten kein Hehl daraus, wie ihr jetzt, nachdem ihr die Gesellschaft mit so teuflischer Brutalität den Stuhl vor die Thüre gesetzt, jedes Mittel genehm sei, das ihr Genugthuung und Rache gewährleiste.

So ward aus den beiden Menschen, die sich auf dem besten Wege befunden, mit ihrer befleckten Vergangenheit dauernd zu brechen, ein Paar verstockter und verzweifelter Feinde der menschlichen Ordnung, – Abenteurer, die Nichts zu verlieren hatten, und zu jedem Frevel bereit schienen, wenn er Erlösung versprach aus diesem Zustande tiefster Bitterniß und Erniedrigung.

Eines Nachmittags, da er wieder erschöpft von langer fruchtloser Wanderung vor dem kleinen Kaffeehaus Halt machte, das er als Station betrachtete zwischen dem Mittelpunkte der Stadt und seiner entlegenen Herberge, fiel ihm ein Zeitungsblatt in die Hände: das zu Bologna erscheinende „Giornale d’Emilia“. Die letzte Seite enthielt einen ausführlichen Berlcht über die staatlichen und städtischen Zustände von Neapel, insbesondere über die Organisation der politischen Geheimpolizei. Das „Giornale d’Emilia“, streng päpstlich gesinnt, pries die Maßnahmen des Cardinals De Fabris als die vollkommenste Leistung staatsmännischer Gewandtheit und Klugheit, constatirte die schon jetzt zu Tage tretenden Erfolge des furchtlos durchgeführten Systems und fügte hinzu: der beste Beweis für die Popularität solcher Bemühungen bestehe wohl darin, daß der Andrang zu den neu geschaffenen Posten der höheren und niederen Geheimpolizisten gerade unter den Eingeborenen ein außerordentlich starker sei, wenngleich die Regierung bei der augenfälligen Wichtigkeit dieser Aemter und den positiven Eigenschaften, die sie erforderten, nur eine verhaltnißmäßig geringe Zahl der Bewerber berücksichtigen könne.

Alsbald stand der Entschluß Emmanuele’s fest. Er, als früherer Beamter, der mit dem Wesen der Bureaukratie und ihrer Erfordernisse völlig vertraut war, hatte, so schien es ihm, die begründetste Aussicht, in diesem neugeschaffenen Organismus des Monsignore De Fabris anzukommen, zumal der offen bekannte Umstand, daß der heilige Vater ihn, den reuigen Verbrecher, begnadigt hatte, dem Cardinal und seinen Unterbeamten eine Art von Verpflichtung auflegte.

In höchster Aufregung stürzte er nach der Herberge und theilte der jungen Frau mit, was er im Schilde führte. Crispina blieb zwar kühler und skeptischer, als Emmanuele vorausgesetzt hatte; aber da sie begriff, daß eine mäßige Aussicht immerhin besser sei, als die völlige Trostlosigkeit, so willigte sie ohne Verzug ein, und mit dem nächsten Schiffe, das, Foggia anlaufend, nach Brindisi absegelte, verließen sie das verhaßte Ancona.

Zu Anfang Mai langten sie mit der Eilpost, die von Foggia aus über’s Gebirge führte, in Neapel an – gerade noch im Besitze einiger Silberstücke, die da ausreichten, den Miethspreis der engen Dachstube im Hause des wucherischen Weinhändlers für eine Woche pränumerando zu zahlen und die nothwendigsten Lebensmittel zu kaufen.

Alsbald that Emmanuele Nacosta die erforderlichen Schritte, seinen Plan zu verwirklichen.

Der Polizeigeneral des Quartiers, den er um Auskunft anging, wies ihn nach einigem Zögern an einen Secretär Seiner Eminenz, und dieser, von dem inständigen Flehen Emmanuele’s gerührt, brachte ihn zu einer Persönlichkeit, die sich einstweilen nicht nannte, auch nur an drittem Orte Begegnungen zuließ und den Bewerber schließlich einem untergeordneten Mitgliede der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_277.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2019)