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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Natürlich hatte er die Beweggründe dieser einsiedlerischen Neigung von Anfang durchschaut. Wie er den Sohn kannte, wäre es vergeblich gewesen, ihn zur Rede zu stellen; Alberto hätte ihm hocheeröthend in’s Antlitz gestarrt und keine Silbe der Entgegnung gefunden. Wohl aber sprach Silvio rückhaltslos mit Maria, und diese, anfangs erstaunt und dann, wie es schien, recht wohl geneigt, ihm Gehör zu geben, ward plötzlich rebellisch: denn in diese Zeit fiel der erste Besuch des Apuliers ...

Nun kam für Alberto eine Reihe unerhörter Gemüthsbewegungen. In starrer Verzweiflung folgte er den Phasen dieses Verhältnisses; denn ob sein Vater auch schwieg: der Knabe, der dem Einsiedler beim Fischen half, erzählte ihm in seiner Harmlosigkeit mehr, als er zu wissen begehrte. – Zum ersten Male, seit er dachte und fühlte, goß sich etwas wie Haß durch die Brust Alberto’s. Das Vorurtheil des Inselbewohners gegen den Fremdling, der auf die Tochter Capri’s kein Recht hatte, trug dazu bei, diese Empfindung zur Wuth zu steigern. – Er hätte den glücklichen Nebenbuhler erdrosseln, er hätte ihm an den Klippen des Felseneilandes die übermüthige Stirn zerschmettern mögen!

Zwischen solchen Momenten des innern Aufruhrs lagen dann viele Tage schmerzlich-stiller Entsagung und phantastischer Wehmuth. Alberto hatte entdeckt, daß ein Stück Poet in ihm schlummere; wenigstens war ihm jede Zeile seines Petrarca aus der Seele geschrieben, und wenn er des Abends sein Lager aufsuchte, klangen die Verse, die er gelesen, in hundertfacher Variation durch sein Hirn, und es drängte ihn, Aehnliches aus dem Eignen zu schaffen und es mit Zügen zu schmücken, die an die schönen Tage seiner ersten Jugend erinnerten.

Eine so traumhafte Stimmung beherrschte ihn auch in jener Nachmittagsstunde vor seiner Hütte. Um diese Zeit kam selten Jemand über den Bergrücken. So brauchte er nicht geheim zu thun mit seiner Lectüre. Ohne Scheu saß er auf dem niedrigen Felsstück, das ihm die Stelle der Bank vertrat, – mit einem Ausdruck der Sicherheit, als sei das Alles ringsum – der Strand, die zerklüfteten Bergwände, die umbrandeten Klippen und landeinwärts die fernen Olivengärten und Vignen – nur die Decoration seiner Bühne, nur der Zubehör seines verschwiegenen Heims.

Von Zeit zu Zeit hob er den Blick von den halb vermoderten Blättern und schaute sinnend ins Blau der offenen See, die, eine scharf begrenzte Wand, vor ihm aufstieg, ohne Segel, einsam und schweigend, ein rechtes Bild seines stillen, abgesonderten Daseins.

Da raschelte von dem Pfad, der in mannigfachen Windungen über den Kamm führte, etwas Geröll über die Böschung. Aufhorchend vernahm Alberto dann Schritte. Er schob das Buch in die Tasche und machte Anstalten, die Fremdlinge zu empfangen; denn er vermuthete, es seien Inglesi, die seiner Dienste bedürften. Blaß aber und ohne die Fähigkeit, sich zu regen, blieb er auf halbem Weg stehen: die da leichtfüßig über die rohen Felsstufen herabschritt, war seine heißgeliebte Maria, und hinter ihr stirnrunzelnd, als ob ein schwerer Gedanke ihn ganz gebannt hielte – kam Salvatore, der verhaßte Apulier.

Das war zuviel! Hatte er sich um deswillen hier in die Wildniß der Felsenküste geflüchtet, damit die grausame Zingarella ihm nachzöge, um ihr Glück ihm zu zeigen und ihn vor den Augen des Nebenbuhlers zu höhnen? Oder was wollte sie sonst, die Undankbare, die immer schöner wurde, je mehr sie sein Herz bluten ließ? Aber sie sollte sich irren, falls sie den Knaben zu finden hoffte, dem ihre übermüthige Kinderhand einst ins Auge geschlagen! Wenn’s denn nicht anders war, wenn man den Streit und die Rache ihm aufdrängte – so mochten sie ernten, was sie gesäet hatten! Wie der Blitz konnte er den Apulier ergreifen, ihn herüberzerren zum Abgrund, wo die Felswand lothrecht in die brandende See fiel, und dann – ein letzter Ruf: „Maria, Dich allein habe ich bis zum Tode geliebt!“ – und hinab in die grausige Tiefe! Mochte die Meerfluth so die zerschmetterten Glieder des Glücklichen wie des Verschmähten in tödtlicher Umarmung begraben!

Das zuckte ihm so heiß durch den Sinn. Unwillkürlich strafften sich ihm die Muskeln.

