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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

ihre Zahl erheblich abgemindert und das Recht der Rücknahme des Strafantrags in dem angegebenen Maße eingeschränkt worden. Zu ihnen zählen unter Anderem noch der einfache (ohne Waffen oder in Gemeinschaft begangene) Hausfriedensbruch, die einfache leichte Körperverletzung, der von unseren Angehörigen, Lehrlingen und Dienstboten uns zugefügte Diebstahl, in den beiden letzten Fällen aber nur bei unbedeutendem Werthe des Gestohlenen, die Verletzung des Briefgeheimnisses und die private Sachbeschädigung.

Berühren wir nun einige specielle Vergehen, zu welchen der Laie sich nach den Erfahrungen der Praxis aus den bereits oben angedeuteten Gründen leicht verführen läßt! Natürlich kann dies nur kurz und flüchtig geschehen.

Persönliches Freiheits- und falsches Rechtsgefühl haben schon Manchen verleitet, einen in der Ausübung seines Amts befindlichen Beamten, sobald derselbe namentlich Gewalt gegen Personen oder Sachen dabei ausübte, durch Widerstand strafbar zu hindern. Die Strafbarkeit des Widerstandes setzt nun zwar voraus, daß der Beamte in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes sich befindet, und ich brauche seiner Arretur nicht zu folgen, wenn er kein Recht hat mich zu arretiren. Allein die Beurtheilung dieser Dinge bleibt für den Laien immerhin eine schwierige, und namentlich steht in dieser Beziehung unseren Polizei-Organen eine ziemlich weitgehende Befugniß zur Seite.

„Gensd’armen und Polizeibeamte,“ sagt deshalb ein berühmter Commentator unseres Reichsstrafgesetzbuches, „befinden sich stets in der Ausübung ihrer Functionen.“ Selbst ein Uebergriff macht ihr sonstiges rechtmäßiges Handeln nicht zu einem unrechtmäßigen.

Ein Vergehen sehr sensibler Natur ist ferner der Hausfriedensbruch. Unter den germanischen Völkern hat das umfriedete Besitzthum immer einen besonderen Schutz genossen. Haus und Burg hatten ihren besonderen „Frieden“, und eine Brechung dieses Friedens war eine schwere Kränkung. Das Recht ist geblieben, obwohl der Besitz einer Familie mit dem eines Hauses schon längst nicht mehr zusammenfällt. Auch der Miether ist zum Hausherrn geworden, dem gegenüber sogar der eigentliche Herr des Hauses während der Dauer der Miethe das Recht verloren hat, den vermietheten Theil des Hauses gegen den Willen des Miethers zu betreten. Nun ist zwar das einfache Betreten der Wohnung noch nicht strafbar, es muß vielmehr ein widerrechtliches Eindringen damit verbunden sein, dasselbe ist aber schon dann vorhanden, wenn der Eintritt gegen den Willen und Widerspruch des Inhabers der Wohn- oder der Geschäftsräume oder des sonstigen befriedigten Besitzthums erfolgte. Dieser Widerspruch braucht kein ausdrücklich erklärter zu sein; er kann sich auch in Handlungen äußern, wie das Abschließen der Räume (das Umdrehen des Schlüssels), durch die Bekanntgabe der Nothwendigkeit einer vorherigen Anmeldung und Aehnliches. Nur muß dieser Wille für den Eintretenden erkennbar sein. Bin ich dann mit dem Willen des Wohnungsinhabers eingetreten, so kann der letztere mich doch in jedem Augenblicke auffordern, seine Wohnung zu verlassen, und dieser Aufforderung darf ich keinen Widerspruch entgegensetzen, sofern ich nicht eine besondere Befugniß habe, länger zu verweilen. Eine solche Aufforderung liegt z. B. in der Erklärung des Wirthes an seine Gäste, es sei Feierabend. Ueberhaupt erwirkt der, welcher als Gast ein öffentliches Wirthslocal betritt, damit noch keineswegs das Recht, nach eigner Willkür dort zu verweilen. Der Wirth kann die Aufnahme verweigern oder beschränken, soweit er sich nicht durch übernommene Beköstigung oder sonst gebunden hat. Der Vermiether hat nicht das Recht, nach Kündigung der Miethe das Miethlogis zum Zwecke der Wiedervermiethung zu betreten. Ebenso wenig darf der Gläubiger zum Zwecke der Mahnung in die Wohnung des Schuldners gegen dessen Willen eindringen oder dort verweilen.

Ein im Zustande der Erregung besonders unter Leuten von geringerer Bildung oft begangenes Vergehen ist das der Bedrohnung mit einem Verbrechen. Wie oft hört man in jenen Kreisen die Aeußerung des Einen zum Andern: „Ich schlage dich todt“ u. dergl. Der Ausdruck ist vielfach nur eine Uebertreibung; er ist oft gar nicht so ernst gemeint, aber er ist doch an sich geeignet, den Rechtsfrieden dessen, gegen den er sich richtet, zu stören. Das allein genügt, die Drohung strafbar zu machen.

