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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Die Muse der dritten französischen Republik.

Von Schmidt-Weißenfels.

Es ist Mittwoch Abend. Die eleganten Straßen von Paris sind längst erlenchtest Vor einem der großen Häuser des Boulevard Poissonnière, nahe der Montmartrestraße, halten von Zeit zu Zeit Equipagen oder Fiacres, deren Insassen in gewählter Kleidung ihr Vorhaben des Besuchs einer feinen Abendgesellschaft den Blicken der Neugierigen genügend verrathen. Es kommen Damen in rauschenden Schleppen, Herren in militärischen Uniformen hohen Rangzeichens außer der Mehrzahl, die in gewöhnlicher Besuchstoilette erscheint. Je später es wird, desto zahlreicher die vorfahrenden Wagen. Noch die elfte Stunde hält die Freunde des Hauses nicht ab, sich an diesem herkömmlichen Empfangsabend einzufinden. Sie steigen die hell erleuchteten Treppen auf den eingespannten Teppichen hinauf – zwei, drei, oder sind es gar vier Treppen, bis wo die Salons sich öffnen, in welche der Diener sich verbeugend sie eintreten läßt! Eine südliche Flora in üppiger Fülle versetzt sie wie in einen Wintergarten. Ein feiner Wohlgeruch von lebenden Blumen und von sich verflüchtenden Essenzen zieht durch die eleganten, gastlichen Räume, deren künstlerischer Ausschmuck von Geschmack wie Reichthum zeugt. Der Hauptsalon vereinigt die Mehrzahl der Besucher; die Damen bilden auf den Polstersesseln einen Halbcirkel, hinter dem sich die Herren bewegen oder wo sie stehen. In den aus Ampeln matt erleuchteten Nebengemächern haben sie sich zu kleinen Gruppen zusammengefunden und plaudern, debattiren vielmehr. Da ist einer der Minister, da der Präfect Soundso; hier ein französischer General und dort ein italienischer, ein spanischer Gesandtschaftsattaché, ein paar russische Diplomaten und Officiere, ein paar Senatoren, ein paar Deputirte, berühmte Maler und von der Mode umschmeichelte Schriftsteller; Einer von den vierzig Unsterblichen mit seiner Gemahlin, die sich mit einer der verehrtesten Künstlerinnen vom Théâtre française unterhält; von der hohen Finanz und der großen Presse, von der Opera und vom Buchhandel, also aus den einflußreichsten und verschiedensten Kreisen der Gesellschaft, die Aristokratie des Faubourg St. Germain ausgenommen, begrüßen sich hier die Vertreter mit hervorragenden oder doch interessanten Fremden und huldigen der Dame des Hauses, der Frau Adam, die bald hier, bald da ihre Gäste auszuzeichnen weiß.

Eine graziöse Erscheinung, diese Frau Adam! Man vergißt ihr gegenüber, daß sie schon zwei Männer gehabt, zweimal und längst zum zweiten Mal Wittwe ist, als Großmutter schon nach einem Jahrzehnt zählt. Mit ihren Vierzigern an Sommern entfaltet sie noch alle die Reize, wie sie Balzac, der Kenner, der Frau von dreißig Jahren beigelegt hat. Von zierlicher Figur, trägt sie über vollen Schultern auf einem feinen Halse ein allerliebstes Köpfchen. Sage man ein Musenköpfchen, mit hellen, sprechenden, seelischen Augen, freier Stirn mit dunkelblondem Haar, das in leichtem Gelock über den Nackeu fällt, mit frischen, weichen Lippen und beinahe noch Kindlichkeit in den Zügen, die sich mit anmuthiger weiblicher Koketterie mischt. Dazu echter Pariser Chic und lebhafter Geist, was Alles in Verbindung mit einem anständigen Geldreichthum diese Wittwe in den Augen heirathslustiger Männer recht begehrenswerth erscheinen lassen muß.

Sie weiß sich überdem durch das feine Haus, das sie in Paris hält, durch vortreffliche Diners, durch ihren literarischen und ihren politischen Ehrgeiz interessant zu machen, um so mehr, als sie als Frau ihre Erfahrungen hinter sich hat. Blutjung wurde sie, Juliette Lamber, an einen Arzt ohne Praxis, Doctor La Messine, verheirathet. Das erwachende Herz der hübschen jungen Frau fand nur bitterste Enttäuschungen in dem Manne, mit dem sie für das Leben verbunden worden war. Ihre feine und poetische Natur empörte sich gegen die selbstsüchtige Brutalität, die ihr in der Ehe erwiesen wurde. Es war ein weibliches Martyrium, welches glücklicher Weise nicht allzu lange dauerte. La Messine verdarb und starb, und Juliette, die sich schon vorher von ihm getrennt hatte, wurde wieder völlig frei, noch in der Blüthe ihrer Weiblichkeit. Sie heirathete nun den sehr braven und sehr wohlhabenden Generalsecretär des Comptoir d’escompte Edmond Adam, der zwar schon ein Graubart, aber ein imposanter und sympathischer Mann war, mit dem sie als seine Eva glücklich und zufrieden noch ein Jahrzehnt lang lebte.

