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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Steine und schob und stieß sich vom Platze, dabei nur doppelte Qualen sich bereitend, und Brust und Kehle blutig schindend an dem spitzen Kiese, bis es, von Schmerz und Blutverlust entkräftet, regungslos darniedersank auf den rauhen Grund.

Dunkler und dunkler ward es in den Lüften; die Nacht kam einhergezogen und deckte leise ihren thaukühlen Mantel über das arme Thier.

Ein Wiesel durchhuschte im Finstern die Schlucht und sprang vor dem Dschapei erschreckt auf die Seite. Auf irgend einem Felsenloche flatterte ein Nachtvogel hervor und strich mit wimmerndem Rufe dem Thale zu. An den umliegenden Wänden rollten und polterten die manchmal fallenden Steine – und ab und zu bald ferner, bald auch näher, klang das kurze, heisere Bellen eines beutesuchenden Fuchses.

Die Nacht in den Bergen ist so seltsam belebt – und stille wird es erst da droben, wenn der Glanz der Sterne beim werdenden Morgen zu schwinden beginnt, wenn die Nachtthiere schon wieder in ihren Schlupfen liegen und die Thiere des Tages im Schlafe noch die Augen geschlossen halten. –

Grau färbte sich der Himmel, und zwischen den Kuppen der östlichen Berge erwachten schon die ersten fahlen Lichter; sie zogen höher und höher, wurden voller und leuchtender – und bald erglühten alle Spitzen und Felsenhörner im rothen Frühglanze des erstandenen Tages.

Auch in die Schlucht hinunter senkte sich das wachsende Licht – und da lag das Dschapei auf der Seite, regungslos, gestreckten Halses und starrte mit weit offenen Augen über das Geröll hinweg.

Horch! Was war das? Ja – das war Nannei’s Stimme!

„Dschapei! Dschapei!“

So klang es in nicht allzuweiter Ferne von den Felsen – eine Weile herrschte Stille, dann erschallte wieder, jetzt näher schon, der langgezogene Ruf des Mädchens: „Dscha…a…a…apei!“

Das Thier vernahm seinen Namen und erkannte die Stimme der Rufenden. Es wollte den Kopf erheben; doch gelang es ihm nicht; nur den einen Ohrlappen konnte es rühren und zucken, während es mit mattem Schlage den dickwolligen Schweif gegen die Steine klopfte.

„Dscha…a…a…apei!“ klang Nannei’s Stimme jetzt in nächster Nähe.

Droben am Steige hallte nun ein Schritt – das konnte Nannei nicht sein – das war ein fester, kräftiger Männerschritt. Jetzt aber kamen auch Tritte von der anderen Seite her, leichte, flüchtige Tritte.

(Fortsetzung folgt.)

Heinrich Heine’s Memoiren über seine Jugendzeit.

Herausgegeben von Eduard Engel.
Nachdruck dieser Einleitung mit Quellenangabe ausnahmsweise gestattet.

Einleitung.

„Herr Julia läßt für kurze Zeit um Entschuldigung bitten, er kommt bald nach Hause,“ sagte die alte Dienerin, und ich trat meine Wartezeit an.

Es war im Salon des Zwischengeschosses des Hauses Nr. 50 der Rue de Passy, der letzten Wohnung der Wittwe Heinrich Heine’s, in welcher jetzt Herr Julia, der Erbe oder jedenfalls der Besitzer der „Memoiren Heine’s“, wohnt. Die Möbel, die Bilder an den Wänden, die Bibliothek im Nebenzimmer – alles hatte einst Mathilde Heine, vieles davon Heinrich Heine angehört. Ueber dem niedrigen Kaminspiegel hing das Bronze-Original der bekannten, sehr ähnlichen Reliefbüste Heine’s von dem französischen Bildhauer David d’Angers; zu beiden Seiten des Spiegels Stiche Heine’scher Portraits, männlich, schablonenhaft, übrigens längst bekannt. Ein Bild Salomon Heine’s, des launenhaft großmüthigen Onkels, hing unweit, mit der eigenhändigen Widmung an den Neffen in Paris. Mehr als diese Bilder fesselte mich ein lebensgroßes Brustbild Mathilde Heine’s, ein sehr schöner Frauenkopf, die Haare nach der Tracht des Endes der dreißiger Jahre schlicht auf den Wangen anliegend, ein heiteres, durchaus nicht geistloses Lächeln um den etwas sinnlichen Mund, glückliche Augen ohne große Tiefe – ein Antlitz ganz entsprechend den bekannten Versen Heine’s:

