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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

des Begriffs Beleidigung aus dem Wege. Sie ist auch sehr schwierig; denn es kommt hier nicht allein der sittllche Werth einer Person, sondern auch ihre sociale Stellung in Frage. So ist die Absprechung der Creditwürdigkeit für einen Kaufmann eine schwere Kränkung, weil der kaufmännische Verkehr auf Personalcredit beruht. Schimpfreden sind immer beleidigend, sobald sich nicht ihre blos scherzhafte Auffassung ergiebt. Auch die Vertraulichkeit der Aeußerung schließt den beleidigenden Charakter nicht aus, sobald nur der Beleidigte davon Kenntniß erhielt. Es ist deshalb nöthig, sich immer der Discretion dessen, dem gegenüber man eine derartige Aeußerung thut, vorher zu versichern. Aber auch Derjenige, der eine beleidigende Mittheilung eines Andern weiter erzählt, macht sich selbst der Beleidigung schuldig, sofern nicht besondere Umstände die beleidigende Absicht ausschließen.

Eine an sich unverfängliche Aeußerung oder Handlung kann durch die Umstände, unter denen sie geschieht, einen beleidigenden Anstrich erhalten, zum Beispiel die Mahnung eines Schuldners, wenn sie brutal auftritt. Straflos sind nach § 193 des Strafgesetzbuchs unter Anderem die Behauptung einer erweislich wahren Thatsache, ebenso tadelnde Urtheile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, sowie Aeußerungen, welche zur Ausführung oder Vertheidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sofern nicht das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Aeußerung oder den Umständen, unter denen sie geschah, hervorgeht. Nur wenn Jemand bewußter Weise die Grenzen der Wahrnehmung berechtigter Interessen überschreitet, fällt er der Strafe der Beleidigung anheim.

Guter Einkauf.
Nach dem Oelgemälde von K. Weigand.

Namentlich ist unsere Tagespresse vielfach in der Lage, sich auf die Wohlthat dieser Bestimmung zu berufen. Gegenüber einem in die Zeitung aufgenommenen Inserate oder Referate erscheint der Redacteur, falls nicht Umstände für ihn die beleidigende Absicht ausschließen, als Mitthäter. Steht aber dem Verfasser der Vortheil des Paragraphen 193 zur Seite, so kommt er auch dem Redacteur zu Gute. Nur darf der Artikel nicht in der Form schon beleidigen.

Verpfändete Gegenstände oder solche, welche amtlich in Beschlag genommen worden sind, dürfen selbst von dem, welchem ein Eigenthumsrecht daran zusteht, nicht der Verstrickung entzogen werden, sondern das Eigenthum muß gerichtlich angemeldet und geltend gemacht werden. Auch die rechtswidrige Wegnahme der eigenen Sache aus dem Gewahrsam dessen, dem ein Nutzungs-, Gebrauchs-, Pfand- oder Zurückhaltungsrecht daran zusteht, ist strafbar, so wenn die Frau ihre Sachen, an denen dem Ehemanne gesetzlich ein Nießbrauchsrecht zusteht, diesem wegnimmt.

Strafbar ist ferner, um das noch kurz zu berühren, die vorsätzliche und rechtswidrige Beschädigung einer fremden Sache, die wenn auch nur ganz passive Theilnahme an der Zusammenrottung einer Menschenmenge, welche darauf ausgeht, gegen Personen oder Sachen Gewalt auszuüben, das unbefugte Ausüben eines öffentlichen Amts, das unerlaubte Oeffnen eines Briefes, die Zulegung von falschen Titeln, Würden und Namen, die unterlassene Anzeige eines Verbrechens, der beschimpfende Unfug an Hoheits- oder andern Zeichen öffentlicher Autorität, die Theilnahme an einer Verbindung, deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheim gehalten wird, etc. – Aus dieser nur fragmentarisch gehaltenen Skizze erhellt, wie mannigfach das Gitterwerk des Rechtsbodens ist, auf dem wir uns täglich mit unserem Thun und Lassen bewegen, und daß es schließlich doch nicht so ganz leicht ist, ohne allen Makel und ohne alle strafrechtliche oder polizeiliche Anfechtung rechtschaffen durch die Welt zu kommen. Man muß, um dies zu können, wie ein Jurist einmal scherzhaft-ernsthaft sich äußerte, nicht blos Gott im Herzen, sondern auch noch das Strafgesetzbuch in der Tasche tragen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_097.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)