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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

da hellte sich ihr Antlitz auf, und ein vergnügliches Lächeln lagerte sich auf ihren Lippen.

Als die Beiden die Unterlahner Alm erreichten, von welcher aus auch ein Blinder den Weg nach Bartolomä gefunden hätte, da mahnte die alte Baslerin selbst den Jäger zur Umkehr.

Mit allen Fingern umspannte sie Festei’s rechte Hand und sah ihm mit einem guten Blick in die Augen:

„No also – jetzt grüß’ mir halt mein Nannei recht schön von mir,“ sagte sie. „Und – kannst ihr ausrichten, daß’s mich recht g’freut hat, weil ich Dich hab’ kennen lernen. Ja – bist a recht a guter Mensch! G’fallst mir!“ Und mit schmunzelnden Lippen frug sie: „Han – mein Nannei? Was sagst denn zu mei’m Nannei?“

„Mein – was is da zum sagen!“ stammelte Festei, während ein tiefes Roth sein Antlitz überzog.

„Gefallt’s Dir? Han?“

„Schau, Mutterle – das hab’ ich mich selber noch net g’fragt. Aber Eins weiß ich – daß ich versterben müßt’, wann ich d’Nannei net zum Weib sollt’ kriegen!“

Der herzinnige Ton dieser Worte trieb der alten Baslerin das helle Wasser in die Augen.

„Ja, ja – und schau – ich hab’ im Grund gar nix dagegen – weißt – seit ich Dich kenn’. Und – ich mein’ allweil, mein Nannei is Dir auch recht gut – aber weißt – wissen thut sie’s halt noch net. Sie wird’s aber schon noch merken – mein, da hab’ ich gar kein Angst net – mußt es aber net drängen, weißt, sie is halt noch arg jung. Und wenn sie’s nachher amal weiß – gelt, Festei – gelt – nachher – nachher –“ Eine Zähre um die andere kugelte der Alten über die Backen, während sie mit stockenden Worten zu den Augen des Jägers emporsprach. „Schau – haben thut’s net viel, mein Deandl – das bißl Häusl – das is ja kaum davon zum reden – aber weißt, brav is mein Nannei, brav – und gelt, Festei – da mußt halt schauen, daß ihr das bleibt! Weißt – d’Lieb’ – die verruckt ei’m halt diemal den Verstand – die macht ein’ ganz dumm – und drum – gelt, Festei – gelt – sei halt g’scheid – weißt – sei halt g’scheid!“

Die alte Baslerin zog ihr Tüchlein aus dem Rocksacke, wischte sich die Augen und schnäuzte sich mit großem Geräusche.

„Und jetzt b’hüt Dich Gott, Festei! Und ich dank’ Dir recht schön für Deine Führung.“

„Geh, Mutterle – es is ja so gern g’schehen. Und ’s Danken, das is ja ehnder an mir! Hast mir ja mein Glück gesagt! Und – sorgen brauchst Dich fein net – weißt – ich hab’s ja Alles z’gern, d’Nannei. Und – ja – somit b’hüt Dich halt Gott, Mutterle. Komm’ gut heim!“

„B’hüt Dich Gott, nochmal! B’hüt Dich Gott, Festei!“

So schieden die Beiden.

Die innerliche Erregung ließ die alte Baslerin schnellere Schritte machen, als es gut war für ihre Füße. Da empfand sie auch bald die Nothwendigkeit, eine kleine Weile zu rasten, und sie wählte dazu ein moosbewachsenes Plätzchen im Schatten einer herrlichen Fichte. Hier saß sie nun, mit dem Rücken wider den breiten Stamm gelehnt – und sann und rechnete, und rechnete und sann – ein leichtes Rieseln lief ihr durch die Glieder, am ganzen Leibe fühlte sie eine so wohlige Wärme – nach und nach begannen ihr die Gedanken zu stocken – und so lauschte sie dem Murmeln und Raunen des Schreinbaches, der zu ihren Füßen floß, und dem Summen der Schnacken, die ihr um die Ohren flogen – und da fielen ihr schließlich die schwer gewordenen Lider zu.

