Seite:Die Gartenlaube (1884) 111.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

des vengeurs etc. Außer diesen, Garibaldi unterstellten, aus Abenteurern aller Nationen, besonders Italienern, bestehenden Truppen, etwa 15,000 Mann, stand in Dijon die etwa 25,000 Mann starke Division Pelissier, französische Mobilgarden und mobilisirte Nationalgarden aus dem Süden, 20 Bataillone und Artillerie, außerdem Depot-Compagnien und Trains.

Dijon ist eine offene Stadt von circa 40,000 Einwohnern, deren mittelalterliche Wälle zu Promenaden eingeebnet sind. Auf der Westseite der Stadt treten kahle oder mit Weinbergen bedeckte Vorberge der Côtes d’or bis auf 5 Kilometer an die Stadt heran; noch näher, 11/2 Kilometer von den Vorstädten entfernt, liegen zu beiden Seiten der Straße St. Seine-Dijon 2 Bergkegel, welche sehr frappant an den Königstein und Lilienstein bei Dresden erinnern, jeder mit einem Kirchdorf gekrönt: Talant und Fontaine. Ein hügeliges Plateau ist die Gegend nach Norden und Osten zu, vollkommen flach das südliche Vorterrain der Stadt.

Die stärkste Front war die nordwestliche, wo die mit je 2 Belagerungsgeschützen aus Lyon armirten Bergkegel sturmfreie Forts bildeten; an diese schloß sich in großem Zuge, Bogen um Bogen, um die Stadt herum eine von durchbrochenen Weinbergsmauern, Schützengräben und Geschützeplacements gebildete Vertheidigungslinie an, welche, bis 3 Kilometer von den Vorstädten entfernt, die Dörfer Pouilly, St. Apollinaire und Quetigny zu Stutzpunkten hatte.

Nachdem General Kettler beim Heranmarsch von Montargis aus nach Dijon hin schon in Avallon auf Garibaldianer und Franctireurs gestoßen und auch in dem Städtchen St. Seine, etwa drei Meilen nordwestlich von Dijon, gezwungen war, gegen mörderische Angriffe von Privatpersonen aus dem Hinterhalt und ihren Wohnhäusern nach der vollen Schwere des Kriegsrechts vorzugehen, mußte er, trotz seiner geringen Streitmacht, seinen Gegner in Dijon selbst aufsuchen. Er brach am 21. Januar in aller Frühe von St. Seine auf, traf in Val Suzon auf den Feind, trieb ihn vor sich her und besetzte gegen 2 Uhr Nachmittags mit seiner linken Flügelcolonne die Höhen von Daix, etwa 4 Kilometer vor Dijon. Vergeblich versuchte die feindliche Infanterie, unterstützt durch ihre zahlreiche Artillerie auf dem Bergkegel von Talant, die Pommern aus dieser Stellung zu werfen.

Mit Ruhe und Kaltblütigkeit wurden alle Angriffe 3 Stunden hindurch abgewiesen. Ein weiteres Vorgehen deutscherseits hing jedoch von der Sicherung der rechten Flanke ab. Da, es war gegen 5 Uhr Nachmittags, erhielt General von Kettler die sehnsüchtig erwartete Meldung, daß seine rechte Flügelcolonne das in der Höhe von Daix gelegene Plombières mit stürmender Hand genommen, und nun hieß es noch einmal auf der ganzen Linie „vorwärts“! Und vorwärts ging es. Vor dem linken Flügel zerstob die italienische Brigade Menotti Garibaldi, das I. Bataillon 61 stieß bis in die Nähe von Fontaine vor, das II. Bataillon jagte den Feind zwischen den Höhen von Talant und Fontaine hindurch und stürmte die am Fuß des Bergkegels von Talant gelegenen Häuser.

Hier aber gebot die sinkende Nacht den Kämpfern ein gebieterisches Halt! Ein Halt nach schweren Verlusten! Elf Officiere und 184 Mann deckten todt und verwundet das Schlachtfeld. Unter ihnen, zum Tode verwundet, der Commandeur des I. Bataillons 61, Major Priebsch. Todt der Oberstabsarzt Dr. Born! In treuer Erfüllung seiner Pflicht bis in die vorderste Reihe der Kämpfenden den Verwundeten zu Hülfe eilend, hatte er sich, gänzlich erschöpft von der schweren Arbeit, auf einen Stein niedergesetzt, um neue Kräfte zu sammeln, als ein feindliches Geschoß ihm die Stirn durchbohrte und ihn lautlos niederstreckte zum ewigen Schlaf.

Auf dem eroberten Boden, gegenüber den starken, sturmfreien Positionen von Talant und Fontaine, bezogen die Bataillone nun im Schnee und aufgeweichten Lehmboden, jeder Erquickung nach forcirtem Marsch und blutigem Gefecht entbehrend, das Bivouac. Kein Holz, kein Stroh war vorhanden, nicht einmal Wasser zum Abkochen. Aber der Muth der Bataillone war nicht gebrochen. Während der ganzen Nacht beunruhigten Vorposten-Compagnien den Feind durch Patrouillen, und als Dijon noch im Schlafe lag, gegen Morgen, machte die 7. Compagnie noch einen Vorstoß, wobei sie bis zu dem Zollhause von Dijon vordrang und die Brigade Ricciotti Garibaldi in den Rücken faßte, sich schließlich aber zurückziehen mußte, als die Brigade Menotti in das Gefecht eingriff.

