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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Abgeredet? Nein, Frieda, im Gegentheil; ich habe versucht, ihr die Nothwendigkeit dieses Schrittes zu erklären, aber es hat mir leid gethan hinterher.“

„Freilich!“ Die junge Frau lachte nicht mehr. „Ich wüßte auch gar nicht, wie es werden sollte auf der Burg. ohne Else von Hegebach; es wäre ja undenkbar!“

„Was meinst Du damit?“ scholl die Stimme der alten Dame dazwischen.

„O, nichts, Mamachen – Moritz hat mich wohl verstanden.“

„Ich bedaure, nein, Frieda,“ erwiderte er ruhig.

„Aber ich!“ Frau von Ratenow hatte sich erhoben und stand nun vor der Schwiegertochter. „Ich habe viel Nachsicht mit Dir gehabt, mein Kind, für Deine Launen und Capricen, mit denen Du das ganze Haus tyrannisirst, habe Dich stets entschuldigt, weil ich annahm, daß Du Deinem Gatten herzlich zugethan seiest. Daß er sich von Dir quälen ließ, war seine Sache, er hat’s nicht besser gewollt. Aber wenn Du wagen solltest“ – sie erhob mächtig ihre Stimme – „ihn auch nur in Gedanken einer Unehrenhaftigkeit zu zeihen, wenn Du es wagen solltest, den Ruf des Mädchens anzutasten, das unter meinem Dache groß geworden – Frieda, bei Gott! ich vergesse es, daß Du meines einzigen Sohnes Frau, daß Du die Mutter seiner Kinder bist!“

„Halt ein!“ sagte Moritz, die drohend erhobene Hand der alten Dame sanft herunterziehend. „Frieda weiß nicht, was sie spricht, sie meint es anders.“

Die junge Frau verharrte leichenblaß in ihrem Stuhle; es sprach ein leidenschaftlicher Trotz aus ihren Mienen.

„Nein!“ rief sie aufspringend, „ich meine es nicht anders, ich weiß, was ich gesagt habe. – Seitdem Else Hegebach im Hause ist, ist er ein Anderer geworden, hat er nur noch Augen und Aufmerksamkeiten für sie; ich muß es doch wissen, besser als Du und die Andern!“

„Schweig!“ gebot die alte Dame so würdevoll und ruhig, daß der schöne Mund unwillkürlich verstummte. „Was habe ich einst gesagt, Moritz,“ wandte sie sich zu dem Sohne, „als Du um Dein Weib freitest? Werde nicht müde, sie zu ziehen, damit sie Dir nicht über den Kopf wachse! Jetzt erntest Du die Saat Deiner grenzenlosen Nachgiebigkeit, Deiner Tändeleien; es giebt Weiber und Kinder, denen Güte wie Gift ist –. Und das ist eine Liebesheirath gewesen! Die meine war es nicht, aber ich habe Deinen Vater geachtet und hätte nimmer gewagt ihn zu beleidigen. Nun fehlt nur noch, daß Du sie um Verzeihung bittest, mein Jung, und das Capitel zu einem modernen Eheroman ist fertig.“

„Du weißt ganz genau, Mutter, daß ich das nicht thun werde,“ erwiderte er düster.

Aber die alte Dame hörte es nur noch halb; sie war in ihr Schlafzimmer gegangen und riegelte hinter sich zu.

„Frieda,“ sagte er traurig, sich zu ihr wendend, „Du hast Dich in einen furchtbaren Irrthum hineinphantasirt – weiß Gott, weher konntest Du mir nicht thun!“

Sie stand noch immer da und zupfte an ihrem Battisttaschentuche, die blauen Augen in Thränen funkelnd.

„Frieda, geh’ hinüber, beruhige Dich erst,“ bat er, „und laß uns dann ruhig aussprechen. Mein Gott, wie bist Du auf so Etwas gekommen?“

Er war blaß; sie mußte sehen, daß sie den großen treuherzigen Mann bis in’s Innerste verletzt hatte, aber sie wollte es nicht sehen. Sie schüttelte seine Hand ab und verließ eilig das Zimmer; sie war zu furchtbar gekränkt, sie war eine zu unglückliche Frau – o –

„Lili,“ schluchzte sie in ihrem Boudoir und fiel der Schwester um den Hals, „es ist doch zu fürchterlich, wenn man bei allem andern Unglücke noch eine solche Schwiegermutter hat; so groß und alt Moritz ist, er hängt noch immer an ihrer Schürze wie ein kleines Kind und nimmt nicht einmal meine Partei, wenn sie mich wie ein Schulkind behandelt; aber wie sollte er auch, er liebt mich ja nicht mehr.“

Es war ein häßlicher Tag, der sich seinem Ende zuneigte, und ein häßlicher Abend folgte ihm. Frieda hatte sich in ihr Zimmer eingeschlossen und wollte Moritz nicht sehen. Lili aagte ihm das, und ihre Augen blickten so scheu den Schwager an, wie man etwa einen Verbrecher der schlimmsten Sorte betrachtet. Die Kinder schrieen in ihrem Zimmer, und als er sie beruhigen wollte, fürchteten sie sich vor seiner finsteren Miene. Er trat dann in’s Freie; im Hause sei es ja zum Ersticken, meinte er; er ging schließlich vom Hofe herunter, die Allee entlang, in den duftigen Frühlingsabend hinein, und ohne jede Absicht schlenderte er durch das Stadtthor. In den Gassen war es noch sehr lebendig, vor den Thüren lärmten die Kinder und schwatzten die Nachbarn mit einander, und der Mond schien fast grell heute Abend.