Als sie wieder erwachte, erschrak sie ordentlich vor den dunklen Schatten und dem dämmerigen Himmel.

Nun galt es Eile, wenn sie drunten am See noch eine Schiffgelegenheit erreichen wollte.

In Schweiß gebadet, langte sie nach einer Stunde im Bartolomäer Schloßhof an und sah gerade den letzten Nachen von der Lände stoßen. Doch ließen sich die Schiffer durch Rufen und Winken zu nochmaligem Anfahren bewegen.

Wie die alte Baslerin im dahingleitenden Kahne saß, da wischte und wischte sie immer mit ihrem Tuche, bald über das Gesicht, bald rings um den Hals.

Kalt und schneidend blies der abendliche Seewind über die hüpfenden Wellen.

Die alte Frau fing an zu frieren – und als der Nachen nach dreiviertelstündiger Fahrt um die Ecke des Falkensteines bog, wo der Wind noch schärfer einherzog, da rüttelte ein jäher Schauer den Rücken der Baslerin, und sie begann zu husten.




8.

Wohlgemuthen Schrittes und still vor sich hinlächelnd war Festei den mäßig steilen Weg zurückgewandert. Es zog ihn zu Nannei; er meinte die Stunde nicht mehr erwarten zu können, in welcher er wieder vor dem geliebten Mädchen stehen durfte, Hand in Hand und Aug’ in Auge, nun mit dem Bewußtsein, daß seinem Glücke nur die Zeit noch hindernd im Wege stünde.

Und doch – als er die Sigerethquelle erreichte und sinnend seinen Schritt verhielt, da ward seine Sehnsucht überwogen von dem Gefühle seiner Pflicht, die ihm für heute noch eine Begehung der Grenze vorschrieb.

So schritt er linkerseits vom Pfade und begann über das grobe Geröll des steilanziehenden Grabens emporzusteigen.

Wie er nun mehr und mehr den Sigerethwänden sich näherte, war es ihm ein um das andere Mal, als ob er von den Felsen des gegenüberliegenden Rauhenkopfes den Widerhall einer menschlichen Stimme vernähme. Jetzt bog er um eine schroffe, scharfkantige Wandecke und ward eines seltsamen Anblickes gewahr. Hart an der Felswand zeigte sich über dem Gerolle ein kreisförmiger Wall von Steinen aufgeworfen, und aus der Vertiefung, die er umschließen mußte, flogen immer neue Steine hervor, wozu auch ab und zu der graue Kopf eines alten Mannes auf und nieder tauchte. Aus der Grube klangen abgerissene Worte untermischt mit dumpfem Stöhnen und lauten Weherufen.

Hastigen Schrittes näherte sich Festei und erkannte jenen Alten, der bei Nannei’s Almfahrt den Karren gezogen hatte – den verrückten Wofei.

„Ja was is denn? Was treibst denn da?“ rief der Jäger dem Alten zu.

Für einen flüchtigen Blick nur hob Wofei das Gesicht, welches blutige Flecke zeigte, dann schüttelte er, wie aus Unwillen über diese Störung, die wirren Haare, beugte sich nieder in die Grube, darin er auf den Knieen lag, und warf mit beiden Händen wieder Stein um Stein empor.

„So viel – so viel Steiner – und noch net -“ hörte der Jäger ihn stöhnen und murmeln, „so viel – hätt’s net denkt – aber macht nix – ich kenn’ ja ’s Platzl – ich find’ ihn schon – oh – ich kenne ja ’s Platzl – allweil tiefer – drunten muß er ja sein – Jesus Maria! ’s Blut! ’s Blut!“ so klang es plötzlich in heiseren Schreien von Wofei’s Lippen, und schaudernd schleuderte er einen Stein beiseite, den er mit dem Blute seiner eigenen, jammervoll zerschundenen Hände befleckt hatte. Nun aber warf er sich mit dem ganzen Leibe über den Grund – und wie ein Hund in einem Maulwurfhaufen scharrt – so begann er mit beiden Händen im Geröll zu graben und zu scharren, die Steine bespritzend mit dem Blute, welches ihm aus allen Fingern quoll – wimmernd und wieder lautauf heulend:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_186.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2022)