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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Wie wir Deutsche dieselbe richtig zu verstehen haben, wollen wir bei der Zeichnung des Portraits dieser Auserkorenen aber denn doch in breiten Strichen angeben.

Um poetischen oder durch geistige Bedeutung in der Gesellschaft sich auszeichnenden Damen eine Huldigung zu erweisen, hat man schon öfter deren zu Musen gekrönt. Delphine Gay, die dann die Frau Emil von Girardin’s wurde, feierte die galante literarische Pariser Welt in den dreißiger Jahren als die „zehnte Muse“, oder einfach als die „Muse Frankreichs“, und die liebenswürdige Frau, deren freisinnige, talentreiche Schriften und Theaterstücke noch heute in Ehren stehen, hat ihre Versetzung unter die Pieriden[1] mit der ihr eigenen Anmuth aufgenommen. Niemand hat sich dabei auch etwas Böses gedacht, während die beliebte neueste Musenkrönung der Frau Adam zwar auch nichts als eine literarische Spielerei ist, indessen eine nichts weniger als harmlose und poetische Deutung haben soll.

Frau Adam hat, wie erwähnt, ihren literarischen Ehrgeiz, und sie ist nicht die einflußreiche Salondame geworden, ohne ihre schriftstellerische Thätigkeit in das nöthige Licht zu setzen. Sie suchte schon als junge Frau La Messine über ihr eheliches Unglück Trost in Abfassung novellistischer und sogar sociale Fragen berührender Schriften, die sie unter ihrem Mädchennamen Juliette Lamber veröffentlichte.

Furore hat sie damit nicht weiter erregt; doch sind ihre Reiseschilderungen und ihre Novellen die Zeugnisse eines artigen Talents und einer geistvollen Frau. Am meisten lenkte unter diesen Büchern das ihrer „Anti-Proudhon’schen Ideen“ die Aufmerksamkeit der Pariser Lesewelt auf sich. Die unglückliche und beleidigte Frau ließ sich hier über die Rechte vernehmen, auf welche ihr Geschlecht in der Ehe Anspruch zu erheben habe.

Eigentlichen und größeren Erfolg trug ihr dann das „Tagebuch einer Pariserin“ ein, welches ihre Beobachtungen und Empfindungen während der Belagerung von Paris durch die deutschen Armeen ausspricht. Die patriotischen Töne, die sie hier anschlug, die leidenschaftliche Erbitterung über die siegrechen Feinde entsprachen viel zu sehr einem Herzensbedürfniß der Pariser, als daß sie der Verfasserin dafür nicht mit einer gewissen Popularität gedankt hätten. Zudem war sie damals Notre Dame du 4. Septembre, die vielbedeutende Freundin der herrschenden Partei und Staatsmänner, welche ihrerseits es nicht fehlen ließen, der Schriftstellerin Juliette Lamber den Ruhmeskranz als Patriotin zu reichen.

Sie schwärmte ja für Gambetta, für seine Kriegführung bis auf’s Messer gegen die Preußen, und für den Rachekrieg, den das verrathene Frankreich sobald als möglich nach Gambetta’s Sinn gegen das neu erstandene deutsche Kaiserreich führen würde. In diesem patriotischen Haß war sie ihren Verehrern die Muse der Republik, eine Muse mit heißem, gallischem Blut – uns Deutschen eine Medusa, für die wir unsere Perseusschwerter lose in der Scheide halten.

Diese hübsche, graziöse Frau Adam sieht also mit ihrem Musengesicht sehr gefährlich aus, und diese ursprünglich so harmlose Schriftstellerin Juliette Lamber hat seit dem Krieg von 1870 etwas von einem heroischen Zug bekommen. Sie ist die weibliche Verkörperung der Sehnsucht französischer Kriegsrevanche an Deutschland, wie Gambetta deren männliche gewesen. Diese Sehnsucht, diese Hoffnung, dieser Glaube an gründliche Revanche ist ja in’s gesammte moderne Franzosenthum übergegangen und der Ausdruck seines Patriotismus. Von Zeit zu Zeit tönt’s von drüben her wie Ruf zum Losbruch, und es geht dann wohl wie ein leises Klirren durch das neue deutsche Reich, als versicherten sich seine Männer, daß ihre Waffen bereit liegen. Der Franzmann war ja niemals unser guter Nachbar, und da er uns jetzt so bitter haßt, weil wir uraltes Muttervolk Europas unsere nationalberechtigte Machtstellung endlich aus französischem Uebermuth herausgeschlagen haben, so nehmen wir es mit der Gelassenheit des Erstarkten hin und hoffen unsererseits, daß unsere Feinde jenseits des Wasgau sich mehr und mehr der Einsicht fügen werden, es sei mit ihrem Gloirespiel auf Kosten anderer Völker vorbei.

