Seite:Die Gartenlaube (1884) 232.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Heinrich Heine.
Nach einem von M. Oppenheim im Jahre 1831 gemalten Portrait.
Original im Besitz von Julius Campe in Hamburg.

Das waren arme Leute jedes Alters, die bis in den Vorsaal Queue machten. Einer nach dem andern kam seine Tüte in Empfang zu nehmen, und mancher erhielt zwey: die große Tüte enthielt das Privatalmosen meines Vaters, die kleinere das Geld der Armenkasse.

Ich saß auf einem hohen Stuhle neben meinem Vater und reichte ihm die Tüten. Mein Vater wollte nemlich, ich sollte lernen, wie man giebt, und in diesem Fache konnte man bey meinem Vater etwas tüchtiges lernen.[1]

Viele Menschen haben das Herz auf dem rechten Fleck, aber sie verstehen nicht zu geben, und es dauert lange, ehe der Wille des Herzens den Weg bis zur Tasche macht; zwischen dem guten Vorsatz und der Vollstreckung vergeht langsam die Zeit wie bey einer Postschnecke. Zwischen dem Herzen meines Vaters und seiner Tasche war gleichsam schon eine Eisenbahn eingerichtet. Daß er durch die Akzionen[2] solcher Eisenbahn nicht reich wurde, versteht sich von selbst. Bei der Nord- oder Lyon-Bahn ist mehr verdient worden.

(Fortsetzung folgt.)



  1. Alfred Meißner erzählt in seinen „Erinnerungen an Heinrich Heine“ (Hamburg, Campe, 1856) aus genauer Kenntniß: „Zahllose Flüchtlinge haben seine wohlthätige Hand empfunden, ohne daß er gefragt hätte, welcher Partei sie angehörten, wenn sie sogar aus einem Lager kamen, dessen Fahne er verspottete und in dessen Reihen ihm feindliche Kämpfer nisteten. Zu jeder Geldsammlung für irgend ein edles oder unverschuldetes Unglück steuerte er mit, beinahe mehr als seine Mittel es gestatteten, und sagte dabei lächelnd und wie zur Entschuldigung: ‚Ich liebe von Zeit zu Zeit meine Visitenkarte bei dem lieben Herrgott abzugeben.‘“ (S. 213.)
  2. Gallicismus anstatt „Aktien“ – wie denn überhaupt in diesen Memoiren, gleichwie in Heine’s sämmtlichen späteren Prosaschriften, der Einfluß der täglich und stündlich gehörten fremden Landessprache sich fühlbar macht. In seiner Schrift über Börne sagt Heine von dieser sprachlichen Verbannung: „Glücklich sind die, welche in den Kerkern der Heimath ruhig hinmodern, denn diese Kerker sind eine Heimath mit eisernen Stangen, und deutsche Luft weht hindurch, und der Schlüsselmeister, wenn er nicht ganz stumm ist, spricht er die deutsche Sprache! – Es sind heute über sechs Monde, daß kein deutscher Laut an mein Ohr klang, und Alles, was ich dichte und trachte, kleidet sich mühsam in ausländische Redensarten. – Ihr habt vielleicht einen Begriff vom leiblichen Exil, jedoch vom geistigen Exil kann nur ein deutscher Dichter sich eine Vorstellung machen, der sich gezwungen sähe, den ganzen Tag französisch zu sprechen, zu schreiben. Auch meine Gedanken sind exiliert, exiliert in eine fremde Sprache.“ (Werke XII, S. 227.)
    Auch in dem erwähnten Buche Meißner’s wird eine Aeußerung Heine’s über dasselbe Elend wiedergegeben: „Ich deutscher Waldvogel, gewohnt sein Nest aus dem buntesten und einfachsten Material zusammenzubauen – ich niste da in der Allongeperüque Voltaire’s.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_232.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)