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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Häusern der begüterten Kaufleute, ferner das Zollamt, die Post mit dem Telegraphen und auch eine Caserne, die mit ihren Mauern und Bastionen nach der Landseite hin die Insel sogar gegen einen Ueberfall schützen kann.

An der ganzen Küste liegen außerdem noch eine Menge größerer und kleinerer Inseln, dicht neben einander, die sich sehr gut durch Brücken oder Dämme verbinden ließen, denen die Korallenriffe als Fundamente dienen könnten. Dies war wenigstens eine Lieblingsidee Munzinger’s, jenes verdienstvollen Gouverneurs von Suakin und Massaua, der in dem unglücklichen abessinischen Feldzuge von 1875 sein Leben verlor. Munzinger, der die Bedeutung Suakins für den ganzen Binnenhandel mit dem östlichen Sudan sofort erkannte, wollte aus der Stadt ein kleines Venedig machen, und wer weiß, ob die Engländer, die es jetzt in Händen haben und es sehr wahrscheinlich so bald nicht wieder fahren lassen werden, diese originelle, aber jedenfalls höchst praktische Idee nicht dereinst verwirklichen. Landeinwärts, schon eine Stunde von der Stadt, beginnen die Baumwollenfelder, die Dattelpalmen- und Sykomorenwälder und bieten ein überraschendes Bild von der außerordentlichen Fruchtbarkeit des ganzen Landes. –

Ansicht von Massaua.0 Originalzeichnung von R. Cronau.

Wenige Meilen südwestlich von Suakin liegen die beiden kleinen Städte Sinkat und Tokar, an sich unbedeutende Ortschaften, in die man aber doch beim Ausbruche der Insurrection ägyptische Garnisonen legte, die sich dort, so gut es gehen wollte, verschanzten und muthig eine lange und hartnäckige Belagerung aushielten, bis sie der Hungersnoth und der Uebermacht erlagen. Weder der einen noch der andern Stadt konnten die Engländer rechtzeitig Entsatz bringen, denn die Baker’sche Expedition mißglückte bekanntlich, und die anderweitige Hülfe kam zu spät. Der Fall beider Städte und die dabei geopferter zahlreichen Menschenleben müssen mit ernster Schrift in das britische Schuldbuch geschrieben werden.

Sehr wichtig ist noch die letzte, ganz südlich und hart an der abessinischen Grenze gelegene ägyptische Hafenstadt Massaua – ja, eben dieser Lage wegen, die bedeutendste von allen. Von Suakin braucht ein Dampfer nicht mehr als vierundzwanzig Stunden, aber das Schiff muß sich wegen der vielen Untiefen und Korallenbänke noch weiter vom Festlande entfernt halten, als auf der früheren Fahrt. Massaua liegt ganz auf einer Koralleninsel, deren es dort wie bei Suakin mehrere giebt, die aber in neuester Zeit durch Dämme (ein Werk des oben genannten Munzinger) mit dem Festlande verbunden sind. Vom Meere aus gesehen, macht Massaua einen ähnlichen freundlichen Eindruck wie Suakin, der aber durch die weit höheren Berge des nahen Abessiniens im Südwesten ungleich imposanter wird. Die Umgegend der Stadt ist gut bebaut; der Boden ist überaus fruchtbar und könnte bei rationeller Bewirthschaftung einen außerordentlichen Ertrag liefern. Bis weit nach Taka hinein gedeiht dort Alles, namentlich Baumwolle, die sogar noch weiter nach Westen, in Sennaar, wild wächst – ebenso der Kaffeebaum und in den Niederungen das Zuckerrohr und die Reispflanze. An Wasser aus den zahlreichen Gebirgsquellen fehlt es gleichfalls nicht, und wer weiß, was die Berge selbst an metallischen Schätzen in ihrem Schooße tragen? Aber noch ist das weite, reiche Land fast ganz im Naturzustande und wartet auf die fleißigen Hände guter Colonisten; vielleicht werden die Engländer auch hier thatkräftig eingreifen, denn, wie wir bereits früher gesagt, Massaua ist für sie ein sehr verlockender Platz.

Zunächst handelt es sich aber um die Wiederherstellung der Ruhe und des Friedens im Sudan, und diese Aufgabe ist keine leichte.[1] Zur Zeit, das heißt im März, wo wir dies schreiben, scheint der Mahdi sich ziemlich ruhig zu verhalten; das Gerücht geht sogar, daß ihm das Anerbieten Gordon’s (das Sultanat von Kordofan) sehr verlockend erscheine und daß er nahe daran sei, sein immerhin sehr zweifelhaftes Prophetenthum aufzugeben und sich mit einer weltlichen Herrschaft zu begnügen. Dann wäre er also doch und in Wahrheit der „Falsche Prophet“. Bestätigung bleibt übrigens abzuwarten. Fast scheint es dem Mahdi zu ergehen wie dem Goethe’schen Zauberlehrliug: „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.“

Die entfesselten Horden, die man noch dazu durch die Aussicht auf den Paradieseslohn im Jenseits fanatisirt hat, sind schwer zu bändigen und noch schwerer. in die frühere Hörigkeit zurückzuführen. Hauptsächlich gilt dies von den Beduinenstämmen Sennaar’s und Taka’s, die jetzt die letzten Niederlagen bei Suakin zu rächen haben. Sie gehören zu den wildesten Kriegern des Mahdi und stellen sich mit einer an Wahnsinn grenzenden

Todesverachtung dem Feuer der Feinde entgegen. Ihre Hauptwaffen bestehen, wie vor tausend Jahren, noch immer aus Speeren, Bogen und Pfeilen, Messern, Schwertern und Keulen mit den dazu gehörenden Schilden. Die Schilde sind durchweg von hartem Holz, mit zolldicker Elephanten- oder Nilpferdhaut überzogen, rund oder länglich, oft bunt bemalt und mit Metallzierrathen geschmückt; die Speere sind entweder sechs bis zehn Fuß lang zum einmaligen Schleudern, oder kürzer und dann mit einem Lederriemen versehen, um sie nach dem Wurf wieder zurückzuziehen und von Neuem zu verwenden. Diese letzteren sind die gefährlichsten. Die oft mehr als fußlangen eisernen Spitzen sind mit scharfen Widerhaken versehen,

  1. Auch in Berber, von welcher Stadt wir gleichfalls ein Bild bringen, soll neuerdings die Bevölkerung unruhig geworden sein. Berber liegt schon weit nördlich über Khartum hinaus, und insofern könnte diese Nachricht bedenklich werden, weil die noch nördlicher wohnenden Bischariestämme sich bereits für den Mahdi erklärt und auch, wenigstens theilweise, an den Kämpfen bei Suakin theilgenommen haben. Berber selbst ist nur durch seine Lage am Nil, wodurch es mit Khartum eine sehr lebhafte Schifffahrtsverbindung unterhält, bemerkenswerth und augenblicklich doppelt wichtig, weil die nach Aegypten zurückkehrenden Truppen sämmtlich über Berber müssen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_217.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2020)