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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Barken belebt, und dann und wann kommt auch wohl eine Nilbarke (eine sogenannte Dahabieh) mit europäischen Touristen bis nach Khartum hinauf. Handel und Verkehr sind sehr bedeutend, zumeist nilabwärts nach dem eigentlichen Aegypten, und in Bulak, dem Hafen von Kairo, lagern stets massenhafte Waarenvorräthe aus der sudanesischen Hauptstadt, besonders Elephantenzähne, Straußfedern, Gummi, Sennesblätter, Felle, Hölzer, kunstreich geflochtene wasserdichte Körbe, hölzerne Schalen und Geräthe etc. Die den Nil hinauffahrenden Schiffe bringen eine außerordentliche Fülle von Waaren aller und jeder Art nach Khartum zurück, meist europäischen Ursprungs, ganz besonders baumwollene und ähnliche Stoffe, Leder und Eisen in rohem und verarbeitetem Zustande, und jene zahllosen Dinge, die man unter dem Namen Quincaillerie- oder Kurzwaarenartikel begreift, vom kleinsten Messerchen, Spiegelchen oder Gläschen an bis zu allen möglichen Haushaltungsgegenständen, zunächst für die im Sudan lebenden Europäer, aber auch für die anderen, besser situirten Einwohner, die sich nach und nach an den Gebrauch jener Dinge gewöhnt haben.

Von Khartum nach El-Obeid, der Hauptstadt Kordofans, ist noch eine lange Reise. Zuerst geht es zu Schiff den Weißen Nil hinauf bis nach Turrah und von da aus Reitkamelen nach Westen in das Innere. Dieser Theil der Reise ist der beschwerlichste, denn die in den weiten Steppen zerstreut liegenden Dörfer bieten kein Unterkommen, und der Wassermangel ist in der heißen Jahreszeit, selbst für die Eingeborenen, sehr empfindlich. Nur Bara, eine Tagereise nördlich von El-Obeid, macht mit seinen hübschen Palmen- und Mimosenwäldern und seinen gutgepflegten Gärten eine freundliche Ausnahme. Es ist ein großes Thokuldorf, und El-Obeid ist im Grunde auch nichts Anderes. Nur besitzt die Hauptstadt einige öffentliche Gebäude, darunter den „Palast“ des Gouverneurs und eine Caserne; in dem ersteren hat der Mahdi jetzt sein Hauptquartier aufgeschlagen, wie denn überhaupt Kordofan mit seiner Hauptstadt als der eigentliche Mittelpunkt der gesammten sudanesischen Revolution angesehen werden muß.

Ist nun schon die Bevölkerung Khartums eine buntscheckige und gemischte, so ist es diejenige El-Obeids in noch höherem Grade, nur daß hier die echt afrikanische schwarze Hautfarbe noch allgemeiner vorwaltet – hauptsächlich der vielen Negersclaven wegen, die weit mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft ausmachen. In El-Obeid sieht man Repräsentanten aller schwarzen Menschenrassen, Nubier und Bischarin, Mohren aus Darfor und Fassogl, auch aus den entlegenen Gallaländern, die von den Sclavenhändlern auf ihren Raubzügen erbeutet und hier verkauft wurden – die verschiedenartigsten Typen, wie sie der berühmte Orientmaler Professor Wilhelm Gentz in Berlin auf einer unsrer heutigen Illustrationen veranschaulicht hat. El-Obeid wird mit Recht als das Centrum des gesammten mittelafrikanischen Sclavenhandels betrachtet. Dorthin kommen zunächst die zahlreiche Karawanen mit ihrer lebendigen Waare, auf die früher von den Regierungsbeamten (und wer weiß, ob nicht jetzt von dem Mahdi) ein Zoll wie auf jeden andern Importartikel gelegt wurde und zwar ein sehr hoher; bis zu zwanzig Thalern und mehr nach unserem Gelde. Von El-Obeid ziehen auf Schleichwegen durch die östlichen und westlichen Wüsten, oft aber auch ganz frech auf Nilbarken (oben leichte Waarenballen und unten im Raume die gefesselten Unglücklichen) die Händler nach Norden weiter. Was unterwegs stirbt, wird einfach in den Fluß geworfen oder im Sande liegen gelassen; selbst bei fünfzig Procent Verlust ist der Gewinn noch immer ein außerordentlich großer, wie ihn kein anderes Handelsgeschäft abwirft.

Die Jagd auf den schwarzen Mann und der Handel mit Menschenfleisch haben allen Gesetzen zum Hohn bis auf die neueste Zeit in jenen Ländern fortgewuchert, und da die Ausübung derselben sich in den letzten Jahren vor dem Auge der höheren Beamten verborgen halten mußte, so waren die Opfer des Sclavenhandels der Willkür der Händler preisgegeben. In dem sudanesischen Volke gab es und giebt es keine öffentliche Meinung, die zu Gunsten der Unglücklichen sich erheben würde. Seit unvordenklichen Zeiten galt der Sclavenhandel als erlaubt, er bildete in den Augen der Betheiligten ein „Recht“, dessen Scheußlichkeit den barbarischen Stämmen mindestens ebenso unbegreiflich war, wie einst den civlisirten Sclavenhaltern Nordamerikas.