„Es kommt mein Weib schön wie der Morgen
und lächelt fort die deutschen Sorgen.“

Auf dem Salontisch lag ein altes Eremplar des „Buches der Lieder“ und ein „Deutscher Musenalmanach“ aus dem Jahre 1837 – kein französisches Buch außerdem. Ich freute mich dieser Pietät, um so mehr als man in Deutschland gewöhnt ist, von Mathilde Heine als von einem herzlosen Geschöpf zu sprechen, das bei Lebzeiten Heine’s nicht gewußt, neben wem es lebte, und nach seinem Tode sein Andenken vernachlässigt. Und dann griff ich nach einem unscheinbaren Buch im richtigen deutschen Stammbuchformat mit der Aufschrift: Album, schlug das erste Blatt auf und las mit tiefster Bewegung die Widmungsverse Heinrich Heine’s an seine geliebte Mathilde;

„Hier, auf gewalkten Lumpen, soll ich
Mit einer Spule von der Gans
Hinkritzeln ernsthaft halb, halb drollig,
Versificirten Firlefanz –
 
Ich, der gewohnt mich auszusprechen
Auf Deinem schönen Rosenmund,
Mit Küssen, die wie Flammen brechen
Hervor aus tiefstem Herzensgrund!

O Modewuth! Ist man ein Dichter,
Quält uns die eigne Frau zuletzt
Bis man, wie andre Sangeslichter,
Ihr einen Reim in’s Album setzt.“

Während ich weiter blätterte, bekannten Namen wie denen Alfred Meißner’s und Ferdinand Hiller˚s begegnend, trat Herr Julia in’s Zimmer, und meine Aufgabe begann, die einfach darin bestand: der „Gartenlaube“ es zu ermöglichen, der deutschen Nation endlich das nachgerade zu einem fabelhaften Schatz gewordene Memoirenwerk Heine’s zugänglich zu machen. Wie die „Gartenlaube“ oft genug die Rolle eines Bevollmächtigten der deutschen Nation in geistigen Fragen mit Erfolg gespielt, so wollte sie in diesem die deutsche Leserwelt seit nunmehr bald dreißig Jahren fast leidenschaftlich bewegenden Streitfall allem Hader dadurch ein Ende setzen, daß sie zunächst das Streitobject selbst dem hellen Sonnenlicht der Oeffenlichkeit preisgab. In diesem Sinne hat die „Gartenlaube“ Heinrich Heine’s Memoiren durch mich erwerben lassen; in diesem Sinne wird in den folgenden Nummern die Veröffentlichung der kostbaren, lange verlorenen Handschrift vor sich gehen, um nachher von Heine’s Verleger Hoffmann und Campe in Hamburg in Buchform ihren Abschluß zu finden.

*  *  *

Heinrich Heine’s Memoiren! – Echte Memoiren? wird vielleicht mancher Leser fragen, der sich erinnert, daß vor mehr als 20 Jahren eine schamlose Ausbeutung des Interesses für Heine[1] durch seinen ehemaligen Freund Friedrich Steinmann versucht wurde, der einen von Anfang bis zu Ende gefälschten Band „Nachträge zu Heinrich Heine’s Werken“, enthaltend Gedichte und Briefe, veröffentlichte. Damals wurde durch Alfred Meißner und Adolf Strodtmann noch rechtzeitig die plumpe Betrügerei nachgewiesen.

Durch solche Vorgänge zur Vorsicht gemahnt, ging ich an die Prüfung der Echtheit des Heine’schen Memoiren-Manuscriptes. Heine’s Handschrift war mir längst aus unzweifelhaft echten Briefen von seiner eigenen Hand bekannt. Im Besitze des Herrn Henri Julia befanden sich außer den Memoiren auch zahlreiche andere Manuscripte, davon schwerlich etwas noch nicht gedruckt, und namentlich eine Menge von Briefbrouillons (längst gedruckte Briefe) in Heine’s wohlbekannter, schöner, leicht lesbarer Handschrift. Sämmtliche Manuscripte stimmten nicht nur auf den ersten Blick, sondern auch nach einer peinlich genauen Vergleichung des Schriftcharakters der einzelnen Buchstaben so vollständig mit der Handschrift des Memoiren-Manuscriptes überein, daß ich, mit Handschriftenkunde nicht ganz unvertraut, jede Gewähr dafür übernehme, daß die Echtheit des zu veröffentlichenden Mannscriptes außer allem Zweifel steht. Uebrigens haben vor mir auch Andere das Manuscript geprüft und sind zu demselben Resultat gekommen.

  1. Vergl. hierüber Band 1 S. 16 und ff. der Gesammtausgabe von Heine’s Werken (1876).
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_100.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2024)