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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Du mußt mir doch in der Sache Recht geben, Lott, das Kind hat in sündhaftem Uebermuthe ihr Glück mit Füßen getreten.“

„Ja, Ratenowchen – aber –“

„Aber? Hier giebt’s kein ‚Aber‘, dächte ich –; jetzt laß sie ausessen, was sie sich eingebrockt. – Sich und uns Alle so zu compromittiren!“

„Ratenowchen, wie kannst Du nur so sprechen!“ schloß Tante Lott dann weinerlich; „wie kannst Du nur ihre Briefe nicht lesen wollen! Sie schreibt so, daß mir die Thränen in die Augen kommen, wenn ich sie mlr ansehe.“

Und dann erfolgte keine Antwort, und das Gespräch war einmal wieder vorüber, um nach ein paar Tagen just wieder so zu beginnen und zu enden.

Tante Lott correspondirte sehr fleißig mit dem armen Liebling. Sie berichtete jede Kleinigkeit von der Burg und beförderte gewissenhaft alle Grüße an ihre Adresse, die Else ihr auftrug. Nur einen Wunsch konnte sie dem Kinde nicht erfüllen; ein freundliches Wort von Tante Ratenow für sie erlangte das alte Fräulein nicht. Und ob der Bennewitzer nicht allzu böse auf Else sei, darüber konnte sie sich auch keine Gewißheit verschaffen.

Der Bennewitzer war völlig undurchdringlich. Er kam nach wie vor zu Frau von Ratenow, und neuerdiugs spielten sie Schach zusammen. Er rauchte im Salon ruhig seine Cigarre und überraschte einst die alte Dame mit der Mittheilung, daß er sich zu Hause jetzt, wie ein richtiger Großpapa, Schlafrock und lange Pfeife angeschafft habe.

„Aber bester Hegebach!“ Frau von Ratenow sah ihn ungläubig an; er war noch so jung und so hübsch in ihren Augen; dabei kam es ihr aber doch vor, als säßen an den Schläfen dort bedenklich viel graue Haare. Nach Else hatte er nie wieder gefragt. Wenn aber Tante Lott, die auf des Mädchens Bitten die Gräber der Eltern hin und wieder besuchte, an die Hügel kam, so waren sie immer mit den schönsten Blumen geschmückt, und die Todtengräberfrau erzählte, das lasse der Bennewitzer Herr thun. Tante Lott hatte dies gewissermaßen gern gehört und ihm einmal dafür gedankt. „Wozu das?“ fragte er da, „es sind ja meine Verwandten!“

Im Uebrigen war Alles beim Alten auf der Bnrg. Frieda hatte jetzt eine Gouvernante für die Kinder, tanzte und ging in Gesellschaft noch ebenso gern, wie im vorigen Jahre. Moritz spielte sein Whist und hielt sein Plauderstündchen mit der Mutter, – nur der Zankapfel war aus dem Hause verschwunden. Der leichte Mädchentritt erscholl nicht mehr auf der Treppe; sie konnte so hübsch die Treppe hinuntergehen, die Else; es war eigentlich kein Gehen, es war ein Fliegen oder Huschen, die schöne Gestalt war plötzlich unten, man wußte nicht wie. Sie sang nicht mehr ihre kleinen Lieder im Salon und spielte nicht mehr Verstecken mit den Kindern in den tiefen Fensternischen. Es fehlte doch etwas, etwas Holdes, Liebliches, das empfanden sie Alle; aber Keiner sprach es aus. Zuweilen nur meinte Tante Lott in der Dämmerung, die Thür müsse aufgehen und sie hereinspringen und mit der hellen klingenden Stimme „Tantchen Lott, liebes Tantchen Lott!“ sagen. Und zuweilen schrak Frau von Ratenow empor, dann hörte sie auch jene Stimme, aber angstvoll und flehend: „Tante, nur ein Wort, ein Wort!“ Und dann ward ihr so unsagbar zu Muthe, halb zornig, halb weh.

Nein! Wenn allerwege noch etwas aus dem Mädchen werden sollte, so mußte die Strenge sie ziehen. Der Bennewitzer war sicher auch ihrer Meinung; und sie könute vielleicht doch noch nachgiebig werden in dem melancholischen Neste dort.

Heute. war es still im Hause; Frieda und Lili waren vorhin bei der alten Dame gewesen, um sich zu zeigen in knisternder schwerer Seide, in Blumen und Spitzen, in dem vollsten Glanz einer Festtoilette; Beide ganz gleich in Hellblau und Silber, bis auf die zierlichen Stiefelchen. Sie hielten Wagenräder von Bouquets in den Händen, und die gelbliche gloire de Dijon schaute aus dem dunklen Haar und schmückte den Ausschnitt der Kleider.

Annie Cramm heirathete heute.

