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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Herz dennoch übergeflossen; sie hatte rothgeweinte Augen, als sie wieder zu Frieda kam.

„Mein Gott, weswegen denn?“ sagte ärgerlich die junge Frau, „sie hat ja doch ihr Glück dabei gemacht! Fange Du nicht auch so an wie Moritz, der mit einer Miene diese Verlobung verkündet, als sei mindestens ein Weltunheil im Anzuge.“

„Aber Frieda! Man sieht doch nicht so aus, trotz aller Trauer, wenn man ein Glück sein nennt! Nein Frieda, Du bist schlechter Laune und willst Jemand haben, den Du ärgern kannst. Ich kenne Dich ja doch, kleine Schwester, gelt? Sie hat Dir einmal einen Courmacher weggefangen, Friedchen. Wie? Auf Moritz kannst Du im Ernste doch gar nicht eifersüchtig sein; guter Gott, er hat sich im Leben noch um keine Andere echauffirt, als just um Dich.“

Aber weder Neckerei noch Zuspruch hatte vermocht, die schlechte Laune der schönen Frau zu bannen; es ging ja Alles drunter und drüber, seit Else hier, und jetzt war gar keine Aussicht, daß sie das Haus verließ. Man mußte womöglich noch der Trauer wegen Rücksicht nehmen, sie war eben jetzt keine Person mehr, die sich übersehen ließ, sie war die Braut eines Mannes, der immerhin zu den Tonangebenden gehörte in jenen Kreisen, die in der Provinz als die ersten galten. Und Frieda hatte auf ihr dunkelblaues Costüm eine Korallenbroche gesteckt, denn sie trauerte nicht mit; was ging sie auch der alte verkümmerte Mann an, der seine zwei müden Augen geschlossen!

Die alte Dame aber war zu ihr eingetreten mit einem solchen Ausdruck von Befriedigung in ihrem vollen Antlitz, daß die schwarze Crêphaube einen ganz wunderlichen Contrast dazu bildete. Alles das, was sie für das Mädchen erhofft, war in Erfüllung gegangen, das arme kleine Gör hatte wirklich und wahrhaftig das große Loos gezogen. Und wie hübsch sie sich benahm, so ernst und so gefaßt und dennoch so stolz, und wie „niedlich“ sie aussah in den tiefschwarzen Gewändern! Nicht einmal mehr hatte sie versucht, wie vor dem Tode des Vaters, die Abwehrende und Spröde zu spielen – ach ja, solcher Blick in ein Auge, das sich schließen will für immer, hat eine ernste hochheilige Macht, und läßt alles wie Tand und Kinderspiel erscheinen, was Einen noch werth gedünkt bis dahin. Else hatte gewiß gern die stützende Hand erfaßt, die sich ihr bot just in dem Augenblick, da ihr Lebensschifflein steuerlos zu treiben begann auf dem wilden Meere des Lebens!

„Sie ist ein gutes kluges Kind, die Else, Gott segne sie!“ Die Traner um den Hingeschiedenen war bei der alten Dame nicht allzutief. Freilich, Eines that ihr leid, sie hätte ihm gern das Glück gegönnt, ein paar Jahre noch recht behaglich zu leben, aber Gott wußte auch hier wohl das Richtige; sie hatten sich ja doch einmal nicht besonders vertragen, der Bennewitzer und er, möglicher Weise hätte er die völlige Harmonie gestört. Und kränklich war er immer gewesen – ja, ja, er war erlöst – mochte er sanft ruhen.

Sie ließ sich mit einem sehr freundlichen „Guten Morgen“ in einen von Frieda’s zerbrechlichen Fauteuils nieder und erkundigte sich mit heller Stimme nach dem Befinden der Enkelchen, so daß die junge Frau förmlich verwundert ihre blauen Augen auf sie richtete.

„Na, Friedchen,“ fuhr sie behaglich fort, „was sagst Du eigentlich zur Else? Deine närrischen Mucken von neulich sind doch hoffentlich verflogen, wie?“ Und sie griff nach der Hand der jungen Frau. „Höre, Schatzkind, mir ist eine große Last von der Seele genommen, Du siehst es mir wohl an, und – wenn mich was freut, das weißt Du ja, so habe ich es gern, wenn auch andere Leute vergnügt sind. Du kannst Dir einmal etwas ganz besonders Hübsches zum Geburtstage wünschen, Friedchen. Ja? Na, nur heraus mit der Sprache – Lili, helfen Sie ’mal.“

Die junge Frau machte noch immer keine freundliche Miene, obgleich es verheißungsvoll genug lautete, was da in ihre Ohren klang, denn nobel war Mama Ratenow immer in ihren Cadeaux.

