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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Ich weiß wohl, Kindchen; aber man thut es, ohne daß man es will. Wenn der Doctor morgen kommt, soll er Dir etwas geben, damit Du schlafen kannst; ich habe es Moritz schon gesagt. Oder denkst Du, ich merke es nicht, wenn Du in die Nacht hinein liest? Ich höre jedes Blatt umwenden. Gute Nacht, Herzenskind, schlafe! Früher konnte ich immer so lange aufbleiben, aber jetzt –“




Es waren Wochen vergangen, nun wollte es Frühling werden. Lange Zeit hatte ein häßlicher Ostwind geweht, der bei klarblauem Himmel und goldenem Sonnenscheine daher brauste und die Leute zum Spazierengehen verführte; wenn sie dann aber hinauskamen, so zauberte er ihnen Husten und Schnupfen an, daß sie sich enttäuscht zurückzogen und die Blumen bedauerten, die sich vorschnell hervorgewagt hatten. Nun aber war feuchtwarme duftende Lenzesluft gekommen, am Himmel jagten sich die grauen Wolken und Sonnenschein und Regen wechselten ab. An den Sträuchern sprangen überall die Knospen, im Burggarten war der Rasen mit Veilchen wie übersäet und auf dem Kirchhofe, auf dem Grabe, welches Else gehörte, blühten die blauen Crocus.

Sie hatte eben einen Kranz um das Kreuz geschlungen, das den Namen der Verstorbenen trug; es war heute der Sterbetag der Mutter, und der war ja auch ihr Geburtstag; ein Dornenreis in dem Lebenskranze des Mädchens, ein düsteres Band, das ihr Dasein mit dem Tode so eng verknüpfte. Sie saß da eine lange Weile auf der Steineinfassung des Grabes, und ihre Hände ordneten mechanisch an den Blättern des Kranzes, während ihre Augen über alle die Kreuze und Steine hinweg in’s Leere blickten.

Ihr Leben war zuletzt ein ewiges wortloses Kämpfen gewesen, mit sich, mit all den Anderen; sie besaß Keinen mehr, dem sie vertrauen konnte. Alle hatten sie Front gemacht gegen sie, selbst Moritz. Sie fühlte es, Moritz hatte irgend etwas gegen sie, er wich ihr förmlich aus, und Frieda war so schrecklich herzlos mitunter.

„Sie hat nie im Leben einen Kummer gehabt,“ sagte Tante Ratenow, „sie ist ein verzogenes Kind, und solchen darf man es nicht so hoch anrechnen, wie ja auch Kinderunarten einen Erwachsenen nicht beleidigen können.“

Tante Lott aber, die war plötzlich abgereist in ihr Stift. Eines Tages war sie mit verweinten Augen von Cousine Ratenow heraufgekommen und hatte ihren Koffer gepackt. Die gestrenge Cousine hatte nämlich gemeint, es sei praktischer für dieses Jahr, wenn Lott im Sommer zu Hause bleibe und jetzt ihre vorgeschriebenen acht Wochen in dem Kloster absäße. Ja, und was Tante Ratenow sagte, das mußte nun einmal geschehen.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Denkmal der „Völkerschlacht bei Leipzig“.


Die außerordentliche Bedeutung des großen Kampfes bei Leipzig ist schon durch seine Bezeichnung als „Völkerschlacht“ ausgedrückt. Wie in unserem Kriege von 1870 und 1871 die Schlacht bei Sedan nicht der letzte Sieg über den Feind war und dennoch als höchster Ehrentag gefeiert wird, so war auch diese Schlacht zwar nicht der letzte Entscheidungskampf in den Feldzügen von 1813 bis 1815 gegen Frankreich, aber der glorreichste, denn durch den Sieg bei Leipzig wurde der „deutsche Befreiungskrieg“ erhoben zu dem Befreiungskriege aller Völker Europas von der Gewaltherrschaft des furchtbarsten Mannes seiner Zeit und aller Jahrhunderte. Das hat den Boden der Leipziger Ebene geweiht, denn –

 „Wem auf der Welt wär’ es nicht kund,
 Wie reich besä’t ist dieser Grund
 Von aller Völker Todten!“

Und darum ist das Schlachtgebiet von Leipzig seit jenen Tagen ein Wallfahrtsziel für Tausende aus allen Nationen geworden und noch bis heute geblieben.

Wie war es aber möglich, daß für ein solches nationales Ereigniß weder Erz noch Stein zur Verherrlichung vorhanden zu sein schien? Fühlte die Kunst nicht den Beruf, auf der Stätte einer solchen That ein Denkmal zu erhöhen, der Größe des Siegs und der gefallenen Helden würdig? Fünfzig Jahre vergingen, ehe nur der Gedanke an ein Leipziger Schlachtdenkmal ausgesprochen wurde, und abermals über zwanzig Jahre mußten vergehen, um den im Jahre 1863 festlich gelegten Grundstein zu einem damals geplanten Denkmale spurlos wieder in den Schlachtfeldboden versinken zu lassen.

Wir brauchen die Ursachen einer solchen Möglichkeit nicht zu erörtern; sie lagen in den politischen Zuständen Deutschlands während der Bundestagszeit. Und nun die im Jahre 1863 noch so heiß pochende Sehnsucht nach einem einigen und mächtigen Vaterlande in großartigster Weise erfüllt worden, hat die Kunst näher liegende Aufgaben der Siegesverherrlichung gefunden, und die „Völkerschlacht“ glänzt abermals nur noch in der Geschichte.

So kam es, daß die Erinnerung an die große „Völkerschlacht“ sich nur mit wenigen vereinzelten Denkstätten begnügen muß. Selbst das Bild des weiten Schlachtfeldes ist ein anderes geworden, als es uns die Pläne von 1813 zeigen. Besonders durch Straßen, Canäle und Eisenbahnen sind wesentliche Veränderungen in die Landschaft gebracht; Häuserreihen stehen da, wo der Krieg lange Zeit noch seine Spuren hatte erkennen lassen; die Gegenwart hat keine Scheu mehr vor der Wegräumung von allem Alten, wenn es ihren Verkehrstrieb stört.

Um so aufmerksamer betrachten wir eine Stätte, die uns ein noch unangetastetes Bild jenes Kampfes vor Augen führt: das Schloß, welches unsere Illustration uns im Schmucke winterlicher Umgebung zeigt.

Südlich von Leipzig an den bewaldeten Ufern der Pleiße liegt das Dörfchen Dölitz, auch einer der Orte, wo Goethe seinem eigenen Geständnisse nach „so glücklich war und so viel litt“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_128.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2021)