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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

a Deandl is da mit so a fünf Jahr’ und a kleiner Bua – so a lieber Kerl – ja – der thät’ Dir selber g’fallen. Was meinst?“

„Ganz wie D’ willst! Du wirst schon ’s Rechte finden!“

„Und nachher im Fruhjahr – so gegen Pfingsten – da hätt’ ich g’meint, daß wir mit einander – oder – oder meinst net? Meinst ’leicht – erst später ’naus? Weißt – Dispenz wär’ schon zum kriegen – weil halt so allein stehst. Geh, Schatzerl, mein lieb’s – geh – red’ – weißt, bei so ’was muß man schon selbander reden!“

„Geh, Festei – na – heut’ net, schau – an andersmal!“ stammelte Nannei, das unter Thränen erglühende Antlitz an der Brust des Jägers bergend, der seine Arme fest um ihren Nacken schlang. „Mein – wie könnt’ ich mich jetzt freuen, wann mein Mutterl, mein gut’s, halt noch dabei wär’!“ schluchzte sie nach einer Weile – dann hob sie den Kopf und fuhr sich mit beiden Handballen gleichzeitig über Augen und Wangen. „Und – und mein Dschapei, mein arms – wann uns das jetzt so sehen könnt’, so z’sammg’hörig – meinst net? – das hätt’ g’wiß auch a rechte Freud’ dran!“

„Ja – g’wiß – g’wiß!“ betheuerte Festei. „Aber weißt – mich selber – mich freut’s halt schon am meisten!“

Er hätte sie gerne geküßt – da aber streifte sein Blick die offene Kammerthür und das verwaiste Lager – und er fand nicht mehr den Muth dazu.

„Heut’ net – an andersmal!“ so wiederholte er im Stillen Nannei’s Worte.




Gedankenlesen, Gedankenmittheilung, Hellseherei.

In Wien wußte in den letzten Wochen ein Tausendkünstler ganz besonderer Art das allgemeine Interesse in Anspruch zu nehmen, die weitesten Kreise mit seinen Productionen in Spannung zu erhalten und durch die letzteren sogar einen wissenschaftlichen Streit gelehrter Professoren hervorzurufen. Nachdem Kronprinz Rudolf und der Erzherzog Johann den bekannten Spiritisten Mr. Bastian entlarvt und die Nichtigkeit seiner Gaukeleien dargethan hatten, meldete sich in der Hofburg ein anderer Engländer, Mr. Cumberland, der sich einen „Anti-Spiritisten“ nannte und den hohen Herrschaften die intimeren Praktiken des spiritistischen Hokuspokus erläutern wollte. Das haben freilich vor ihm Andere bereits viel gründlicher besorgt, und es giebt auch keine einzige spiritistische Charlatanerie, in deren geheimen Mechanismus wir nicht, dank entsprechenden Enthüllungen, geblickt hätten. Wir wollen hier nur auf das Aufsehen erregende Buch „Confessions of a medium“ (Bekenntnisse eines[WS 1] Mediums) von Parker hinweisen, in welchem der Verfasser alle Geschäftsgeheimnisse seines früheren Chefs, des „berühmten“ amerikanischen Spiritisten Thomson, der sich im Jahre 1879 in England producirte, rücksichtslos und mit beißender Ironie verrieth. Gleichwohl fand Mr. Cumberland, wie man in allen Tagesblättern lesen konnte, Eingang in die Wiener Hofburg, deren hohe Kreise er mit seinen Taschenspielereien unterhielt, um sie schließlich für seine „Gedankenkunst“ zu interessiren. Was die Journale davon berichteten, klang gar wunderbar. Mr. Cumberland errieth angeblich, daß Kronprinz Rudolf den ganzen Tag an ein Thermometer gedacht, daß derselbe während der Production an eine schwarze Dogge denke, faßte ihn bei der Hand und führte ihn zu dem Hunde in der Dienerstube, ebenso wie den Erzherzog Rainer zu einer Officierskappe im Antichambre, welche dieses Mitglied des Kaiserhauses eben im Sinne hatte.

Den „Séancen“ in den Hofcirkeln folgten unmittelbar öffentliche Productionen Mr. Cumberland’s, und es erwies sich bald, daß seine Leistungen durchaus nicht so wunderbar waren, wie die Fama wissen wollte, wenn sie auch noch immer manches scheinbar ganz Unerklärliche boten. Die erste der öffentlichen „Manifestationen“ des „Gedankenlesens“ war sogar eine ziemlich verunglückte. Wohl gelang es Mr. Cumberland, drei Namen, die Adolf Wilbrandt auf drei Zettelchen geschrieben, zu nennen, ohne die Papiere zu entfalten, die er blos an die Stirn hielt. Als er aber mit verbundenen Augen eine Nadel finden wollte, welche Wilbrandt in Abwesenheit Cumberland’s in einer Logendraperie verborgen hatte, verließ ihn sein Glück; er konnte die Nadel nicht finden. Das gleiche Experiment mißlang auch vollständig mit Professor Weinlechner und wurde erst mit einem Herrn Mayer nach Wunsch durchgeführt. Das Mißglücken der ersteren Experimente erklärte der „Gedankenleser“ damit, daß er von einer Vorstellung, die er in der vergangenen Nacht beim Fürsten Metternich gegeben, überaus erschöpft sei. Die weiteren öffentlichen Productionen Cumberland’s gehörten indessen bekanntlich zu den gelungenen.