Wenn es freilich nach dem Köpfchen und dem Herzen der Frau Adam gegangen wäre, hätte der furchtbare Ringkampf auch bereits stattgefunden, als dessen Ergebniß sich die Franzosen den Wiedergewinn ihrer alten Oberherrschaft durch die Niederlage und Zertrümmerung des deutschen Reiches versprechen, was sie ja eigentlich mit dem Jammer- und Racheruf um das ihnen wieder abgenommene altdeutsche Land und Volk von Elsaß-Lothringen ausdrücken wollen. Aber Frau Adam kann die französische Armee nicht mobil machen, und ihre Freunde können ihr zu Liebe den großen Krieg auch nicht anfangen. Selbst der grimmige Gambetta, als er Minister geworden und Lenker der Geschicke seines Vaterlandes, mußte entmuthigt einsehen, daß ein böses Haar in der Revanchepolitik sei, und die Heißsporne davon abhalten. Bei ihrem Fanatismus war Frau Juliette über diese Weisheit ihres Musterpatrioten äußerst verstimmt und wollte sich wegen des großen Rachezuges bei Leibe nicht noch weiter auf die Zukunft und die zu erwartende Gerechtigkeit des Schicksals vertrösten lassen. Kurz entschlossen, suchte sie vielmehr nun in eigener Politik zu machen, um gewissermaßen Gambetta vor Thatsachen zu stellen, die ihn zur Action treiben sollten. Eine Allianz mit Rußland – wenn man ihm die auf dem Präsentirteller brachte, konnte er da noch widerstehen, sie zu dem einzig schönen Zweck der Vertilgung deutscher Macht und Herrlichkeit anzunehmen? Und sie faßte diese Idee in weiblicher Leidenschaftlichkeit und Kurzsichtigkeit so ernst auf, daß sie sich wirklich selbst auf die Reise nach Petersburg machte, um wie eine außerordentliche Bevollmächtigte Frankreichs mit der russischen Staatskunst sich über die Umgestaltung der Karte, wenigstens Preußens, zu benehmen.

Diese Mission der „Muse der Republik“ in Gestalt der Frau Adam, die sie sich selbst im Januar 1882 gegeben, erweckte bei den Russen mehr Neugier als Entgegenkommen. Die panslavistischen Deutschenfresser à la Skobeleff waren zwar sogleich bereit, für eine Allianz Rußlands mit Frankreich nach der Absicht der politisch Vertrauten Gambetta’s in die Steigbügel zu treten; aber bei maßgebenden Personen in Petersburg, und gar bei Hofe, klopfte sie vergebens an. Ihr Fiasco war da so elegant als möglich, und wenn auch Gambetta nicht so rasch, und während sie noch für ihn die Agentin spielte, auf die Ministerpräsidentschaft hätte verzichten müssen, so würde ihr eitles Unternehmen doch ohne jede ernsthafte Folge geblieben sein.

Alle krampfhaften Koketterien Frankreichs mit den Völkern und Staaten, welche an dem aufgestiegenen glänzenden Gestirn Deutschlands ihren Aerger haben, brachten ihm keinen praktischen Nutzen ein. Es schlug Niemand in die lockend hingehaltene Hand der wabernden gallischen Muse ein, und fest stand und treu die Wacht am Rhein, mitleidig auf das jämmerliche Gebahren und widrige Lästern schauend, in dem das patriotische Pöbelfranzosenthum in Paris aus „Revanche“ gegen die Prussiens zu wüthen sich gefiel. Die „große Nation“ machte sich selbst immer kleiner; alle Welt konnte mehr und mehr erkennen, was für eine klägliche Tragik aus ihrem Schmerze sprach, mit dem Abenteuer von 1870 sich so sehr verrechnet zu haben, und wie sie so leicht die angenommene Würde verlor, nun sie der glänzende Firniß von selbst nicht mehr deckte und steifte. Machte sie doch aus dem Behagen kein Hehl, mit Russen, Czechen und Magyaren die Orgien deutschfeindlichen Fanatismus zu feiern.

Madame Edmond Adam treibt ihre Faxenpolitik mit allerhand deutschfeindlichem Volke auch nach Gambetta’s Tode eifrig weiter. In ihrem Salon war der Prahlhans Skobeleff der gefeierte Mann der Zukunft, der mit Tataren und Baschkiren den Franzosen helfen würde, ihre Revanche zu nehmen. Dort wurde am liebsten im Mückenspiel verbissener Geister für Frankreichs nothwendige Wiedergeburt als Störenfried der Welt geschwärmt und allen Hetzern gegen die tudesken Unterdrücker freundlichste Aufnahme gewährt. Und erst vor Kurzem wurde dort ein Plan zu einer neuen abenteuerlichen Reise der Frau Adam ausgeheckt, welche diesmal über Wien nach Bukarest und Athen führen sollte. Die Zeitungen berichteten sogar von einer Einladung, welche die Königin von Rumänien – eine deutsche Fürstin! – an Frau Adam gerichtet hätte, aber von Bukarest aus depeschirte man sofort, daß die Gerüchte von der vermeintlichen Einladung aus der Luft gegriffen seien, und so mußte die Reise diesmal unterbleiben.

Seit dem Jahre 1879 hat sich Juliette Lamber, die Schriftstellerin, eine Monatsschrift gegründet, „La Nouvelle Revue“, um darin die Musenpolitik der Frau Edmond Adam zu unterstützen. In der Einleitung dieses publicistischen Unternehmens charakterisirt sie es als ein demokratisch-freigeistiges. Es soll gleichsam ein

  1. Beiname der Musen von der macedonischen Landschaft Pieria.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_199.jpg&oldid=- (Version vom 3.11.2020)