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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Wie Hugo Bürger’s Stücke an die französische comédie, so klingen die neuesten von Gustav zu Putlitz an das skandinavische Schauspiel an. Der Intendant des Karlsruher Hoftheaters ist ein productiver dramatischer Dichter; sein historisches Schauspiel „Das Testament des großen Kurfürsten“, sein Trauerspiel „Don Juan d’Austria“, eine nicht geringe Zahl einactiger und mehractiger Lustspiele, welche der Schule von Roderich Benedix angehören, beweisen die Vielseitigkeit seiner Begabung. Es herrscht ein gemüthvoller Ton, sittliche Bravheit und Tüchtigkeit in seinen Dramen. Die beiden letzten, „Rolf Berndt“ und „Die Idealisten“, sind bürgerliche Rührstücke; das erste ist indeß bei weitem gelungener. Es ist ein Gemälde socialer Zustände der Gegenwart, zum Theil mit satirischen Lichtern beleuchtet, ganz im Stil der Dramen von Ibsen und Björnson gehalten, und führt uns vor, wie der gute Ruf eines tüchtigen Mannes, der von böswilligen Gegnern erschüttert wurde, wieder hergestellt wird. Einige Charaktere sind markig gezeichnet. Das Schauspiel „Die Idealisten“ hat keinen rechten dramatischen Halt; es beruht auf einem Mißverständniß, das schon bald nach dem Beginne des Stückes leicht aufgeklärt werden konnte. Ueberdies ist der „Idealismus“ hier auch nicht annähernd in seiner höheren Bedeutung gefaßt; die Helden desselben sind Gemüthsmenschen, aber mit stark philiströsem Beigeschmack.




Dschapei.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)


Lange, lange war das Dschapei droben am Steige stehen geblieben und hatte verdutzten Blickes dem dahinschreitenden Jäger nachgeschaut. Scheltende Worte aus diesem Munde – das war ihm freilich eine ganz neue, verblüffende Erfahrung.

So trollte es schließlich mit nachdenklichem Hängekopf der Hütte zu, kroch unter die Holzbank, drückte den Kopf in die Ecke zwischen Hüttenwand und Boden und schloß die Augen.

Ob es dann die näherkommenden Tritte seiner Herrin überhörte, oder ob es nur zu träge war, sich zu erheben – gleichviel – es rührte kein Glied, nicht einmal die Lider, als Nannei, mit dem Wasserganter auf der linken Schulter, der Thüre zugeschritten kam.

„Ja – ja was is denn da?“ murmelte das Mädchen, als es den weißen Zettel gewahrte.

Die Nachricht, welche Nannei nun mit langsam sich bewegenden Lippen entzifferte, schien ihr keine willkommene zu sein. Nachdem sie gelesen, betrachtete sie das kleine Blatt ein paarmal von beiden Seiten und schob es dann unter einem lauten, stockenden Seufzer hinter das Mieder.

Still ging sie an ihre Arbeit – die ihr keine Freude machte; sie kochte ihr Abendmahl – das ihr nicht schmeckte.

„Na – so an Abend im Sommer – net zum derleben!“ grollte sie einmal vor sich hin.

Als sie schließlich alle Arbeit von den Händen hatte, war sie herzlich froh. Ohne Zögern wollte sie sich zur Ruhe legen.

Erst lockte sie das Dschapei in die Stube, dann schob sie an der Hüttenthür den hölzernen Riegel vor und untersuchte den Verschluß des Fensters, wie sie das bisher allabendlich gethan, bevor sie schlafen ging.

Das Dschapei war dem Herde zugetrippelt und hatte sich auf sein gewohntes Lager niedergestreckt.

Nannei kauerte sich eine Weile zu dem Thiere nieder – doch plauderte sie heute nicht zu ihm, wie sie das sonst so gerne that – sie fuhr ihm nur langsam mit den Fingern immer und immer wieder durch das lockige Vlies.

Endlich erhob sie sich, und seufzend schritt sie der Kammer zu. Hier stand sie eine Zeit lang an den Kreister gelehnt und schaute sinnend in das dämmerige Fensterlicht.

Nun löste sie das Brusttuch und legte das Mieder ab. Dabei fiel Festei’s Zettelchen zu Boden. Hastig bückte sie sich darnach und schob es an dem in der Wandecke befestigten Crucifixe fürsorglich hinter die Füße der hölzernen Christusfigur.

