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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Mummenschanz in alter und neuer Zeit.
Eine Carnevals-Plauderei.

Die alten Herren, die manchmal auf den Masken-Redouten unserer Tage erscheinen, werden nicht müde zu versichern, daß die Maskeraden dem Verfalle anheim gegeben seien, daß Alles, was dieselben heute an Geist und Witz bieten, nichts bedeute gegen den Frohsinn, den Uebermuth, die heitere Lebensfreude, deren Stempel alle Maskeraden früherer Tage an sich trugen. Sie mögen Recht haben, aber das Eine ist gewiß: wenn die Maskenbälle dem Verfalle entgegengehen, so wird derselbe sicher kein dauernder sein. Die Geschichte der Maskeraden beweist ja, daß „Epochen des Niedergangs“ in denselben häufig waren, und dennoch blühte immer wieder neues Leben aus verschlissenen Dominogewändern, verblaßten Phantasiecostümen und verstaubten Harlekinslarven auf. Die nie versiegende Lust zu heiteren Intriguen, die harmlosen und doch amüsanten Abenteuer, zu welchen die Maskeraden Anlaß geben, die lustigen Quiproquos auf den Bällen, das Vergnügen an den Vorbereitungen zum Mummenschanz erwiesen sich allezeit wieder als mächtige Hebel, diese angenehmen Vergnügungen in Schwung zu bringen.

Es ist eigenthümlich, daß die alten Griechen, welche die Maske erfanden, die Maskeraden im privaten Leben nicht kannten. Die Larve war nur das Symbol der theatralischen Künste und stand ausschließlich in ihrem Dienste. Die Maskeraden, als gesellige Unterhaltungen, wurden von den alten Römern eingeführt, erfreuten sich bald großer Beliebtheit und zur Zeit der Saturnalien[1] auch eines besonderen Cultus. Italien blieb denn auch bis heute das Land, welches das lebhafteste Maskentreiben besaß und in welchem es den größten Maskenunfug gab. Es ist bekannt, daß der Letztere schon zur altrömischen Kaiserzeit große Dimensionen annahm. Kaiser Nero lief selbst in der Nacht maskirt auf den Straßen umher, verhöhnte durch Costüm, Geberden und Rede den Ernst der Senatoren und beschimpfte die Frauen, die ihm in den Weg kamen.

Die Maskenspiele geriethen denn auch bald in Verruf, vielleicht auch in „Verfall“. Erst die prunkliebenden italienischen Fürsten der Renaissance verhalfen ihnen zu neuem Glanze, indem sie prächtige Maskenaufzüge und heitere Maskenbälle veranstalteten. Im Laufe der Zeiten gewannen denn auch der Carneval in Venedig und der Carneval in Rom, den Goethe mit so viel Vergnügen schilderte, große Berühmtheit. Freilich blieb auch dieses Maskentreiben nicht frei von Unfug. Es kam, besonders in Venedig, so weit, daß die Parloirs oder Sprechzimmer der Klöster zum Rendezvousorte der übermüthigen Masken wurden; je lächerlicher und ausgelassener sie waren, desto besser wurden sie empfangen. Die jungen Nobili waren Wochen lang vor dem Carneval bemüht, die abenteuerlichsten und extravagantesten Maskencostüme zu ersinnen, und zogen dann in großen Schaaren in die Klöster, um die Nonnen durch tausend lustige Geschichten zu zerstreuen und durch ihre originelle Erscheinung heiter zu stimmen. Im Museum Correr in Venedig ist ein Gemälde von Pietro Longhi zu sehen, welches eine solche Carnevalsscene im Kloster darstellt – auf diesem Gemälde tragen auch die Nonnen Larven vor dem Gesichte. Man erzählt, daß es einer tugendhaften Jungfrau, der Aebtissin des Klosters von Santa Croce, Eufemia Giustiniani, durch ihr edles Beispiel und ihre frommen Ermahnungen gelungen sei, diesem unstatthaften Treiben in den venetianischcn Klöstern ein Ende zu machen. Sie wurde dafür in die Reihe der Heiligen aufgenommen. In der schönen Kirche der Santa Maria del Orto werden den Fremden außer den Gemälden Tizian’s und Tintoretto’s in der Sacristei auch zwei verblaßte Portraits der „Beata Eufemia, abbatissa Sanctae Crucis“, wie die Inschrift lautet, gezeigt und der Sacristan versäumt niemals, die Thaten der Glückseligen zu rühmen. Sie waren jedenfalls besser als jene ihrer Portraitisten.

