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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Stein gehoben. Diesmal war es aber nicht beim einfachen Herzklopfen geblieben, vielmehr bemerkte der Bedauernswerthe, nachdem er sich aus der gebückten Stellung, die er dabei eingenommen, erhoben hatte, daß er – auf einem Auge nichts mehr, „aber auch gar nichts mehr“ sah! Er meinte, er habe plötzlich den „schwarzen Maar auf das Auge“ bekommen, da man ja an dem Auge äußerlich gar nichts wahrnehmen könne. – Den „schwarzen Staar“ im alten Sinne hatte er nun freilich nicht, aber eine mächtige Blutung in der Gegend des sogenannten gelben Fleckes, an der Stelle des genauen Sehens innerhalb des Auges, die zwar als solche im Laufe der Zeit wieder aufgesaugt ward, aber dennoch eine unheilbare Zertrümmerung der Netzhaut an dieser wichtigsten Stelle bewirkt hatte! Also auch Blutungen in’s Innere des Auges können zu dem Krankheitsbilde des schwarzen Staars führen! –

Hoffentlich hat der Leser aus der vorausgegangenen kurzen Darstellung die Ueberzeugung gewonnen, daß alle Staarformen (unter gewissen Voraussetzungen und Einschränkungen manchmal selbst der gefürchtetste, der schwarze) einer wirksamen Behandlung oder (noch besser) einer Vorbeugung zugänglich sind!

Ist dies der Fall, so glauben wir diese Zeilen nicht umsonst geschrieben zu haben – zum Troste, nicht zum Schrecken vieler Augenkranken!


Der Schutz vor der Unkenntniß der Gesetze.

Eine strafrechtliche Studie von Fr. Helbig.
(Schluß.)
Betrug. – Meineid. – Fahrlässigkeit. – Beleidigung. – Pfändung etc. – Das Strafgesetzbuch in der Tasche.

Ein Vergehen, bei welchem die Grenzen des Erlaubten und Unerlaubten oft hart an einander stoßen und das gerade in unserem reich entwickelten Verkehrsleben volle Nahrung findet, ist der Betrug. In der volksthümlichen Bezeichnung als Schwindel umfaßt der Begriff weit mehr; denn nicht Alles, was dem allgemeinen Rechtsgefühl als schwindelhaft erscheint, ist darum ein strafbarer Betrug. Gerade hier zeigt sich am meisten die Ohnmacht der wissenschaftlichen Theorie gegenüber der Combination der Thatsachen. Nicht jeder Triumph der berechnenden Schlauheit über die Dummheit oder lässige Vertrauensseligkeit nimmt ohne weiteres die Physiognomie eines bestimmten Verbrechens an, und die Sitte und Gewohnheit des Verkehrs stempeln oft eine moralisch an sich verwerfliche Handlung zu einer solchen, bei welcher die strafende Gerechtigkeit sich schweigend verhält.

Hierher gehören die übertriebenen Anpreisungen von Waaren und die mannigfachen Formen der Reclame. Hier wird der Wahrheit oft auf’s Schmählichste in’s Gesicht geschlagen, ein allgemeines Recht, stets nur die Wahrheit gesagt zu erhalten, besteht aber nur im Codex der Moral, nicht in dem der Jurisprudenz. Nur wenn bestimmte bindende Zusagen hinzutreten, wenn ein Vertrag von bestimmten Eigenschaften des Objects ausdrücklich abhängig gemacht ist, wenn durch die Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Thatsachen ein Irrthum erregt oder unterhalten wird, greift die Handlung auf das strafrechtliche Gebiet über. So liegt in dem bloßen Verschweigen bestimmter Fehler, z. B. eines Pferdes, auch wenn dieselben dem Verkäufer bekannt waren, an sich noch keine beabsichtigte Täuschung. Anders, wenn der Verkäufer dem Käufer auf dessen Frage ausdrücklich versicherte, daß das Pferd den Fehler nicht habe, oder in anderen Fällen mir statt etwas Echten etwas Unechtes, z. B. statt des verlangten echten Bairisch oder Pilsener Bieres nachgemachtes oder anderes geliefert wird.