Noch streifte sie die Schuhe und Strümpfe von den Füßen, dann kniete sie nieder auf die rauhen Dielen, stützte die Ellbogen auf ihre Truhe, und die eine Wange gegen die verschlungenen Hände neigend, begann sie zu beten.

Das währte lange – Nannei mußte ja um so vieles und für so Viele beten.

Stirne, Mund und Brust bekreuzend, erhob sie sich, bestieg den Kreister und suchte sich bequem zu legen. Darauf drückte sie die Augen zu und erharrte den Schlaf.

Der aber wollte nicht kommen.

Sie war sonst nicht von furchtsamer Art – aber heute – heute war so etwas Eigenes in ihr – Angst war es gewiß nicht, nein – so etwas Eigenes eben.

Eine Stunde mochte ihr schlaflos vergangen sein, da ließ sie sich vom Lager gleiten, holte das Dschapei von draußen in die Kammer herein und verriegelte die Thür. Vor ihrem Kreister breitete sie eine alte Regenkotze über die Dielen und drückte das Thier darauf nieder.

„So – Dschapei – so – und jetzt sei stad – und schlaf’!“ sagte sie und legte sich wieder zur Ruhe.

Die Nähe eines lebenden Wesens schien ihre Beklemmung zu lösen, denn bald verspürte sie in ihren Gliedern eine sanfte Wärme und jene wohlthuende Erschlaffung, die den kommenden Schlaf verkündet.

Da wurde sie durch ein pochendes Geräusch des Neuen aufgestört.

Mit unruhigem Getrippel stand das Dschapei an der Thür und ließ sich auch durch Nannei’s Zurufe nicht mehr besänftigen. Das Thier hatte sich eben in seiner Schmerzenszeit an das Lager da draußen gewöhnt.

So gab es für Nannei, wenn sie überhaupt zu Schlaf und Ruhe kommen wollte, keinen anderen Ausweg, als ihrem Dschapei den Willen zu thun. Sie öffnete die Thür und rief dem Liebling, der hurtig über die Schwelle hüpfte, schmollend nach: „Geh weiter – ich mag Dich nimmer!“

Wie nun das Thier seinem Lager zuschreiten wollte, stutzte es plötzlich vor dem weißschimmernden Streifen, den das Mondlicht durch eine Klumse der Hüttenthür über den Lehmboden warf. Schließlich tappte es aber doch darüber hinweg und streckte sich am Herde auf das Heu.

Nun herrschte Stille – und bald auch klangen die tiefen und langen Athemzüge des schlafenden Mädchens durch die angelehnte Kammerthür heraus in die Stube.

Wohl hielt sich das Dschapei ruhig; jedoch es schlief nicht; der flimmernde Lichtschein fesselte sein Auge.

Plötzlich hob es lauschend den Kopf.

Das waren leise Tritte gewesen – und nun folgte ein Geräusch, als würde eine schwere Last vorsichtig zur Erde gesetzt.

Jetzt erlosch am Boden jener helle Schimmer, und sacht erknirschte die Thür wie unter einem von außen kommenden Drucke. In der Klumse erschien ein blinkendes Etwas – und Ruck um Ruck verschob sich der hölzerne Riegel.

Da fiel die Thüre langsam in die Stube – und auf der Schwelle stand, umrahmt vom hellen Mondenschein, eine dunkle Gestalt mit geschwärztem Gesichte.

Kannte das Dschapei die Gespensterfurcht? So schien es fast – denn wie von grauenvollem Entsetzen gejagt, fuhr es von seinem Lager, durchrannte die Stube, warf die Holzgeschirre durch einander, schleuderte die Bank zur Seite und prallte, das Freie suchend, wider die Beine des nächtlichen Gastes, der unter einem zornige Fluche das lautauf schmählende Thier mit einem Fußtritt über die Schwelle warf.

Da klang aus der Kammer ein gellender Schrei – wohl stürzte nun der Bursche mit langem Satz in die Stube – schon aber flog die Thür ins Schloß, und klirrend fuhr innen der Riegel vor.

Bebend am ganzen Leibe, stand Nannei in dem engen, finsteren Gelasse – und wußte noch kaum, ob das Alles wirklich war, oder nur ein häßlicher Traum.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_203.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2020)