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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Jesses na – Deandl –“ stammelte Festei, „schau – es war net so g’meint – na – g’wiß net –“

„Um Gotteswillen – so einer mein Schatz – na, na – da hätt’ ich mir –“ Nannei unterbrach sich und strich die beiden Hände seufzend über ihre Wangen, während sie mit leiser Stimme weiter sprach: „Und – und – ich hab’ überhaupt kein’ Schatz net – weißt! Was thät’ denn ich schon mit ei’m Schatz – ich – ich bin ja noch viel z’ jung – viel z’ jung –“

Mit einem scheu verlegenen Blicke schaute sie bei diesem letzten Worte in Festei’s Antlitz, sah zwei blaue Augen den ihren entgegenleuchten – und die Blicke der Beiden hielten sich gefesselt, lange, lange, sowie zwei Hände sich verschlungen halten zu herzinnigem Gruße.

Da ward es der Nannei so heiß im Gesichte, und unter ihrem Mieder begann ein gar seltsames Pochen sich zu rühren.

„Ich weiß net –“ sagte sie endlich unter einem tiefen, stockenden Athemzuge, den Aermel langsam über die Stirn wischend, „daherin hat’s schon a fürchtige Hitz’.“

„Ja, Deandl – mir is selber so – so –“ gab Festei kleinlaut entgegen. „Aber wart’ – ich mach’ a bißl auf!“

Damit erhob er sich und öffnete die Hüttenthür, sodaß die frische Nachtluft mit kräftigem Hauche in die Stube strich und die Flamme der Kienfackel hell auflodern machte.

„Ah – das is a Lüfterl – a guts!“ betheuerte Nannei und sog die erquickende Luft mit hörbarem Zuge zwischen die weißen Zähne. Dann lud sie die gesäuberten Geschirre auf ihren Arm, trug sie nach der Rahme und stellte sie an den gehörigen Platz.

Festei saß wieder auf der Herdbank und kaute an seiner Pfeifenspitze.

„Han, Nannei, sag’,“ fuhr er nach einer Weile plötzlich auf, „is er heut’ wieder so keck g’wesen – der? Han?“

„Ah na, ah na –“ eiferte das Mädchen. „Weißt, heut’ hat er gar keine Zeit net g’habt dazu. Kaum, daß er a bißl g’sess’n is, hat er durch’s Fensterl schon den Grenzer daher kommen sehen – und da hat er sich nachher g’schwind verzogen. Aber er käm’ schon bald wieder – hat er g’sagt – bald wieder – ja!“

„So – hat er g’sagt – so!“ stieß Festei über die Lippen, die geballte Faust erhebend. „Dem will ich’s Wiederkommen schon verlegen – dem schon!“

„Jesses na – Festei – ich bitte Dich –“ rief Nannei erblassend. „Wirst doch net mit Dem anbinden – weißt – das is gar a wilder Kerl – der!“

„Mir is er net z’wild – mir net – na!“

„Mein – mein,“ stammelte das Mädchen, „schau – ganz d’Red’ hat’s mir jetzt verschlagen. Heilige Mutter Gottes – ich mag gar net denken – schau – wenn’s da ’was absetzen thät’ –“

„So, Deandl, so? So meinst es?“ sprudelte es in herben Worten von dem Munde des Jägers. „Hast am End’ Angst für ihn – han?“

„Für Den? Angst? Ah na – aber weißt, es könnte ja – es – es – wann Du –“ dem Mädchen versagten die Worte, und erröthend dem Herde sich zuwendend, gewahrte Nannei nicht mehr, wie auf Festei’s Antlitz die Miene des Groll’s in ein glückliches Lächeln sich wandelte. „Geh – schau –“ sagte sie, indem sie vor dem Schmerzenslager des Dschapei auf einen kleinen Schemel sich niederließ und dem geduldsamen Thiere die Ohren kraute, was der Teckel gar eifersüchtig vermerkte, „schau – was reden wir denn jetzt allweil von solchene Sachen und von so ei’m Menschen da! Geh – verzähl’ mir lieber von Dei’m Mutterl! An was is’ denn g’storben – han?“

„Mein – a richtige Krankheit kann ich Dir gar net angeben – weißt – sie is halt g’storben – so nach und nach! Sie war halt schon a recht an alts Leut’ – und mein – viel Prast und Kümmerniß hat’s auch derleiden müssen im Leben. Da is ihr ’s Sterben g’rad a Wohlthat g’wesen – aber mir, weißt, mir is schon recht hart an’kommen. In der ersten Zeit hab’ ich schier net g’meint, daß ich’s verwinden könnt’. ’s einzige Kind bin ich gewesen – und no, da weißt es schon, wie’s is – hast ja selber a Mutterl, wo Dich gern hat, und wo dran hängst mit der ganzen Seel’. So hat’s halt auch für mich nix anders ’geben, als wie mein Mütterl und mein Mutterl und wieder mein Mutterl – und g’rad, so war’s bei ihr – weißt – ich bin halt ihr Alles g’wesen!“

„Ja, ja, ich kann mir’s denken,“ flüsterte Nannei feuchten Auges vor sich hin.