Am zweiten Abend führte der „Anti-Spiritist“ den Grafen Strachwitz zu einer Person im Saale, auf die derselbe seine Gedanken concentrirt hatte. Den Baron Schwarz-Senborn bat der Demonstrator an einem dritten Abend, seine Gedanken auf eine Person im Saale zu fixiren, einen Gegenstand im Besitze derselben in’s Auge zu fassen, und eine zweite Person auszusuchen, welcher er diesen Gegenstand übergeben möchte. Mit verbundenen Augen führte dann Cumberland den Baron, dessen Hand er mit beiden Händen erfaßte, zu einem Herrn in der ersten Sitzreihe, nahm demselben einen Zwicker ab und übergab diesen einem Officiere in der zweiten Sitzreihe. Schwarz-Senborn bestätigte, daß Personen und Gegenstand die richtigen seien. Das Experiment mit der Nadel, welche diesmal zuerst General Kodolitsch, dann Professor Schnitzler versteckten, wurde von dem „Gedankenleser“ in der befriedigendsten Weise durchgeführt.

Die höchst überraschenden Productionen Cumberland’s führten in Wien selbstredend zu vielfachen Erörterungen. Der Psychiater Dr. J. Hinterstoißer gab öffentlich der Vermuthung Ausdruck, Cumberland arbeite mit der Hypnose, da er die Individuen, die er bei der Hand führe, veranlasse, ihren ganzen Ideenkreis auf eine bestimmte Person oder auf einen bestimmten Gegenstand zu concentriren, und sie dabei herumzerre, als wären sie regelrechte „Medien“. Von anderer Seite wurde hervorgehoben, daß der Puls die feinsten Erregungen verrathe und Cumberland, welcher die Leute bei der Hand fasse, hierdurch bei dem Errathen bestimmter Personen oder Gegenstände wesentlich unterstützt werde. Professor Weinlechner, mit welchem, wie erwähnt, in der zweiten Soirée Cumberland’s das Experiment mit der Nadel mißglückte, gab damals sofort die folgende Erklärung ab:

„Ich erkläre, daß dies kein Gedankenlesen ist. Gedankenlesen heißt, Gedanken so errathen, daß man sie zu Papier bringen kann. Hier aber handelt es sich nicht um Gedanken, sondern um ganz concrete Gegenstände, zu welchen Cumberland hingeführt werden muß. Hier ist nun der Führer der Geführte und der anscheinend Geführte der Führende. Cumberland braucht nämlich zu seinem Experimente übermäßig nervöse Leute, das heißt solche, welche die Bewegung ihrer Muskeln im gegebenen Falle nicht in ihrer Gewalt haben. Wenn Cumberland mit solchen in die Nähe des zu errathenden Gegenstandes kommt, so zeigt ihm ein gewisses willenloses Abwehren oder Hinzudrängen der Hand des Geführten die genaue Richtung an. Ich habe mich überzeugt, daß dies ausschlaggebend ist, und zwar dadurch, daß ich absichtlich an ganz ungefährlichen Orten mit der Hand zuckte und so Cumberland den Impuls gab, stehen zu bleiben und zu suchen. Dies that er denn auch regelmäßig, wo ich ihn irreführen wollte, und dies verschafft mir die Ueberzeugung, daß das Gedankenlesen Cumberland’s in nichts Anderem besteht, als in einem besonders fein ausgeprägten Muskelgefühl.“

Die Ansicht Weinlechner’s scheint sehr plausibel; man bemerkte auch bei einer Soirée, daß Cumberland den Grafen Strachwitz wirklich zu der Person führte, an die dieser dachte. Graf Strachwitz mochte seine Gedanken durch eine Muskelbewegung verrathen haben, als ihn der „Anti-Spiritist“ zwischen den Sitzreihen entlang führte. Auffallend war es dabei, daß der Letztere die gedachte Person nicht direct bezeichnete, sondern den Grafen fragte: „Ist es diese?“ Als der Graf nicht antwortete, wiederholte Cumberland viermal seine Frage, bis sie bejaht wurde. Indessen erklärte Professor Schnitzler, mit welchem ein ähnliches Experiment zum Besten gegeben wurde, er sei nicht der Führende, demnach auch nicht der „Angeführte“ gewesen. Cumberland selber veröffentlichte schließlich eine Erklärung in den Journalen, welche im Wesentlichen besagte, er könne nur einen bestimmten Gegenstand errathen, wenn ein Individuum alle seine Gedanken auf denselben concentrire, und seine Divinationsgabe lasse ihn im Stiche, wenn die betreffende Person zwei dominirende Ideen im Kopfe habe, nämlich auch die Idee, ihn irrezuführen und zu bekämpfen.

Aus Alledem geht nur das Eine mit Sicherheit hervor, daß C. Stuart Cumberland ein Mensch mit ganz besonders entwickelten, ganz besonders feinen Sinnesorganen ist. Das fein ausgeprägte Muskelgefühl, welches Professor Weinlechner constatirte, ist eine Thatsache. Zu dem außerordentlichen Tastsinne dürfte sich aber auch ein ausnehmend feines Geruchsorgan gesellen, was sehr Vieles erklärlich macht, so auch die Experimente mit der Nadel. Ein guter Schweißhund verfolgt ja meilenweit die Spur eines Wildes, warum soll ein Mensch mit abnormem Geruchsorgan nicht auch eine Fährte im engen Raume eines Saales verfolgen können? Ich bin der Ansicht, daß Cumberland nicht die Nadel sucht, sondern den Ort, wohin sich eine betreffende Person begab und an dem sie am längsten verweilte, bevor sie auf die Estrade zurückkehrte. Mit ausgeprägtem Tastsinne

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: eine
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_222.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)