Trotz aller dieser Erfolge beschloß jetzt General von Kettler mit Rücksicht auf den ihm gewordenen Auftrag und die übergroße Erschöpfung der Truppen, von einem weiteren Angriff gegen die festen Positionen des Feindes zunächst abzustehen und den Rückzug auf die weiter hinten liegenden Ortschaften anzutreten. Zwar versuchte noch der Feind, als gegen 10 Uhr Morgens das Wetter sich aufhellte und die Bewegungen zu übersehen waren, namentlich die Räumung von Daix und Plombières, mit starken Colonnen den Rückzug der Deutschen zu stören; doch wurde er so entschlossen zurückgewiesen, daß er es vorzog, auf jegliche Offensivbewegungen zu verzichten.

Nur das zwischen Dijon und Darois in Changey Ferme vorläufig errichtete Feldlazareth fiel mit sämmtlichen Verwundeten, Aerzten und Dienern dem Feinde in die Hände, der, allerdings unter Verletzung der Genfer Convention, Alles nach Dijon transportiren ließ. Als Major Priebsch am nächsten Tage seinen Wunden erlag, wurde er mit militärischen Ehren bestattet, und Garibaldi, sein Sohn Menotti und seine Tochter folgten dem Sarge des deutschen Helden. Trotz alledem konnte es der alte Garibaldi, obwohl er allein an Gefangenen 7 Officiere und 431 Mann verloren hatte, nicht unterlassen, zur selben Zeit durch seine Tiradenposaune zu verkünden: „Ihr habt sie gesehen, die Fersen der furchtbaren Soldaten Wilhelm’s, Ihr, die jungen Soldaten der Freiheit! Ihr habt die kriegsgeübtesten Truppen der Welt besiegt.“

Am verhängnißvollen 23. Januar stand von Kettler mit seiner vereinten Schaar, die Front gen Süden gerichtet, zum Angriff auf Dijon abermals bereit. Als aber, erst um elf Uhr, der dichte Nebel sich verzog, zeigte die Sonne ihm die ganze Größe seiner Aufgabe. Garibaldi hatte, offenbar in dem Glauben, ein ganzes preußisches Armeecorps vor sich zu haben und aufzuhalten, Dijon in einer Weise befestigt, daß es gegen eine bedeutende Macht vertheidigt werden konnte.

Nichts destoweniger ging Kettler voll Muth und Entschlossenheit wiederum zum Angriffe über und gewann, an Chaussee und Eisenbahn Langres-Dijon vorgehend, langsam und stetig gegen Dijon an Terrain. Da, gegen 4 Uhr Nachmittags, erhielt das 2. Bataillon des 61. Regiments den Befehl zur Unterstützung des rechten Flügels des ersten Treffens vorzugehen. In Compagniecolonnen aufgelöst, nahm es, das erste Treffen rechts überflügelnd, seinen Weg anfänglich an der Westseite der Chaussee entlang, dann längs des Dammes der Eisenbahn Dijon-Langres und gelangte, den Feind überall zurückwerfend, weit über die allgemeine Feuerlinie hinaus, bis in die Nord-Vorstadt von Dijon. Hier angekommen, kam von der Eisenbahn her sowie aus den Vorstadthäusern ein so überlegenes, umfassendes Feuer, daß sich die 3 Compagnien des Bataillons (5., 6., 7.) zum augenblicklichen Schutze gegen dasselbe in einen dem Feinde eben abgenommenen Steinbruch warfen. Hauptsächlich kam das Feuer, wie jetzt bemerkt werden konnte, aus einem großen dreistöckigen, zur Vertheidigung eingerichteten Fabrikgebäude, etwa 150 Schritte entfernt, in der rechten Flanke, welches von circa 600 Garibaldianern und Mobilgarden mit Repetirgewehren vertheidigt wurde.

So lange dies Fabrikgebäude in der Hand des Feindes blieb, war an ein erneutes Vorgehen gar nicht zu denken. Es mußte also der Versuch gemacht werden, dasselbe im Sturme zu nehmen. Den Auftrag hierzu erhielt die 5. Compagnie.

Entschlossen, ohne Zögern, und mit kräftigem Hurrah brach dieselbe aus dem deckenden Steinbruche vor, der Fahnenträger Pionke mit dem hochgetragenen Feldzeichen Allen vorauf! In diesem Augenblicke eröffnen aber auch die Franzosen aus allen Fenstern und Schießscharten der Fabrik ein verheerendes Feuer auf die Stürmenden. Nur wenige Schritte und der Fahnenträger stürzt, von vielen Kugeln getroffen, zu Boden, noch im Tode die Fahne fest umklammernd. Rasch faßt jetzt Sergeant Breitenfeldt dieselbe. Doch war’s ihm nicht vergönnt, sie hoch zu heben. Ein schneller Tod rafft ihn und die ganze Fahnensection in wenig Augenblicken fort. Nun eilt Lieutenant Schulze herbei, reißt die Fahne unter den Leibern ihrer treuen Hüter hervor, und, hoch sie schwingend, trägt er sie der Compagnie vorauf, hinein in den Kugelregen. Auch er fällt, aus zwei Wunden entströmt sein junges Leben. Da erblickt die sinkende Fahne der Bataillonsadjutant, Lieutenant von Puttkamer, springt eilends, schon aus einer Kopfwunde blutend, vom Pferde, ergreift das Feldzeichen, und mit dem Rufe „Vorwärts!“ es hoch erhebend, führt er

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_111.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2023)