Da klang ihr Gruß an sein Ohr, und alle Wuth und Qual schmolz dahin. Diese Stimme war allmächtig über sein Herz; sie verzauberte ihn so vollständig, daß jede Erinnerung an das Erlittene verlosch, daß er selbst für den Apulier nicht einen Schimmer von dem herausfordernden Blick übrig hatte, mit dem er den Gegner erwarten wollte.

„Du bist’s, Marie?“ sagte er beinahe demüthig. „Was führt Dich hierher – und wen hast Du da bei Dir?“

„Salvatore Padovanino, meinen Verlobten,“ versetzte Maria. „Er kommt von Neapel, um das Meer zu genießen, – nicht nur den Golf, und deshalb komme ich zu Dir: Du sollst uns die Barke leihen – ich will ihn rudern.“

„Ich grüße Euch!“ sprach der Apulier, zu Alberto herantretend. „Die Zingarella hat mir Manches von Euch erzählt; Ihr seid ihr Vetter, und so – wenn Gott will – bald auch der meinige. Hier, meine Hand!“

Alberto zögerte; aber das Auge der Zingarella sah ihn so freundlich und doch so gebietend an, daß er sein Herz bezwang. So reichte er denn, einen schweren Seufzer verschluckend, dem Apulier die Rechte.

„Wo liegt die Barke?“ frug Salvatore.

Alberto deutete schweigend die Stufen hinab nach einer kleinen Bucht, wo am Rande der schmalen Uferfläche ein Pflock aufragte.

„Dort hinter dem Buschwerk,“ sagte Maria. „Du verlierst doch nichts, guter Alberto? Nach der Stadt zu wenigstens sah ich Niemand, und von Anacapri her kommt selten ein Fremdling. Du weißt“ – fuhr sie erröthend fort – „wie’s vom Apostel heißt: Gold und Silber habe ich nicht ...!“

Alberto machte eine Bewegung, als rede sie thöricht, da es doch klar auf der Hand liege, daß er von ihr, seiner Jugendgespielin, keine Bezahlung annehme. Der Apulier aber nagte heftig die Lippen. Ein dunkles Roth ergoß sich über sein Antlitz: die Scham der Armuth, die sich gedemüthigt sieht. Er besaß in der That nur gerade so viel, um die Rückfahrt nach Neapel bestreiten zu können. – Wie ein Mensch, dem der Boden unter den Füßen brennt, fragte er unsicher, ob die Kette der Barke mit dem Schlüssel befestigt sei, und da Alberto verneinte, eilte er hastig die Stufen hinab, seine Braut mit kurzem Zuruf bedeutend, daß sie ihm folgen möge.

Die Zingarella jedoch verweilte noch einige Augenblicke bei ihrem Vetter.

„Weißt Du, Alberto,“ sagte sie, „daß ich Dir’s übel nehme? Hier in der Einsamkeit muß ich Dich aufsuchen, um Salvatore mit Dir bekannt zu machen, und viermal schon ist er seit jenem ersten Tage auf Capri gewesen. Was hast Du nur? Wir waren ehedem Freunde, Alberto; ja, ich glaube, nächst der guten Bertalda meint es Keiner auf der ganzen Insel so ehrlich mit mir, wie Du. Soll denn das Alles vorüber sein? Du bist so gut, und mehr als Eine würde sich glücklich schätzen, wenn Du ihr einen Blick gönntest. Giulietta zum Beispiel! Also laß die Kopfhängerei und gieb mir offen und ehrlich die Hand, – nicht so bang und verstört, wie Du sie eben meinem Apulier gereicht hast, sondern geradezu und von Herzen. Du wirst schon wieder froh werden, wenn’s denn wahr ist, was Dein Vater behauptet.“

„Oh! Wie konnte er . . .!“

„Hat er sich gar getäuscht . . .? Um so besser für Dich! Gleich das erste Mal gab ich ihm rundweg zur Antwort: er müsse wohl träumen; wenn es so wäre, dann hätte ich all die Jahre her doch was merken müssen. Aber wie er nun ist: er bestand darauf!“

„Er hat die Wahrheit gesprochen,“ fuhr Alberto heraus. „Ja – Du . . . Du . . .“

Er wandte sich nach dem Eingang der Hütte. Sein Herz pochte; sein Auge umdunkelte sich. Er fühlte, daß er nicht mehr im Stande war, sich zu bändigen. Eine Secunde noch, und er wäre vor der grausamen Zingarella auf den steinigen Boden gestürzt und hätte sein thränenbeströmtes Antlitz wider den Saum ihres Kleides gepreßt.

Er trat in die Hütte. Maria folgte ihm.

„Alberto,“ sagte sie mild, „zürne mir nicht, wenn das Schicksal uns trennt! Oder nein –: was red’ ich von Trennung! Vereint wollen wir bleiben, wenn auch anders, als Dein treues Herz es geträumt hat. Gieb mir die Hand, Alberto! Versprich mir, daß Du mir immer gut sein willst – wie ein Freund, wie ein Bruder, und daß Du um meinetwillen die Eifersucht auf den Apulier bezwingen willst! Siehst Du“ – ihre Stimme ward

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_247.jpg&oldid=- (Version vom 2.1.2021)