Ein verwandtes Vergehen ist ferner die Nöthigung, welche darin besteht, daß Jemand widerrechtlich einen Andern durch Gewalt oder durch Bedrohung dazu zwingt, etwas zu thun, zu dulden oder zu unterlassen. Daß ich vielleicht ein Recht auf die Handlung selbst habe, giebt mir noch nicht das Recht, diese auf die gedachte Weise zu erzwingen. In einer der neueren reichsgerichtlichen Entscheidungen wird der Fall behandelt, daß ein Waldbesitzer den bei einer forstwidrigen Handlung ertappten Personen zuruft: „Steht, oder ich gebe Feuer!“ und sie dazu veranlaßt, stehen zu bleiben und ihr Fuhrwerk anzuhalten. Das ist eine strafbare Nöthigung; denn wenn der Waldeigner auch das Pfändungsrecht oder das Recht, der vorläufigen Festnahme hat, so hat er doch nicht das Recht, dabei eine Waffe zu gebrauchen. Sein Zwang war daher ein rechtswidriger. Ebenso strafbar macht sich der Vermiether, der nach Ablauf der Miethe den Miether und dessen Sachen gewaltsam, z. B. durch Herausnahme der Thüren und Fenster entfernt. Wird mit dem Zwang ein widerrechtlicher Vermögensvortheil bezweckt, so geht dies über in die härter bestrafte Erpressung. So ist die Drohung mit Anzeige wegen eines von Jemand begangenen Verbrechens, um dadurch einen Gewinn zu erzielen, strafbar, auch wenn der Andere das Verbrechen wirklich beging; denn der dadurch erlangte Vortheil ist ein widerrechtlicher. Drohe ich meinem Schuldner mit Erhebung einer Klage, um ihn dadurch zur Zahlung zu nöthigen, so ist das natürlich nicht strafbar; suche ich aber durch die Drohung mir weitere Vortheile, als wozu ich berechtigt bin, zu verschaffen, so ist das Darüberhinaus erpreßt. Sucht Jemand die Zahlung einer Schuld. von einem Dritten, z. B. vom Vater des Schuldners, durch Drohung zu erlangen, so ist dies nach einer reichsgerichtlichen Entscheidung wenigstens dann eine Erpressung, wenn der Gläubiger damit besondere Vermögensvortheile erlangt, z. B. bei der Insolvenz des Schuldners.

Vielfach gefehlt wird im Publicum in der Behandlung gefundener Sachen. Der Funddiebstahl bildet jetzt kein besonderes Vergehen mehr, aber gleichwohl ist es dem Finder nicht gestattet, über eine gefundene Sache zu verfügen, sie sich zuzueignen. Das wäre Unterschlagung, und zwar auch dann noch, wenn der Finder den Fund veröffentlichte.

Was die Unterschlagung selbst anlangt, so ist zu bemerken, daß der nachträgliche Ersatz der unterschlagenen Sache die Strafbarkeit nicht aufhebt, sondern nur mindern kann. Auch eine Gegenforderung an den Empfänger erlaubt die Zueignung empfangener Gelder nur dann, wenn die Forderung aus dem Geschäft, vermöge dessen jener die Gelder empfing, herstammt. Bei Geldern, die jemand in amtlicher Eigenschaft empfing, wird, nach einem Urtheile des Reichsgerichts, die Unterschlagung auch dann begangen, wenn er die zu seinem Nutzen verwandten Gelder im Stande war, augenblicklich zu ersetzen. Er darf darüber nur zum Zwecke der Umwechselung in gleichartige Münzsorten verfügen.

In Betreff des Diebstahls besteht häufig die falsche Annahme, daß eine Forderung berechtige, zu deren Befriedigung eine Sache aus dem Besitze des Schuldners heimlich wegzunehmen. In einem Falle der reichsgerichtlichen Rechtsprechung hatte ein Gläubiger der D.’schen Concursmasse einen zu dieser gehörigen Wagen in der Nacht aus dem Hause des D. heimlich weggenommen, um sich für seine Forderung an den Gantschuldner, mit welcher er im Concurse nicht zur Befriedigung zu kommen fürchtete, zu decken. Dies erinnert uns an den Fall, welchen der selige Mittermeier in jedem Sommersemester seinen Zuhörern zur Beurtheilung vorlegte. Danach hatte ein Engländer, der vergeblich um ein in der Gemäldegallerie zu L. befindliches Bild gefeilscht hatte, zuletzt dasselbe heimlich in der Nacht wegnehmen lassen, aber eine den Werth des Bildes weit übersteigende Geldsumme an der Stelle, wo es hing, deponirt. Die Aneignung war in beiden Fällen eine widerrechtliche. Alle Merkmale des Diebstahls sind hier vorhanden.

Hieran schließen wir die Mahnung zur Vorsicht, welche der Ankauf von Sachen, welche uns fremde Personen anbieten, erheischt. Stellt sich später heraus, daß diese Sachen durch irgend eine verbrecherische Handlung erworben sind, so kann der Ankäufer leicht in den Verdacht der Hehlerei kommen; denn eine solche wird nicht blos dadurch begründet, daß man wirklich weiß, daß die Sachen unredlich erworben wurden, sondern auch schon dadurch, daß man dies den Umständen nach hätte annehmen müssen. Allerdings muß man dabei einen Vortheil im Auge haben, aber es ist nicht nöthig, daß derselbe blos darin besteht, daß man billiger kauft, obwohl dies gerade ein besonderes Verdachtsmoment bildet.

(Schluß folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_078.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2024)