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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Deandl, und er is allweil der Gute und Brave und redt so schön und schmalzig daher – ja – da hat’s es gleich, und ’s Deandl is verschossen bis über’n Hals! Und wenn er nachher net an ehrlicher Mensch is - nachher - - Aber ich will von so ’was noch gar net reden! G’setzt den Fall, er is a braver Bursch – o mein! Weißt, Nannei – ’s Lieben, das geht g’schwind, aber ’s Leben, das is härter! Da wird gar net denkt und gar net überlegt, da rennt man g’rad ’nein mit’m Kopf und mit’m Herzen – ja! Schau, mein liebs, liebs Deandl, ich hab’s ja selber derlebt! Ich bin auch so droben g’wesen am Berg’ – so ganz allein – und hab’ mein’ Muckei kennen g’lernt – und auch zu mir is Einer ’kommen und hat so g’redt, wie der saubere Saalfeldner zu Dir – kennst ihn ja, den alten Wofei, den versoffnen – selbigsmal is er noch a Holzknecht g’wesen – ja – und kein’ Ruh’ net hat er mir g’lassen, bis ihm net mein Muckei den Buckl amal so recht verdroschen hat –“

„Der Wofei! Der Wofei!“ sprach Nannei leise vor sich, und sie meinte nun so manche von den wirren Reden des Alten zu verstehen. Sie wollte von dem seltsamen Gebahren Wofei’s erzählen – da aber sprach die Mutter schon wieder weiter.

„Schau, Nannei, Dein Vater is a Mensch g’wesen; so a seelenguter, wie’s auf der ganzen Welt kein’ Zweiten nimmer giebt – und drum haben wir uns auch so g’schwind verstanden, und Kein’s hat ’denkt, daß er nix hat und ich nix hab’. G’wiß wahr – ich müßt’ lügen, wann ich sagen wollt’, daß ich’s um meinetwillen an einzige Stund’ bereut hab’. Mein ganz’ Herz hat ihm g’hört – und wie ihn d’Leut’ selbigsmal ’bracht haben – so – so – schau – da hab’ ich g’meint, es reißt mir Alles aus einander in mir drin – und hing’worfen hab’ ich mich über ihn und hab’ g’rad allweil g’schrieen: Muckei! Mein Muckei! Mein armer Muckei –“

Ein krampfhaftes Schluchzen unterbrach die Worte der alten Baslerin, und während sie mit der einen Hand die Augen bedeckte, schlang sie den andern Arm um den Nacken ihres Kindes, welches mit leisem Weinen das Gesicht an der Mutter Schulter lehnte.

Mit schiefem Kopfe und großen Augen schaute das Dschapei eine Weile zu den Beiden auf, dann schüttelte es die Ohren und trippelte aus dem Schatten hinaus in den warmen Sonnenschein.

„Und wenn ich jetzt so ’nüberschau an dieselbige Wand,“ sprach die Baslerin unter Thränen und Schluchzen weiter, „da steigt’s mir wieder ’rauf, – mein’ Lieb’ und mein Leid! Aber schau – Alles, Alles wäre anders g’wesen, wann ich und Dein Vater – unser lieber Herrgott hab’ ihn selig – net so blind ’neing’heirath’ hätten in Tag. G’rad rennen und schaffen hat er müssen von der Früh bis in d’späte Nacht, der arme Kerl, daß er ihm und mir und nachher auch Dir das bißl Leben verhalt’ – und wer bei uns heraußen in die Berg’ nix hat, der muß sich zu jeder Arbeit schicken, wann’s gleich an Arbeit is, wo’s Sterben mit ei’m Hand in Hand geht bei jedem Schritt und Tritt. Und ’s Weib daheim, das hat keine ruhige Stunde vor lauter Angst und Sorge – und legt der liebe Herrgott nachher noch sein’ schwere Hand auf Ein’, so wie bei mir – nachher sitzt man drin in Noth und Kümmerniß und Elend. Und schau, mein liebs, liebs Deandl – schau – ich bin ja net so, wie andere Mütter oft, die ganz obenaus wollen mit ihre Kinder – aber schau – wann ich auch von ganzem Herzen wünsch’, daß amal Ein’ findst, der Dich so gern hat, wie Dein Vater Dein’ Mutter g’habt hat, und an dem auch Du g’rad so hängen kannst mit der ganzen Seel’ – schau – so möcht’ ich doch Dir verspart wissen, was ich im Leben derfahren hab’ an Sorg’ und Elend. Drum nimm Dein Denken halt in Acht – und häng’ net gleich Dein Herz an Ein’, der Dir schon g’fallt am ersten Blick und am ersten Wort – und wann sich amal ’was rührt in Dir, nachher schau halt auch a bißl zu, ob die Sach’ a Ziel und an Absehn hat – und denk’ an so ’was net erst, wann’s lang schon z’spät is!“

Regungslos hielt Nannei den Kopf an die Hüttenwand gelehnt, und unter ihren gesenkten Lidern rannen langsame Thränen hervor.

