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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Beginn ihrer Aufzeichnungen durch Heine und seine lähmende, entsetzliche Krankheit, erlauben. Das Manuscript ist auf großen weißen Folioblättern mit Bleistift geschrieben, in einer deutlichen, wenn auch nicht sehr festen Handschrift, der man oft genug das „Gliederzucken“ und die „Knochendarre in dem Rucken“, wie auch die unbequeme Lage des Dichters in seiner Matratzengruft ansieht. 129 Folioblätter zu durchschnittlich je 25 Zeilen zählt unser Manuscript, davon mehrere Seiten doppelt foliirt; die Rückseiten sind unbeschrieben. Kein Blatt, welches nicht zahlreiche Aenderungen inhaltlicher wie stilistischer Natur aufweist, – aber auch die Aenderungen sind ausnahmslos von Heine’s eigener Hand und augenscheinlich gleich während der Abfassung vorgenommen. In Buchform dürften immerhin 10–12 Bogen herauskommen, somit ein ganz ansehnlicher Band und wenn auch vielleicht nicht, wie Heine beabsichtigte, die Krone seiner Schriften, doch jedenfalls eine höchst werthvolle Zugabe zu der Gesammtausgabe seiner Werke und eine Fundgrube für seine Jugend-Biographie.

Daß 129 Folioseiten, zumal bei der sehr behäbigen, holländerisch genauen Schilderung Heine’s, keine sehr große Spanne seines Lebens umfassen können, ist einleuchtend. Die Lebensbeschreibung reicht nur bis zum Beginn von Heine’s Jünglingsalter und enthält vorzugsweise die Darstellung des elterlichen Hauses, seiner Jugenderziehung, der ersten Eindrücke von Schule und Leben. Daß Heine nichts Langweiliges geschrieben, wissen die Leser seiner Werke und wenn auch keine interessanten Staatsgeheimnisse, keine pikanten Aufklärungen über Herzensbeziehungen, und was man sonst vielleicht von Heine’s Memoiren in erster Reihe erhofft hat, sich darin finden – das Factum bleibt bestehen, daß in dem Nachstehenden ein bedeutsames Fragment echter Memoiren Heine’s gegeben wird, und zwar alles, was überhaupt zu erwerben war.

Herr Julia hat eine schriftliche, rechtsverbindliche Erklärung abgegeben, daß dieses von ihm veräußerte Manuscript das einzige sei, welches von dem in seinem Besitze befindlichen handschriftlichen Materiale Heine’s zu den Memoiren gehöre. Herr Julia besitzt noch eine Sammlung von mehreren hundert Briefen an Heine (nicht von Heine), darunter aber kaum ein Dutzend um der Absender und des Inhalts willen von irgendwelchem Werth. Die Antworten Heine’s – und auf diese kommt es an – sind längst in der Gesammtausgabe veröffentlicht, und ein hoher Werth jener Briefe für Heine’s Biographie kann nur von denen behauptet werden, welche entweder die Briefe nicht gesehen oder noch nicht von Strodtmann’s ausgezeichneter Heine-Biographie Kenntniß genommen haben.

Die „Gartenlaube“ glaubt in jedem Falle eine literarische Ehrenpflicht zu erfüllen, wenn sie so viel von den Memoiren veröffentlicht, wie ihr zugänglich war; an Anderen, an den nächsten Angehörigen ist es nunmehr, die heilige Pflicht der Pietät gegen einen großen Todten zu erfüllen durch die Veröffentlichung weiterer Aufschlüsse über sein Leben, welche die jetzt seit achtundzwanzig Jahren erkaltete Hand zu dem ausgesprochenen Zwecke geschrieben, Zeugniß abzulegen für sein Leben. Dr. Eduard Engel (Berlin).     


Blätter und Blüthen.

Pharisäer und Zöllner. (Illustration S. 93.) Der Gegenstand ist wahrlich nicht neu, den das Bild von Moritz Röbbecke uns vorführt. Und dennoch fesselt diese Darstellung des Hochmuths und der Demuth unsere Aufmerksamkeit und fordert zum Nachdenken heraus. Die meisterhafte Figur des stolzen Pharisäers allein bewirkt dies keineswegs. In dem Bilde finden wir überhaupt etwas Neues, Ungewohntes. Wir kennen Alle jenes biblische Gleichniß, aber die beiden Gestalten hat sich unsere Phantasie wohl in einer andern Situation gedacht. Der Pharisäer und der Zöllner standen ja betend in dem Tempel, hier ist der Maler von dem biblischen Texte abgewichen. Diese Abweichung ist jedoch ein sehr glücklicher Kunstgriff des Künstlers, durch den allein es ihm möglich geworden ist, dem Gegensatze der beiden Charaktere den schärfsten Ausdruck zu verleihen.

