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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Die Beiden ruderten selbander, daß die Fluth vom Kiele laut und plätschernd emporrauschte. – Als Nannei vor dem Schiffmeisterhause zu Königssee an das Ufer sprang, war das Gelände schon in tiefe Dämmerung gehüllt.

Fliegenden Fußes eilte sie die Straße dahin.

Da plötzlich bannte ein jäher Schreck für Secunden ihre Schritte: im tieferen Lande sah sie eine lohende Flamme emporschlagen in die Luft und sah den nebligen Himmel zu trüber Röthe sich färben.

Im ersten Entsetzen täuschte sie sich in der Richtung des Brandes – und sie fürchtete schon – aber nein! Das Feuer war zu nahe – und mehr zur Rechten!

Sie lief und lief! Als sie die ersten Häuser von Unterstein erreichte, sah sie die Leute rennen und hasten. Die Einen, die aus ihren Thüren stürzten, riefen: „Wo brennt’s denn? Wo brennt’s?“ – und Andere, die des Weges einherkamen, schrieen entgegen: „Beim Wofei! Beim verruckten Wofei!“

Da war die Brandstätte.

Mit Mühe nur konnte sich Nannei einen Weg durch die dichtgedrängten Menschen bahnen, welche schreiend und jammernd die Hütte umringten.

Das war ein einziger Gluthhaufen, und aus seinem Innern hallte wildes Geheul und schauerliches Gelächter.

Prasselnd neigten sich jetzt die glühenden Balken des ausgebrannten Daches – krachend stürzten sie zu einem wüsten, lohenden, qualmenden Haufen in einander – und ein hundertstimmiger Schrei des Entsetzens tönte in die Lüfte.

Von Grausen gepackt, flog Nannei dahin – da war der schmale Fußpfad, der heimwärts führte über die thaunassen Wiesen – dort hob sich schon der dunkle First des elterlichen Hauses empor über einen heckenbesetzten Hügel – und nun – nun stand sie vor der niedrigen Thür.

Das Schloß widerstand ihrem Drucke – Nannei pochte – sie hörte schlurfende Tritte sich nähern – und als die Thür geöffnet wurde, stand eine alte Frau vor ihr – eine der Nachbarinnen.

Die Stube, welche sie wankenden Schrittes nun betrat, war unerleuchtet – doch dämmerte ein matter Lichtschein aus der offenen Kammerthür.

„Mutterle?“

„Nannei!“ klang von da drinnen her eine dünne, zitternde Stimme entgegen.

Aufschluchzend eilte das Mädchen diesem Rufe nach – brach vor dem Bette stöhnend in die Kniee und schlug die beiden Arme um den Hals der Mutter, auf deren eingefallenen Wangen schon das bleiche Zeichen des nahen Todes stand.

(Schluß folgt.)




Die Schatzmeisterin des Himmels.

Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens.


Es wird immer offenbarer, daß der „alte böse Feind“, der Teufel, dessen Herrschaft und Reich einst so groß und gewaltig war, mehr und mehr über schlechte Zeiten zu klagen hat; wenigstens scheint es gesichert, daß sein Credit in den Ländern, welche zu den Culturstaaten gehören, in den jüngsten Zeitläuften sehr in Abnahme gekommen ist. Sein Name ist, wie er als Mephisto sich bitter beklagt, „längst in’s Fabelbuch geschrieben“, und kein gebildeter Mensch glaubt mehr an den höllischen Junker mit Hörnern und Bocksfüßen. Damit ist auch der Glaube an seine Zaubermacht geschwunden, den Sterblichen, die ihre Seelen verkauft, vergrabene Schätze aufzuweisen, und heute citirt ihn kein Mensch, um mit seiner Hülfe seine Taschen mit Gold zu füllen. An Stelle dieser sündhaften Gewohnheit kam aber an gewissen Orten schon seit geraumer Zeit ein anderes Mittel in Schwung, das bei richtiger Befolgung aller Weisungen ebenso sicher wie die alte Teufelsbeschwörung zu Geld und Gut verhelfen soll.