Unter diesen Umständen muß man zu der Annahme hinneigen, daß Gordon durch seine Proclamation, auf die wir in unserem ersten Artikel hinwiesen, keineswegs den Sclavenhandel als solchen in Schutz nimmt und von Neuem autorisirt, sondern daß er nur die Sclaven selbst und ihren Besitz gesetzlichen Regeln unterwerfen und somit der bisherigen Willkür in ihrem An- und Verkauf sowie in ihrer Behandlung Schranken ziehen will. Vielleicht versucht er auf diese Weise einen Uebergang von den jetzigen trostlosen Zuständen zur gänzlichen Aufhebung der Sclaverei zu schaffen. Ob ihm dies gelingen wird und ob die jetzigen Wirren im Sudan in absehbarer Zeit zu einem für die unglücklichen Völker gedeihlichem Ende geführt werden können, diese Frage auch nur mit annähernder Sicherheit zu beantworten, scheint uns selbst für die mit den Verhältnissen Vertrauten ein Ding der Unmöglichkeit.




Blätter und Blüthen.


Wie man wider Willen zum Propheten wird.

Die letzte Arbeit von Dr. A. Bernstein.

Das im Jahre 1883 stattgehabte fünfzigjährige Jubliäum der Telegraphie ruft in meinem Gedächtniß sehr lebhaft eine Erinnrerung an eine Scene wach, in welcher ich durch den Scherz und die Heiterkeit eines Freundes gezwungen wurde, etwas drucken zu lassen, wogegen sich mein Gewissen sträubte. Es war dies eine Prophezeiung, die ich in Begeisterung niedergeschrieben hatte, an deren Wahrheit ich aber zweifelhaft wurde, als ich sie im Correcturhogen vor mir liegen sah.

Bekanntlich hatten im Jahre 1833 die Professoren Gauß und Weber in Göttingen den glücklichen Gedanken, den elektrischen Strom durch eine Leitung zur Abgabe von Zeichen zu benutzen. Sie bedienten sich hierzu der Eigenschaft des Stromes, die Magnetnadel eines Galvanometers bald rechts bald links von ihrer natürlichen Lage abzulenken, wenn man den Strom in der einen oder in der anderen Richtung durch die Leitung gehen läßt. Freilich konnte man auf diesem Wege nur zwei verschiedene Zeichen geben, aber durch die Combination und Wiederholung dieser Zeichen war man im Stande ganze Worte zu telegraphiren.

Indessen vergingen fast zwei Jahre, bevor man diese höchst interessante Erfindung näher beachtete, obwohl man in Gelehrtenkreisen sehr erstaunt war über die Genauigkeit, mit welcher diese Nadeltelegraphie zwischen dem physikalischen Laboratorium Weber’s und der Sternwarte Gauß’s in Göttingen fungirte.

Im Jahre 1834 wurde ich von Professor Gubitz zur Mitarbeiterschaft an dem von ihm herausgegebenen Blatte „Der Gesellschafter“ engagirt und schrteb da Novellen, Kritiken und Theaterrecensionen nach Herzenslust, wie das ein junger Mensch von zweiundzwanzig Jahren in jenen stillen unpolitischen Zeiten naturgemäß trieb. Als besondere Arbeit lag mir ob, auch noch Artikel für eine literarische Beilage zu schreiben, welche immer Freitags in die Druckerei geschickt werden mußte, um Sonntags dem Hauptblatte beigelegt werden zu können. Bei diesen Artikeln und Betrachtungen ließ ich sehr gern meiner literarischen Neigung und Phantasie die Zügel schießen. Da kam mir denn eines Tages die nähere Kunde von der elektrischen Telegraphie, welche Gauß und Weber für sich eingerichtet hatten. Mich begeisterte diese Erfindung dermaßen, daß ich mich am liebsten gleich auf den Weg nach Göttingen gemacht hätte, um das Wunder mit eignen Augen sehen zu können.

Je weniger ich dergleichen auszuführen im Stande war, um so lebhafter flammte in mir die Begeisterung auf, dieser Erfindung den schnellsten Triumph zu prophezeien. Und das that ich denn auch wirklich in dem nächsten Artikel, den ich für das Beiblatt des „Gesellschafter“ schrieb. Ich sagte dieser Erfindung die größte Zukunft vorans, schrieb, daß sie weit über Zeit und Raum hinweg die Gedanken der Menschen zu Menschen leiten werde, wie ehedem nur die Gottheit ihre Offenbarungen uns armen Sterblichen verkündet habe. Meine Seelenergüsse über dieses interessante Thema schickte ich denn eines schönen Mittwochs in die Druckerei, woselbst sie mir richtig Freitags in der Literatur-Beilage in siebenzehn enggedruckten Zeilen wieder vor Augen kamen.

Als ich in der Correctur diese meine schwärmerischen Auslassungen überblickte, überfiel mich der Zweifel daran, und ich fürchtete, mich lächerlich zu machen, wenn ich ein Experiment, das über ein paar Häuser einer Stadt hinweg glücklich gelungen war, nun sofort als eine für Straßen, Städte, Länder und Völker brauchbare Einrichtung hinstellen, ja als eine die ganze Menschheit umfassende Errungenschaft hochpreisen würde. Und nun gar meine gottlose Speculation über Zeit, Raum und göttliche Offenbarung, die konnte mir noch gerade die Verfolguug des Censors eintragen, wodurch das Erscheinen der literarischen Beilage für den nächsten Sonntag möglicher Weise verhindert werden könnte. Ich entschloß mich daher schnell, die siebenzehn Zeilen des Textes aus der Mitte der Beilage durch einen Strich zu beseitigen, und gerieth nun dadurch in die Verlegenheit,

die Lücke durch irgend eine literarische Notiz auszufüllen. Ich griff zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_275.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2021)