Das war indessen nicht der einzige Unfug, zu dem das Maskentreiben Anlaß gab. Es geschah in Rom, daß die weltlich gesinnten Frauen der ewigen Stadt in höchst ungehörigen Toiletten sogar in den Kirchen erschienen – in decolletirten Kleidern und mit Larven vor den schönen Gesichtchen. Die Mode, den Nacken entblößt zu zeigen, war eben damals – in der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts – aufgekommen und die Damen nahmen keinen Anstand, auf diese Weise auch in den Kirchen zu erscheinen. Damals erregte der Fall bei allen Frommen großen Anstoß. Ich besitze das Büchlein eines frommen Abbé’s aus jener Zeit, das ausschließlich gegen den Toilettenunfug in den Kirchen gerichtet ist. „Nicht nur“ – schreibt der fromme Mann – „daß man in allen Privathäusern, auf allen Bällen, in den Gassen, auf den Promenaden decolletirte und verlarvte Frauen sieht, so giebt es sogar eine Anzahl, die mit erschreckender Verwogenheit Gott sogar am Fuße des Altars zu beleidigen wagt. Die Gerichtshöfe der Pönitenz, die von den Thränen dieser weltlichen Frauen benetzt werden sollten, werden durch ihre Frivolität profanirt.“

Als der Unfug mit den Larven in den Gotteshäusern immer mehr zunahm, sah sich Papst Innocenz XI. (am 30. November 1683) veranlaßt, in einem besonderen Hirtenbriefe die Frauen, welche das Gotteshaus mit Larven vor dem Gesichte betreten sollten, mit allen kanonischen Strafen zu bedrohen. Nachdem aber die Androhung des Bannstrahls nur von geringer Wirkung war, legte sich auch die päpstliche Polizei in’s Mittel und verhängte für jede Entheiligung der Gotteshäuser durch frivolen Mummenschanz hohe Geldstrafen. Wenn fürder eine Dame eine Larve vor das Gesichtchen nehmen wollte, so mußte sie sich für das Incognito ein anderes Terrain erwählen.

Die Maskenbälle, wie sie an den Höfen der italienischen Fürsten und später der französischen Könige – Katharina von Medicis verpflanzte die Masken-Belustigungen zuerst auf französischen Boden – in Mode waren, hatten nicht immer denselben Charakter. Man unterschied vornehmlich drei Arten von Maskeraden.

Auf den Maskenbällen der allerersten Sorte war der Gebrauch, daß einige „Quadrillen“, gebildet aus vier, acht, zwölf oder sechszehn Personen in bestimmten Verkleidungen, zusammen auf einem Balle erschienen, der irgendwo veranstaltet wurde. Diese Masken erfreuten sich der größten Freiheit und waren keinem Gesetze unterworfen.

Sie hatten auch das Recht, auf den fremden Bällen von der Musikcapelle die Weisen aufspielen zu lassen, die ihnen angenehm schienen, um die mit ihren Verkleidungen übereinstimmenden Charaktertänze ausführen zu können. Auf einem Balle, den eine Herzogin von Berry im Januar 1393 in Paris veranstaltete und auf welchem Karl VI. als der Anführer von fünfzehn „Wilden“ erschien, wäre der König beinahe verbrannt, indem sein leichtes Federngewand, sowie das einiger seiner Begleiter Feuer fing. Der König wurde nur durch die Aufopferung der Letzteren gerettet, von welchen zwei an den erhaltenen Brandwunden starben. Eine in der Geschichte der Maskenbälle berühmte „Quadrille“ war die der „Zauberer“ Heinrich’s IV., welche sich durch ihre charakteristische, besonders prächtige Costümirung und ihre ausgesuchten Tänze auszeichnete.

Die zweite Art der Maskenbälle bestand in der regelrechten Darstellung eines Stoffes der Fabel oder der Geschichte. Man bildete zwei und auch mehr Quadrillen zur Aufführung historischer Vorgänge oder poetischer Märchen und tanzte nach einer Musik, welche im Einklange mit den gewählten Sujets stand. Waren die Stoffe weniger bekannt, so wurde zu den Gruppentänzen oft auch ein erklärender Text, in das Gewand einer poetischen Erzählung gekleidet, vorgetragen. Es waren das gewissermaßen Maskenballete, die besonders in Frankreich großen Anklang fanden. Eine ganze Reihe von französischen Balletdichtern wie Todelle, Passerot, Baif, Ronsard, Benserade und Andere, bemühten sich, durch solche Compositionen den Beifall des Hofes zu gewinnen, der sie aufführte. Schließlich gab es noch eine dritte Art von Maskeraden, bei welchen der Tanz durch den Gesang ersetzt wurde. Es waren das Maskensingspiele, wie Benserade und auch Lully einige für den Bedarf des Hofes componirten.

Alle diese Maskenspiele waren an den Höfen der Könige und Fürsten sehr beliebt, weil sie Geist und Geschmack erforderten und der Galanterie ihres Zeitalters freundlich entgegenkamen.

  1. Das römische Sonnenwend- oder Neujahrsfest, eingesetzt zum Andenken an den glücklichen Naturzustand der Menschen. Während des Festes, das zuletzt drei Tage, vom 17. bis 19. December, dauerte, herrschte überall in Rom die ungezügelteste Freiheit; den Gefangenen wurden die Ketten abgenommen, Sclaven wurden von ihren Herren bedient, die Wohlhabenden hielten offene Tafel etc.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_131.jpg&oldid=- (Version vom 3.11.2019)