Seite:Die Gartenlaube (1884) 230.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Dort im Angesichte der unermeßlichen Felswände, wenn mein heißes Blut sich gekühlt hat – Du ahnst nicht, Maria, wie mir’s hier in den Schläfen hämmert! – dort sollst Du erfahren, was ich Dir sagen kann!“

Sein Mund zuckte, als er so sprach; die Augen dunkelten wie eine schwüle Gewitternacht. Da er, bei Seite tretend, sich zum zweiten Mal das Glas füllte, zitterte seine Hand heftig, sodaß er eine breite röthliche Weinlache über den Tisch goß.

Maria war zu beklommen, um Zeit zu der Erwägung zu finden, daß die einzige Barke, die am Südgestade zu haben war, ihrem Vetter Alberto Petagna gehörte und daß es grausam sei, den ehrlichen Jungen, der zu vergessen bemüht war, in seiner Einsamkeit aufzustören.

„Gut!“ versetzte sie, als der Apulier ihr jetzt voll in’s Gesicht sah. „Auch mir ist’s seltsam bänglich und dumpf hier in der niedrigen Stube! Was hast Du nur, Salvatore? Wie schaust Du mich an? Bei Gott, Du führst Größeres im Schilde als den Albergo am Aschenkegel!“

Sie trat zur Bettstatt, wo unter dem Bildniß der Gottesmutter zwei Palmen gekreuzt über einander hingen.

„Der Erzbischof selber hat sie geweiht,“ sagte sie, von der größern die Spitze abbrechend. „Hier, hefte das an die Brust: das wird uns Glück bringen und gute Gedanken! Und nun komm, damit wir vor Dunkelheit wieder zurück sind!“

Sie hing sich an seinen Arm. So verließen die Beiden das Haus.

(Fortsetzung folgt.)

Heinrich Heine’s Memoiren über seine Jugendzeit.

Herausgegeben von Eduard Engel.

Nachdruck verboten. Uebersetzungsrecht vorbehalten.

VI.

Harry ist bei den Engländern der familiäre Namen Derjenigen, welche Henri heißen, und er entspricht ganz meinem deutschen Taufnamen „Heinrich“. Die familiären Benennungen des letztern sind in dem Dialekte meiner Heimath äußerst mißklingend, ja fast scurril, z. B. Heinz, Heinzchen, Hinz. Heinzchen werden oft auch die kleinen Hauskobolde genannt und der gestiefelte Kater im Puppenspiel und überhaupt der Kater in der Volksfabel heißt „Hinze“.

Aber nicht um solcher Mißlichkeit abzuhelfen, sondern um einen seiner besten Freunde in England zu ehren, ward von meinem Vater mein Name anglisirt. Mr. Harry war meines Vaters Geschäftsführer (Korrespondent) in Liverpool; er kannte dort die besten Fabriken, wo Velveteen fabrizirt wurde, ein Handelsartikel, der meinem Vater sehr am Herzen lag, mehr aus Ambizion als aus Eigennutz, denn obgleich er behauptete, daß er viel Geld an jenem Artikel verdiene, so blieb solches doch sehr problematisch, und mein Vater hätte vielleicht noch Geld zugesetzt, wenn es darauf ankam, die Velveteens in besserer Qualität und in größerer Quantität abzusetzen als seine Kompetitoren.[1] Wie denn überhaupt mein Vater eigentlich keinen berechnenden Kaufmannsgeist hatte, obgleich er immer rechnete, und der Handel für ihn vielmehr ein Spiel war, wie die Kinder Soldaten oder Kochen spielen.

Seine Thätigkeit war eigentlich nur eine unaufhörliche Geschäftigkeit. Der Velveteen war ganz besonders seine Puppe, und er war glücklich, wenn die großen Frachtkarren abgeladen wurden, und schon beim Abpacken alle Handelsjuden der benachbarten Gegend die Hausflur füllten; denn letztere waren seine besten Kunden und bei ihnen fand sein Velveteen nicht bloß den größten Absatz sondern ehrenhafte Anerkennung.