Eine häufig vorkommende und dabei meist überschätzte Species von Betrug ist der sogenannte Creditbetrug, der auf die Erlangung kaufmännischen Credits abzielt, dieser wesentlichen Voraussetzung aller geschäftlichen Beziehungen. Ein Kaufmann fordert einen andern auf, ihm unter Einräumung des geschäftsüblichen Credits Waaren zu senden. Später stellt sich heraus, daß der Besteller keine Zahlungsmittel hatte, daß er insolvent war. Hier ruft der um sein Geld gekommene Lieferant gewöhnlich nach der Hülfe des Staatsanwalts. Sie wird ihm versagt bleiben; denn, sagt eine reichsgerichtliche Entscheidung, der auf Credit bestellende Kaufmann hat an sich nicht die rechtliche Verpflichtung, unaufgefordert die Mittheilung über seine wahre Vermögenslage zu machen. In der Bestellung selbst liegt noch nicht die Behauptung, daß man zahlungsfähig sei. Es müssen hier immer noch specielle, unwahre, von vornherein nicht ernstlich gemeinte Zusagen vorliegen. Hierher gehört auch der sogenannte Gründerlohn. Ein zum Abschlusse eines Kaufes Bevollmächtigter, der mit dem Verkäufer einen höhern als den an diesen zu zahlenden Kaufpreis vereinbart und sich den von dem Auftraggeber gezahlten Ueberschuß aneignet, schädigt das Vermögen seines Auftraggebers in widerrechtlicher Weise und wird durch das Unterdrücken jener Thatsache zum Betrüger.

Ein Verbrechen, das sich in neuerer Zeit leider außerordentlich häufte, ist der Meineid. Mag derselbe in erster Reihe der Frivolität der Gesinnung, dem Mangel an Religiosität, sowie dem Egoismus und der Gewinnsucht entstammen, so ist derselbe doch auch vielfach auf die Unterschätzung des Ernstes und der Bedeutung einer Eideshandlung zurückzuführen. Andererseits wirkt auch der Umstand dazu, daß die Zeugeneide gleich vor oder nach der Einzel-Vernehmung abzunehmen sind, während die Vereidungen früher an den Schluß der ganzen Verhandlung verlegt zu werden pflegten, sodaß Widersprüche erst ausgeglichen werden konnten. Die Correctur, der spätere Widerruf hebt aber die Strafbarkeit der Handlung nicht auf. Sie verringert dieselbe nur, sofern sie vor Erstattung einer Anzeige oder Eintritt eines Rechtsnachtheils erfolgt. Frühere Strafgesetze gewährten noch eine Frist zur freiwilligen Abänderung der Aussage. Dabei ist ferner zu gedenken, daß der Schwur sich nicht blos auf die Hauptfrage, sondern auch auf alle Nebenfragen, z. B. auch auf die Personalien (Alter, Beschäftigung u. dergl.) bezieht. Besondere Vorsicht verlangt die eidliche Bestärkung der Vollständigkeit aufgestellter Vermögensverzeichnisse. Hier führt der irrige Glaube in Betreff der Nothwendigkeit der Aufnahme einzelner Posten, z. B. werthloser Forderungen, oft zu einem wenigstens fahrlässigen Falscheide. Ein eigenthümlicher Conflict entsteht, wenn ein Zeuge weiß, daß die Angabe der Wahrheit ihn oder seine Angehörigen in die Gefahr bringt, strafrechtlich verfolgt zu werden, und hier erlaubt das Gesetz dem Zeugen seine Aussage zu verweigern. Macht er von dieser Erlaubniß keinen Gebrauch, dann muß er die Wahrheit rückhaltlos sagen.

Bei einigen Vergehen begründet schon die Fahrlässigkeit in der Herbeiführung des Erfolges eine wenn auch geminderte Straffälligkeit. Es sind dies besonders die Vergehen der Tödtung, des Meineids, der Brandstiftung, Körperverletzung und verschiedene gemeingefährliche Handlungen. Nach einer oberstrichterlichen Feststellung gehört dazu, daß ich die gewöhnliche Sorgfalt außer Acht gelassen und der Erfolg durch Anwendung dieser Sorgfalt voraussichtlich abgewendet worden wäre. Es genügt hier zur Bestrafung – und das sind gerade die häufigsten Fälle – auch schon ein Unterlassen. So hatte eine Frau eine mit Arsenik gefüllte Rumflasche offen auf das Fensterbrett hingestellt. Sie geht davon, und inzwischen kommt ihr Mann nach Hause. Ein Liebhaber von Spirituosen, glaubt er, die an dem gewohnten Platze stehende Flasche enthalte wie sonst ein geistiges Getränk, trinkt daraus und stirbt. Die Frau wurde wegen fahrlässiger Tödtung verurtheilt.

Eine mir zugefügte leichte Körperverletzung darf ich auf der Stelle mit einer solchen gleichartigen erwidern. Hat eine größere Schlägerei einen gefährlichen Ausgang für einen der Theilnehmer erzeugt, so wird jeder Theilnehmer an derselben bestraft, auch wenn er an dem üblen Ausgange selbst nicht mit schuld war, es sei denn, daß er schuldlos mit hinein gezogen wurde.

Das unstreitig am häufigsten begangene Vergehen ist das der Beleidigung. Würde jede beleidigende Aeußerung, die offen oder unter vier Augen in der weiten Welt vorfällt, vor das Forum des Strafrichters gezerrt, so müßten wir unser Richterpersonal verzehnfachen. Das Strafgesetzbuch geht einer Definition

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_096.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2024)