In dem Gleichnisse, welches dem Maler als Anregung diente, ist das charakteristische Merkmal der beiden Gegensätze in den Worten der Gebete zu finden. Dem Gebete des Pharisäers: „Ich danke Dir, Gott, daß ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner; ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von Allem, das ich habe,“ sind die schlichten Worte des Zöllners: „Gott, sei mir Sünder gnädig“ entgegengestellt. Diese Worte oder Gedanken konnte der Maler nicht wiedergeben. Die Demuth war wohl durch die Haltung des betenden Zöllners zu charakterisiren, aber ein hochmütig betender Pharisäer müßte zu einer unwahrscheinlichen Figur, zur Carricatur werden. Darum suchte der Künstler das Uebermaß des Hochmuths durch eine entsprechende Handlung auszudrücken.

Dies ist ihm in der That trefflich gelungen. Wir brauchen nur einen Blick auf den Mann zu werfen, der mit diesem Gesichtsausdruck das Almosen für die Armen spendet, um zu wissen, weß Geistes Kind er ist. Von diesem Standpunkte aus finden wir das Ungewohnte in unserem Bilde durchaus natürlich, die Abweichung durchaus begründet, denn indem der Maler hier von dem ursprünglichen Texte abwich, folgte er einfach den Geboten seiner Kunst, welche in der Darstellung ihrer Ideale nach anderen Grundsätzen verfahren muß, als die mit Worten schildernde Kunst, die Erzählung oder Poesie. J.     


Carneval auf dem Lande. (Illustration S. 101.) Eine noch einfachere Weise, die berühmten Narrenfeste Venedigs, Roms und der beiden rheinischen Carnevalshauptstädte ins Ländliche zu übersetzen, wird wohl schwerlich erfunden werden können. Aber auch die Wirkung der seltsamen Vergnüglichkeit kann man sich nicht gelungener wünschen. Dem Goethe’schen Volksbilde von dem „wenig Witz und viel Behagen“ ist im gutmüthigsten Sinne hier ein gleiches Stück an die Seite gestellt. Jede dieser kerngesunden Personen würde, auf Befragen, offen gestehen, daß sie sich „krank lachen“ möchte über den Schalksstreich, den der Hans da gegen die Grete ausführt. Der Künstler hat uns in das Geheimniß eingeweiht. Hans und Grete sind Liebesleute und soeben in einem längeren Schmollen begriffen; sie hat ihm Tanz und Kuß versagt. Freilich ist die Reue bei ihr schon eingekehrt, und sie wartet nur auf sein „Sei wieder gut!“, um ihm den Versöhnungskuß zu geben, – da bricht der Fastnachtstag herein, – Hans kommt, aber mit einer so langen und spitzigen Nase, daß kein Kuß darunter möglich ist und Grete voll Scham und Angst ihr Gesicht versteckt. Das maskirte Mädchen mit dem Handkorb ist der Hirtenjunge, der Gaben sammelt. Das ist das, was man in den genügsamen Volkskreisen einen Hauptspaß nennt. – Der Maler, Theodor Schmidt, ein geborner Stuttgarter und Zögling der Münchener Akademie, hat uns auch in diesem Bilde in seine schwäbische Heimath geführt, in welcher er Bezingen und dem Steinlachthal wegen der dort noch erhaltenen malerischem Volkstrachten für seine Compositionen gern den Vorzug giebt.



Allerlei Kurzweil.



Schach.
Problem Nr. 2.

Von
Georg Chocholous
in Halbstadt in Böhmen.

SCHWARZ

WEISS

Weiß zieht an und setzt mit dem dritten Zuge matt.


Kleiner Briefkasten.

Abonnent in Città di Castello. Eine Anstalt dieser Art können wir Ihnen nicht nennen. Berühmte Specialärzte finden Sie an den größeren deutschen Universitäten, z. B. in Wien, Berlin oder Leipzig.

E. K. in Oppeln. Alle Ihre Anfragen beantwortet Ihnen Robert und Richard Keil’s „Geschichte der deutschen Burschenschaft“, die Sie durch jede Buchhandlung beziehen können.

A. M. in Hamburg, S. S. in Nürnberg, M. K. in Hagenbach und O. S. in Rosenberg. Leider unbrauchbar!

Abonnentin in K. Ja.



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Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart.0 Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_104.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2024)