„Holla! Liebster Ratenow !“ rief eine Stimme, und Jemand klopfte ihn auf die Schulter, „was treiben Sie denn hier? Suchen Sie Menschen, so kommen Sie mit in’s Casino; Rost giebt seine Verlobungsbowle.“

Der Rittmeister von P. stand vor ihm. Moritz war nicht in der Stimmung; er wollte nicht, er entschuldigte sich mit seinem Anzuge, und schließlich ging er doch mit.

In dem eleganten Speisesaale der Officiersmesse war es schon sehr lebhaft, als die Herren eintraten; der glückliche Bräutigam schien noch der Nüchternste zwischen den Andern, außer etwa dem Bennewitzer, welcher förmlich apathisch seine Cigarre rauchte.

„Was Tausend,“ sagte Moritz, sich mühsam zum Scherze zwingend, „Sie hier, Herr von Hegebach? Wie kommt der Saul unter die Propheten?“

„Man hat mich eingefangen, wie Sie vermuthlich auch, lieber Ratenow,“ erwiderte er, und zog für Moritz einen Stuhl heran. „Ich mochte noch nicht nach Hause fahren – Sie wissen ja, es giebt Tage im Leben, wo man auf keinem Flecke Ruhe hat.“

Moritz schwieg, er wußte wohl, was das heißen sollte, er selbst hatte ihn ja heute früh gebeten, sich bis morgen zu gedulden; Else sei so überrascht, seine Werbung wäre ihr so plötzlich gekommen, und was man noch zu sagen pflegt, wenn nothgedrungen eine Frist gewonnen werden soll.

Man war schon von der Bowle zum Sect übergegangen; Rost zeigte sich ungeheuer spendabel heute, er hatte ja auch einen so „riesig netten“ Schwiegerpapa, der ihm vor der Hochzeit noch helfen würde, sich zu arrangiren, wie er ihm heute versprochen; es kam nun auch auf ein paar Flaschen Sect mehr oder weniger nicht an.

„Haben Sie die Anzeige an Bernardi fortgeschickt, Rost?“ rief der dicke Assessor Dolling.

„Versteht sich!“ erwiderte dieser; „hoffentlich gratulirt er telegraphisch, denn seine Briefe sind nachgerade unausstehlich – worauf der Alles kommt in seiner weltschmerzlichen Verfassung, es ist unglaublich!“

„Seine Briefe sind immer noch besser als er selbst,“ rief einer der jungen Herren, „er thut überhaupt weiter nichts mehr, als arbeiten oder Geige spielen. Ich habe, als ich neulich auf Urlaub war, ein paar Mal versucht, ihn ein Bischen herauszubringen: wozu ist man denn in einer halbwegs anständigen Stadt? Aber Gott bewahre, er sagte sehr von oben herab, das Treiben ekele ihn an, und das Tivolitheater sei ihm überhaupt ein Horror.“

Die meisten der Herren lachten. „Ich habe ihn nicht mehr incommodirt,“ schloß der junge Officier und füllte sein Glas. „Uns von der Cavallerie genirt so etwas nie!“

„Ich glaube nämlich ganz sicher, daß er den Abschied nimmt,“ bemerkte sehr langsam ein Anderer, „nämlich ich bin ganz zufällig dahinter gekommen; er hatte bei meinem Onkel angefragt, der nämlich so eine Art Musiknarr ist, ob er wohl glaube, daß sein Tatent groß genug sei, um als Virtuos, als Künstler etwas zu erreichen.“

„Und da hat,“ fiel der Assessor ein, die Weise des Sprechers nachahmend, „der Onkel hoffentlich gesagt: ‚Lieber Bernardi, Sie sind nämlich nicht recht gescheidt, Sie kratzen just nicht gerade schlecht auf dem Wimmerholz, aber zu einem Virtuosen nämlich gehört denn doch mehr heutzutage.‘“

Lieutenant von Rost, der gar nicht leicht aus der Ruhe kam, wechselte plötzlich die Farbe.

„So ein Mensch!“ sagte er leise zu seinem Nachbar links, „erst hat man ihn mit Müh’ und Noth vor einer großen Thorheit bewahrt, jetzt will er noch eine größere begehen – er ist einfach verrückt.“

Aber seine ärgerliche Bemerkung wurde übertönt durch das brausende „Hoch!“, das die Cameraden auf das Wohl der jungen Braut tranken.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_158.jpg&oldid=- (Version vom 9.10.2020)