„No schau – da mußt jetzt net weinen!“ mahnte die Mutter, indem sie sich selbst die noch feuchten Augen trocknete. „G’rad a bißl z’Herzem nehmen mußt Dir, was ich jetzt g’sagt hab’. Allweil is mir das auf der Seel’ g’legen, daß ich’s amal ’rausbring’. Und drum hat’s mich auch ’rauf’trieben zu Dir.“ Und leise fügte sie bei: „Zu unserm Herrgott will ich hoffen, daß ich net selber schon z’spät ’kommen bin.“ Dann erhob sie sich und schüttelte die Röcke. „Und komm’, Nannei, komm’ – jetzt geh’n wir a bißl umeinander und schauen Deine Küh’ an!“

Seite an Seite schritten sie über das Weideland dem Hange zu, von welchem die Almenglocken einhertönten.

Als eine Stunde später die Mutter sich zum Heimgange rüstete, wollte ihr Nannei durchaus ein Stück Weges das Geleite geben. Das aber litt die Mutter nicht; sie meinte, Nannei hätte in den vergangenen Stunden ohnehin schon zu viel von ihrer Arbeit versäumt.

Herzlich und thränenreich war der Abschied.

Während dann die alte Baslerin achtsamen Fußes dem Steige folgte, schaute sie immer wieder feuchten Auges zu den Sigerethwänden empor.

Bei der Quelle, an welcher Nannei den alten Wofei getroffen hatte, verweilte sie eine Zeitlang und schöpfte sich mit der hohlen Hand einen Trunk des eiskalten Wassers. Dann pilgerte sie wieder sinnend ihres Weges dahin, bis sie lauschend einmal den Schritt verhielt. Schwere Tritte klangen – und nun sah sie an einer Biegung des Steiges einen jungen Jäger erscheinen, dessen Gestalt und Gesicht ihr gar wohl gefielen.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Der Kriegsschauplatz im Sudan. Wiederum hat der Islam eine jener kriegerischen Erhebungen gezeugt, deren Gang so oft in der Geschichte durch Ströme von Blut, verwüstete Länder und niedergebrannte Städte bezeichnet wurde. Schon Mohammed soll prophezeit haben, daß im 13. Jahrhundert der mohammedanischen Zeitrechnung ein „Mahdi“ oder „Mahadi“, das heißt „der von Gott auf den rechten Weg Geleitete“ erscheinen, den Islam wiederbeleben und die arabische Herrschaft wiederherstellen werde.

Diese Prpphezeiung lebte in der Ueberlieferung der Gläubigen fort, und in der That fand sich ein Mann, der, als der Tag der Prophezeiung der 1. Moharrem d. J. 1300 mohammedanischer Aera oder der 12. November 1882 n. Chr. Geburt gekommen war, sich als den lange erwarteten Messias bezeichnete. Einst ein schlichter Schiffszimmermann in Chartum, der Hauptstadt des ägyptischem Sudans, ist er heute als „Mahdi“, der „falsche Prophet“ in aller Welt Munde, und er strahlt sogar im Glanze des kriegerischen Ruhmes, der seit je die Schaaren der Wüstensöhne blendete. Dieser Prophet hat in der That mit unzulänglichen Kriegsmitteln ägyptische und englische Generäle geschlagen und einen Aufstand entfacht, den das stolze Albion bis jetzt weder mit Pulver noch mit dem mächtigeren Gold zu dämpfen vermochte.

Wir werden in nächster Zeit unsern Lesern in Wort und Bild[1] die Geschichte dieses Aufstandes und die eigenthümlichen Verhältnisse jenes Landes vorführen, des Sudans, in welchem die Schale des Unrechts die der Gerechtigkeit überwiegt, in welchem die Brandschatzung und Unterdrückung der Bevölkerung eine stehende Regel geblieben und die Schande des Sclavenhandels offen fortwuchert. Heute bringen wir die beifolgende Karte, welche den Leser leicht in den Stand setzen wird, sich über den dortigen Kriegsschauplatz zu orientiren. Nur die eine Bemerkung möchten wir dabei vorausschicken, sich nämlich die Entfernungen und überhaupt alle Dimensionen sehr groß vorzustellen.

Das eigentliche cultivirte und bewohnte Aegypten, also das Nilthal mit dem Delta, ist bekanntlich kaum größer als Belgien, aber das sogenannte ägyptische Reich, das heißt alle Länder, welche nominell direct oder indirect, unter ägyptischer Botmäßigkeit stehen, ist an Flächeninhalt weit größer als das deutsche Kaiserreich. Ferner darf auch bei der Beurtheilung der Kriegsoperationen die ganze Beschaffenheit des Bodens nicht außer Acht gelassen werden, der, mit Ausnahme der Karawanenstraßen, sich noch fast überall im Urzustande befindet. Wasserleere Wüstenstrecken von einigen hundert Kilometern Länge sind selbst in den bebauten Gegenden nichts Seltenes, und meilenlange felsige Einöden liegen zwischen den Städten und Dörfern.

Der bedeutendste Punkt bei dem augenblicklichen Stande der Dinge im Sudan ist Chartum, am Zusammenfluß des Weißen und Blauen Nils. Diese Hauptstadt des ägyptischen Sudans ist zugleich das Centrum des gesammten ostafrikanischen Handels und die westliche Spitze des großen Dreiecks, das voraussichtlich für die weiteren Kriegsoperationen von Wichtigkeit sein wird; Berber bildet in diesem Dreieck den nördlichen und

  1. Wir haben für diese Schilderung unsern langjährigen durch seine trefflichen Artikel über Land und Leute in Aegypten den Lesern der „Gartenlaube“ wohlbekannten Professor Adolf Ebeling gewonnen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_171.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2020)