Das Volk will mit dem altmodischen Gottseibeiuns nichts mehr zu thun haben und hat sich statt desselben für Beschwörungen und Citationen in Geldangelegenheiten eine eigene Heilige angeschafft. Diese soll auch, wie allgemein verlautet, ihre Sache durchaus nicht schlechter verstehen, als ehedem der Teufel selbst. Sie heißt Sancta Corona und wird als „Schatzmeisterin des Himmels“ angesehen. Der Kalender und das Martyrologium Romanum kennen dieselbe nicht, keine Legende nennt ihren Namen, ja es scheint sogar, daß sie niemals auf unserer schönen Gotteswelt gelebt habe. Dessen ungeachtet giebt ein bei Ph. Kraußlich in Urfahr-Linz erschienenes Büchlein über dieselbe und ihre Verehrung genügende Auskunft.

Dieses Büchlein führt den Titel: „Neuntägige Andacht zu der heiligen Corona“ und enthält schon in der Vorrede eine gründliche Untermeisung, wie man es anfangen müsse, um durch Hülfe dieser Heiligen zu Geld zu kommen.

Es würde uns zu weit führen, wenn wir alle die salbungsvollen „Anmuthungen“, die der unbekannte Verfasser einem geldbedürftigen armen Teufel in den Mund legt, ausführlich mitthellen wollten, und wir müssen uns deshalb darauf beschränken, nur eine flüchtige Blumenlese aus diesem Tractätlein anzuführen.

Vor Allem soll Derjenige, welcher die heilige Corona beschwören will, an einem neuen Sonntage, das ist einem Sonntage, auf den ein Neumond fällt, sein Gewissen durch Beichte und Ablaß reinigen. Darauf bete er 93 Vaterunser und siebenmal den Glauben, „vor dessentwillen, daß dir Gott die heilige Corona wolle schicken“. „In der Nacht aber,“ heißt es weiter, „da du wollest schlafen gehen, sprich alle Gebete bei einem geweihten Wachslicht neun Tage nach einander, so kommt die heilige Frau Corona unter diesen Tagen oder aber am neunten Tag zu dir im Schlaf, ohne Furcht und Scheu, lieblich und angenehm, wie dein Gebet gewirkt hat, und führet dich dahin, zu offenbaren, was du begehrt hast, oder sie bringet dir zum Bett, was du willst.“

Ueber das Leben der splendiden Heiligen berichtet das Büchlein, daß dieselbe eine Hauptmannstochter gewesen sei und unter der Regierung des Kaisers „Antoni Tiroh, welcher im Jahre 1610 zum Kaiserthum gekommen und regieret 19 Jahr“, gelebt habe. Ferner erfahren wir, daß unsere räthselhafte Schatzmeisterin einen Hauptmann zum Ehegemahl gehabt habe, „einen großen Mann in Egintisten, davon entwichen und von wegen des christlichen Glaubens willen zum Gefängniß eingeführt worden. Um das, weil sie beständig geblieben, ist sie an zwei mit Gewalt zusammengezogen Bäum gebunden worden. Als die heilige Corona mitten von einander gerissen worden, ist dann an jedem Baum der halbe Theil ihres Leibes hangen blieben. Der nämliche Tag wird begangen den 2. Mai.“

Nach dieser Erzählung folgen die eigentlichen Besprechungsformeln, so beim geweihten Licht nenn Tage hinter einander gesprochen werden müssen. Es sind drei Gebete zur heiligen Corona und drei „Ermahnungen vor dem Schlaf“, an die sich noch ein „Schlußgebetlein“ und ein „Urlaub nach empfangener Gabe“ anreihen.

In allen diesen Gebeten beschwört ein „mühseliger Sünder“ bei dem Leiden Christi, bei Cherubin und Seraphin, bei der „ganzen Ritterschaft“, bei den „heiligen drei Schwestern,“ welche übrigens nicht näher genannt werden, die heilige Corona, daß sie ihm zu Hülfe kommen wolle, und wendet sich zum Schluß noch an Gott Vater selber:

„Ich bitte Dich und Deine göttliche Gütigkeit, o himmlischer Vater, durch alle Sichtbaren und Unsichtbaren, schick mir zu Hülf die heilige Corona. Amen!“

Aehnliche Formeln wiederholen sich mehrmals unter immer kräftigeren Anrufungen, welche das Herz der heiligen Corona unfehlbar rühren müssen. Ja es bleibt nicht mehr bei der Himmelsritterschaft allein, bei welcher die Heilige beschworen wird, der „mühselige Sünder“ nimmt seine Zuflucht zum „siebenten Wort, das der Herr mit gewaltsamen, großen, erbärmlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_206.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2022)