Frau Edmond Adam konnte sich für Alles entschädigen, was sie als Frau La Messine hatte leiden und entbehren müssen. Ihr zweiter Mann that seiner schönen jungen Frau Alles zu Gefallen. Er gab Gesellschaften, wo die jungen republikanischen Feuerköpfe, Leute wie Gambetta und Rochefort, den Hof um seine Gattin bildeten, die sich jetzt als glühende Republikanerin aufspielte und eine Lust daran bezeigte, in ihrem Hause die radicalsten Feinde des Kaiserreichs zu versammeln. Es war in den letzten Jahren der Louis Napoleon’schen Herrlichkeit, deren Sonne niederging und auf deren Ende die Republikaner mit wachsender Ueberzeugung hofften. Rochefort begann sich durch seine „Lanterne“ dem Kaiserreich furchtbar zu machen; Gambetta wurde durch eine Advocatenrede für die Republik ein gefeierter Volkstribun.

Man kann sich denken, wie vergnügt man im Salon Adam’s war, als am 4. September 1870 das Kaiserreich wirklich und wie ein Kartenhaus zusammenbrach und die lieben Hausfreunde nun die neu errichtete Republik regierten. Lauter Perikles, denen Frau Adam eine Aspasia war. Auf eine Bitte, auf ein Wort von ihr wurden ihre Schützlinge, wenn sie wollten, in gute Beamtenstellen gebracht. Sie überraschte sogar eines Tages ihren Mann mit seiner Ernennung zum Polizeipräfecten von Paris – eine sorgenvolle Stellung, die der wenig ehrgeizige und Ruhe liebende Herr so bald als möglich wieder abgab. Aber Juliette wollte doch ihren Alten unter den politischen Größen der dritten Republik sehen. So verschaffte sie ihm denn nach der Gründung des Senats einen Polsterstuhl in dieser hohen Versammlung. Als Senator starb Adam in der Mitte der siebenziger Jahre und in dem Geruche eines patriotischen Republikaners ehrlich-harmlosen Charakters.

Da Juliette – oder, wie sie sich fortnannte, Frau Edmond Adam – die Seele ihres Salous seit jeher gewesen war, so änderte sich durch den Tod ihres Mannes gar nichts daran. Sie hielt in der alten Weise weiter Haus und gewann nun als Wittwe sogar mit einem erhöhten Interesse auch eine höhere Bedeutung in der politischen Welt von Paris. Es gab unter den neuen Matadoren genug, die sich gern dazu verstanden hätten, der dritte Mann für die reizende und reiche Frau zu werden, und der mächtig aufsteigende Gambetta galt für Denjenigen, um dessen willen die neue Aspasia ihren Wittwenschleier abermals wieder ablegen würde. Mindestens spielte sie vor den Augen der Welt die Rolle einer zärtlichen Vertrauten Gambetta’s, und je mehr der Stern dieses Ehrgeizigen stieg, desto mehr befestigte sich auch ihre politische Stellung. Sein Ministerium, das Alle enttäuschen sollte, war ihr Höhepunkt, der allgemein anerkannt wurde. Ihrem Einflusse auf die zur Macht im Lande gekommene Partei war es zuzuschreiben, daß sich „tout Paris“, die Elite der politischen und literarischen Gesellschaft, zu ihren Abendunterhaltungen drängte, und gewiß hat sie thatsächlich in jener Zeit auch mehr Bewerbern zu Präfecturen und Unterpräfecturen verholfen, als die meisten der französischen Damen, welche von jeher an der Aemterbesetzung unter der Monarchie wie unter der Republik ihren Antheil gehabt haben. Unzweifelhaft war und ist ihr Salon im Paris der dritten Republik der bedeutendste und sie unter den Frauen derselben die in der politischen Gesellschaft hervorragendste. Freilich verdankt sie diese Auszeichnung nicht so sehr einer Ueberlegenheit an Intelligenz und Bildung, als vielmehr wesentlich der Camaraderie mit den politisch emporgekommenen republikanischen Mittelmäßigkeiten und dabei dem merkenswerthen Umstande, als eine feine und geistvolle Frau mit ihrem radicalen Republikanerthume eine ihren Gesinnungsgenossen hochwillkommene Ausnahme zu bilden. Denn gewiß ist, daß die Pariserinnen keine schwärmerischen Verehrerinnen der ihnen viel zu spießbürgerlichen dritten Republik sind, und, je mehr sie Damen von Welt sind, desto weniger fühlen sie sich einem Idealismus zugeneigt, wie er unter der ersten Republik zu Ende des vorigen Jahrhunderts so viele schöne und geistvolle Frauen, eine Roland, eine Taillie, eine Desmoulins, eine Beauharnais, begeisterte. Frau Edmond Adam aber gefällt sich darin, und ihre Schmeichler haben sie um deswillen auch die „Muse der Republik“ von heute genannt. Seien wir so galant, ihr diese Schmeichelei zu gönnen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_198.jpg&oldid=- (Version vom 3.11.2020)