Da Du, theurer Leser, vielleicht nicht weißt, was „Velveteen“ ist, so erlaube ich mir, Dir zu erklären, daß dieses ein englisches Wort ist, welches sammtartig bedeutet, und man benennt damit eine Art Sammt von Baumwolle, woraus sehr schöne Hosen, Westen und sogar Kamisöle verfertigt werden. Es trägt dieser Kleidungsstoff auch den Namen „Manchester“, nach der gleichnamigen Fabrikstadt, wo derselbe zuerst fabrizirt wurde.

Weil nun der Freund meines Vaters, der sich auf den Einkauf der Velveteens am besten verstand, den Namen Harry führte, erhielt auch ich diesen Namen, und Harry ward ich genannt in der Familie und bey Hausfreunden und Nachbarn.

Ich höre mich noch jetzt sehr gern bei diesem Namen nennen, obgleich ich demselben auch viel Verdruß, vielleicht den empfindlichsten Verdruß meiner Kindheit verdanke. Erst jetzt, wo ich nicht mehr unter den Lebenden lebe und folglich alle gesellschaftliche Eitelkeit in meiner Seele erlischt, kann ich ohne Befangenheit davon sprechen.[2]

Hier in Frankreich ist mir gleich nach meiner Ankunft in Paris mein deutscher Namen „Heinrich“ in „Henri“ übersetzt worden, und ich mußte mich darin schicken und auch endlich hier zu Lande selbst so nennen, da das Wort Heinrich dem französischen Ohr nicht zusagte, und überhaupt die Franzosen sich alle Dinge in der Welt recht bequem machen. Auch den Namen Henri Heine haben sie nie recht aussprechen können und bei den meisten heiße ich Mr. Enri Enn; von vielen wird dieses in ein Enrienne zusammengezogen, und einige nannten mich Mr. Un rien.

Das schadet mir in mancherley literärischer Beziehung, gewährt aber auch wieder einigen Vortheil. Z. B. unter meinen edlen Landsleuten, welche nach Paris kommen, sind manche, die mich gern hier verlästern möchten, aber da sie immer meinen Namen deutsch aussprechen, so kommt es den Franzosen nicht in den Sinn, daß der Bösewicht und Unschuldbrunnenvergifter, über den so schrecklich geschimpft ward, kein andrer als ihr Freund Monsieur Enrienne sey, und jene edlen Seelen haben vergebens ihrem Tugendeifer die Zügel schießen lassen; die Franzosen wissen nicht, daß von diesem die Rede ist, und die transrhenanische Tugend hat vergebens alle Bolzen der Verleumdung abgeschossen.

Es hat aber, wie gesagt, etwas mißliches, wenn man unsern Namen schlecht ausspricht. Es giebt Menschen, die in solchen Fällen eine große Empfindlichkeit an den Tag legen. Ich machte mir mal den Spaß, den alten Cherubini zu befragen, ob es wahr sei, daß der Kaiser Napoleon seinen Namen immer wie Scherubini und nicht wie Kerubini ausgesprochen, obgleich der Kaiser des Italienischen genugsam kundig war, um zu wissen, wo das italienische ch wie ein que oder k ausgesprochen wird. Bei dieser Anfrage expektorirte sich der alte Maestro mit höchst komischer Wuth.

Ich habe dergleichen nie empfunden.

Heinrich, Harry, Henri – alle diese Namen klingen gut, wenn sie von schönen Lippen gleiten. Am besten freylich klingt Signor Enrico. So hieß ich in jenen hellblauen mit großen silbernen Sternen gestickten Sommernächten jenes edlen und unglücklichen

  1. „Concurrenten“, um ein bekannteres Fremdwort zu gebrauchen.
  2. Diese Stelle wird später in breiterer Ausführung wiederholt, wie denn unser Manuscript an manchen Stellen zeigt, daß der Verfasser es keiner ordnenden, abgleichenden Durchsicht unterzogen. Sonst hätte er ja auch die wohl auf einem Schreibfehler beruhende Verwechselung der Großväter Goethe’s von väterlicher und mütterlicher Seite (vergl. Nr. 11, S. 180) bemerken müssen. Goethe’s Mutter war bekanntlich die Tochter des Frankfurter Stadtschultheißen J. W. Textor, sein Vater Dr. jur. J. K. Goethe der Sohn des als Schneidergeselle in Frankfurt eingewanderten, späteren Gastwirths F. G. Goethe.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_230.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)