Die Trauung sollte um drei Uhr stattfinden, das Diner um vier Uhr, und die ganze Stadt war auf den Füßen, um brautschauen zu gehen. Man hatte sich so fabelhafte Dinge erzählt von der Pracht, die dort zu sehen sei, und Tante Lott saß schon seit halb zwei Uhr in der Kirche, um ja noch einen guten Platz zu bekommen.

Die alte Frau von Ratenow war ganz allein; sie dachte an das Brautpaar, das eben getraut wurde, und was für ein erbärmlich Ding von einer Frau doch eigentlich diese Annie Cramm sei, und wenn sie noch soviel Spitzen und Brocat an sich habe. Das würde nun so ein gleichgültiges Nebeneinanderher, eine Ehe ohne Salz und Schmalz. Nun, sie wollten’s nicht besser, und – sie können sich ja das Leben so behaglich machen; Sorgen haben sie wenigstens nicht. Und ihre Gedanken flogen zu Else; sie sah das Mädchen neben Bernardi, und sie hörte ihr Lachen, und unwillkürlich drängte ihre Phantasie die Beiden an Stelle des andern Paares, das wohl jetzt an der reichbesetzten Tafel im Hochzeitshause die Ehrenplätze einnahm. Und plötzlich stand diese Tafel drüben in der Halle, und sie saß ihnen gegenüber, und –

„So ein Unsinn!“ Sie räusperte sich ganz laut und begann zu stricken. Aber das Bild war so reizend, es kam wieder. Als ob es etwas Schöneres giebt, wie so ein junges, eben getrautes Paar, das sich von Herzen lieb hat!

„Ja, ja, die Else war doch eigentlich nicht schlechter, als die Annie Cramm – nur kein Geld hatte sie. Unsinn! Man soll eben den Verhältnissen Rechnung tragen.“

Es wurde allmählich dämmerig, da rollte ein Wagen auf den Hof.

„Der Bennewitzer? Ei, ich meine, er ist zum Diner?“ – Aber da kam er schon herein und küßte ihr die Hand. „Was denn?“ fragte sie. „Ist’s schon vorbei?“

„O, nicht doch, Gnädigste,“ und er zog sich den Stuhl ganz nahe an den Fensterplatz der alten Dame. „Ich halte nur Sehnsucht, mit Ihnen zu plaudern, Ihnen mein Herz auszuschütten.“

Sie horchte auf endlich sprach er! Sie konnte Else entschuldigen, sie konnte – Herr Gott – vielleicht – sie wagte nicht, es auszudenken.

„Das Diner war wirklich vorzüglich und die Weine exquisit; man muß es dem alten Commerzienrath lassen, er hat Geschmack. Uebrigens ein merkwürdiger Mann, der Bräutigam respective junge Ehemann; beim Dessert verließ er plötzlich seine schönere Hälfte und setzte sich zu mir.“

„Allerdings merkwürdig!“ gab die alte Dame zu.

„Ja, nicht wahr? Er spricht indessen nicht schlecht, hat vernünftige Ansichten und scheint praktisch.“

„Das hat er heute bewiesen,“ bemerkte Frau von Ratenow trocken.

„Wie? Ach so – na ja – chacun à son goût. - Er sprach übrigens auch von Else.“

Da war es heraus, endlich ihr Name von seinen Lippen!

„Sie hatte nämlich gestern ein kleines Präsent geschickt. Aber davon wollte ich ja gar nicht reden mit Ihnen, gnädige Frau, verzeihen Sie die Abschweifung.“

Frau von Ratenow sah ihn verdutzt an; hatte der Bennewitzer zu viel von dem „exquisiten“ Weine?

„Ich weiß nicht, ob Sie sich in meine Lage versetzen können,“ fuhr er fort, behaglich rauchend, „ich glaube es fast nicht – oder doch? Die Frauen haben darin etwas voraus, sie sind mitleidiger, als das sogenannte starke Geschlecht. Ich fühle mich so unsäglich vereinsamt; ich weiß nicht, für wen ich arbeite und lebe; es ist, als ob mein ganzes Haus mich melancholisch ansieht, als ob jede Kaminöffnung den Mund zu einem ungeheurer Gähnen aufthut, um mich zu fragen: wozu sind wir eigentlich da? Es kann nicht mehr so fortgehen, Gnädigste, denn es macht körperlich und geistig krank.“ Er schwieg einen Augenblick. „Auf dem Halse hab’ ich das Bennewitz ja doch, und da ist mir nun der Gedanke gekommen, noch einmal –“

Er verstummte. Die Asche seiner Cigarre war abgefallen und glimmend auf seine Kleider und den Teppich gestiebt; er schnippte sie mit den Fingern ab und trat die Funken aus.

„Zu heirathen –“ ergänzte die alte Dame gepreßt.

„Nein!“ sagte er kurz, und lehnte sich in den Stuhl zurück.

Frau von Ratenow fuhr herum und sah ihn an; es war schon zu dunkel, sie konnte nur erkennen, daß er an ihr vorüber wieder zum Fenster hinausschaute.

„Nein?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_258.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2021)