„Du bist sehr gütig, Mamachen,“ kam es zögernd über die vollen Purpurlippen; „ich –“

„Nun, Du hast Zeit, Dich zu besinnen; übereile Dich nicht. Ich hatte so daran gedacht, wie es wäre, wenn Moritz mit Dir eine Reise machte, eine Saison in Baden-Baden, nach der Schweiz und den italienischen Seen – wie? Auf die Kinder will ich wohl achten. Na, überlege Dir es, mein Kücken. Guten Morgen! Ich will nur ’mal nach Moritz sehen, er ist bei den Lämmern. Guten Morgen, Kinder!“

Ja freilich, sie verstand es; sie wußte für jeden Menschen die Melodie zu finden, nach der er gern tanzte, und sie wußte auch, daß niemals die Wirkung ausblieb. So auch hier. Die beiden Schwestern saßen plötzlich eng an einander geschmiegt auf der Chaiselongue und blätterten in der neuesten Modezeitung; da war ein so wunderhübsches elegantes Reisecostüm; wenn man das in einer andern Farbenzusammenstellung wählte, vielleicht in bleu gensd’armes? Moritz reiste ungern, freilich, es war ihm zu unbequem, und er scheute die Ausgaben, denn Frau Frieda reiste nicht billig – nun aber konnte er nicht anders. Reisen! O Wort voll Entzücken! Reisen – Baden-Baden – !

Moritz war wirklich der Einzige, der halsstarrig blieb.

„Was ist es nur mit Dir, Jung?“ fragte die Mutter, „wie kannst Du Dir die dumme Eifersüchtelei mit Frieda so zu Herzen nehmen? Sie ist auf dem besten Wege, vernünftig zu werden.“

Er griff sich wie ärgerlich an den Kopf. „Du hast mich in falschem Verdachte, Mutter. Ich habe diese Laune Frieda’s einfach ignorirt, wenn ich auch nicht umhin kann, einzugestehen, daß mich ihr Benehmen verletzte. Es mag übrigens sein, daß sie eine Spur von Recht hatte – ich war vielleicht zu voreilig besorgt um des Mädchens Geschick.“

Sie gingen zusammen über den Hof während dieses Gespräches; die Frühlingssonne lag golden auf dem alten Herrnhause; die großen Linden am Thorwege hatten smaragdgrüne, fast transparente Blätter; auf den Dächern der Wirthschaftsgebäude sonnten sich die Tauben in langer Reihe, und plötzlich schwangen sie sich empor und ihr Flügelschlagen glich silbernen Funken auf dem tiefblauen Himmelsgrunde.

Ein Wagen rollte pfeilschnell durch die Einfahrt und hielt vor der Freitreppe.

„Das Brautpaar, Moritz,“ sagte Frau von Ratenow, rascher vorschreitend. „Wo willst Du hin, Moritz?“

Der Sohn hatte die Mütze vom blonden Scheitel genommen und ging grüßend dem Pferdestalle zu.

„Ich will nach der Sultana sehen, der Roßarzt kommt heute, um den Fuß noch einmal zu untersuchen.“

„Komisch!“ murmelte die alte Dame, eilig weiter gehend, und sie holte gerade noch das junge Paar an der Hausthür ein und drückte die kleine Mädchenhand im schwarzen Lederhandschuh.

Sie sah merkwürdig aus, die Else, so seltsam starr und entschlossen. Herr Gott ja, ihr Vater – aber dies war doch unnatürlich, hätte sie nur wenigstens geweint! – Und so saß sie auch in dem Fauteuil beim Kaffee in dem behaglichen Zimmer der Tante; nach dem Gartensalon standen die Flügelthüren geöffnet, und die ganze weiche warme Frühlingsluft zog bis hier herüber; auf den Steinfließen der Terrasse lag voll und heiß der Sonnenschein, und einzelne Strahlen fielen wie scharf begrenzte Streifen in das Gemach, und darinnen tanzten Millionen Sonnenstäubchen.

Das Mädchen hatte den feinen Kopf gewandt und sah regungslos dort hinein mit den heißen Augen, ohne ein Wort zu sprechen, ohne den leisesten Antheil an der Unterhaltung zu nehmen. Was sollte sie auch dabei?

Sie kam sich vor wie Eine, die, ausgestoßen aus einem blühenden Garten, in winterliches Eis und Schnee versetzt wurde; sie stand darinnen und fror, fror bis in’s innerste Mark. Und von jenseits winkten blühende Rosen und fragten:

„Warum ließest Du Dich zwingen?“

Und die Schwalben flogen vorbei und zwitscherten:

„Ist das Dein Muth gewesen, schämst Du Dich nicht?“ –

Und sie schämte sich; wie ein Gluthstrom packte sie die Scham, die echte mädchenhafte Scham, daß sie aufsprang und hinaus eilte auf die Terrasse und in den Garten durch die lieben alten Wege, immerzu in hastigen Schritten.

(Fortsetzung folgt.)




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