„Wie ich noch a kleiner Bub war und hab’s oft so sitzen und weinen sehen – weißt, der Vater is halt net g’wesen, wie er hätt’ sein sollen – d’Mutter, ja, die hat ihn gar arg gern g’habt – er is zwar in der ersten Zeit auch ganz gut zu ihr g’wesen, aber eigentlich hat er’s doch blos g’nommen, weil’s a bißl a Sach’[1] g’habt hat. Aber was hat’s ihm g’holfen? ’s Wirthschaften hat er net verstanden – und wie ’s allweil abwärts und abwärts ’gangen is mit seiner Hauserei, da hat er’s Trinken ang’fangt, hat Streit und Hader heim’bracht vom Wirthshaus, bis er amal – no, g’rad vor vier Wochen sind’s sieben Jahr’ her g’wesen – da is er wieder amal heim, in der Nacht – so – so mit a bißl z’viel – und wie er da am Steg über d’Achen is, da is er halt ’neben ’naus ’treten – no – und da war’s halt gar nachher – unser Herrgott hab’ ihn selig – ich hab’ ihn halt doch gern g’habt –“

„O mein, o mein!“ glitt es leise von Nannei’s Lippen; die lichten Thränen rannen ihr über die Wangen und tropften nieder auf ihre Schürze.

„Aber wann ich hundert Jahr’ alt’ werd’ – denselbigen Morgen vergiß ich nimmer! D’Mutter – weißt – das is gar net zum sagen – g’rad mit alle zwei Händ’ hab’ ich’s halten müssen, damit’s net selber a Sünd’ an ihr ’than hat – und ganze Wochen darnach hab’ ich ihr net von der Seiten dürfen. Da is nachher noch dazukommen, daß unser Anwesen nimmer zum Halten war – vielleicht kennst es: drunten in Taubensee steht’s, man heißt’s ‚beim Bannholzer‘ – der Flodermüller von Schwarzeck hat’s selbigsmal eing’steigert. No – es is uns über’m Vater seine Schulden ’naus noch ganz a nett’s Geldl ’blieben – aber was heißt das – wann kein Glück net hast und kein’ Fried’ und kein’ Heimath! Da bin ich nachher a Jaager ’worden – ’s einzige Gute bei der ganzen traurigen G’schicht’ – und bin mit mei’m Mutterl nach Ramsau in d’Loschie ’zogen. Und von dem Tage an hat mein Mutterl ’s Sterben ang’fangt – no – und im letzten Fruhjahr hab’ ich’s eingraben müssen.“

Festei schwieg und starrte mit trüben Augen in die verglimmenden Kohlen.

„Und so bist jetzt ganz allein in der Welt?“

„Ja – ganz allein – und kannst mir’s glauben, Nannei, das is gar a bitters Wörtl – allein! Weißt – wann ich so draußen bin in meine Berg’, da merk’ ich’s wohl net so – aber in der Nacht, in der Jagdhütten, wann ich da so lieg’ – da – da – ich kann Dir’s gar net sagen! Kein’ Heimath hab’ ich, wo ich sagen könnt’, da g’hör’ ich her – und hab’ kein’ Menschen net, der zu mir denkt und der sich sorget um mein Glück und mein Leben und der mir gut is, so recht von Herzen gut, so wie ich’s brauchet! – Ja – mein Hund – mein Hund habe ich – der is mir noch gut! Gelt, Bella, gelt – komm’ – da komm’ her zu mir!“

Grinsend und schweifwedelnd kam der Teckel herbeigeeilt und sprang auf Festei’s Kniee, der ihm die Arme um den Hals schlang und unter langen, lauten Athemzügen das Gesicht an die Schnauze des treuen Thieres drückte.

Nannei saß auf ihrem Schemel, so bleich, daß selbst der rothe Lichtschein der dem Erlöschen nahen Kienfackel diese Blässe nicht zu verschleiern vermochte. Die Hände, die in ihrem Schooße lagen, zitterten. Mehrmals rührten sich ihre Lippen, als wollte sie sprechen.

„Fe –“

So klang es auch einmal hauchend von ihrem Munde.

Hastig hatte Festei bei diesem Laute den Kopf erhoben.

„Hast Du ’was gesagt, Nannei?“ frug er, und seine Stimme bebte.

Das Mädchen schüttelte stumm den Kopf, und vor sich niederblickend, schürfte sie mit der Sohlenkante des einen Schuhes den Lehmboden auf.

Da ließ der Jäger seinen Hund zur Erde springen und erhob sich.

„Es is Zeit, Nannei, zum Schlafengehen,“ sagte er, „mußt ja morgen bei der ersten Tagslichten wieder ’raus. Ich hab’

Dich so wie so schon viel z’lang aufg’halten. No – ich komm’

  1. Vermögen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_135.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)