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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Nannei! Bist auch beim Zeug?‘ ‚Ja,‘ sag’ ich, ‚wär’ net aus, wann ich heut’ daheim bleibet.‘ ‚No,‘ sagt’r, ‚wie geht’s denn Deim Mutterl?‘ ‚Ich dank’ schön,‘ sag’ ich, ‚in die Füß’ hat sie’s halt a bißl. Ja, es is ihr recht arg, daß sie ’s Haus hüten muß – g’rad am heutigen Tag.‘“

„Is schon wahr auch,“ seufzte die alte Baslerin, „der erste Ostersonntag, an dem ich zur Kirchenzeit in der Stuben sitz’! Unser Herrgott verzeih’ mir’s, aber ich kann nix dafür. O – die Füß’, die Füß’!“

„No also,“ plauderte das Mädchen weiter, ab und zu das Gesicht an den Kopf des Lammes drückend, „so haben wir halt noch a Weil’ so fort g’redt, wegen Deiner und von wegen die Küh’ und die Schaf’, bis er auf amal sagt: ‚So, Deandl, und jetzt gehst mit mir, mein Weib hat Dir an Ostersegen herg’richt’, und den tragst Dir nachher schön stad heim.‘ ‚Jesses na,‘ sag’ ich ganz derschrocken und verlegen, ‚Bauer, das hätt’s ja doch gar net ’braucht!‘ ‚No, no,‘ sagt’r, ‚’s is net so g’fährlich.‘ Ja – nachher is er vor mir her’gangen – und ich bin hinterdrein – ’nunter in sein’ Hof. Und wie ich ’nein komm’ in d’Stuben, da – g’wiß wahr, Mutterle, ich hab’ gar nimmer g’wußt, was ich sagen und wo ich hinschauen soll, so g’schamig [1] hat mich die G’schicht’ g’macht – da tragt mir die Bäuerin am Tisch her an Kretzen,[2] bis oben voll mit Aepfel und Nuß’ und Eier und weiße Wecken – ja – und in der Mitt’ drin is Dir an Ends-Trumm Schunken [3] g’legen – schad’ daß ich ihn net vor der Kirchen kriegt hab’, hätt’ ihn nachher noch können weihen lassen! Ja – und wie ich noch allweil so steh’ und schau’, da legt mir der Bauer neben den Kretzen hin a Fünfmarkstückl – sixt es, da hab’ ich’s.“ Nannei zog aus ihrem Rocke ein weißes Taschentuch hervor, löste mit vor Eile zitternden Fingern den dicken Knoten, der darein geschlungen war, und drückte die große Silbermünze, die nun zum Vorschein kam, ihrer Mutter in die hagere, faltige Hand. „So, Mutterle, das gehört Dein – da mußt Du ganz allein für Dich ’was d’rum anschaffen!“

„Jawohl – sonst nix! Was will denn ich ält’s Leut mir noch anschaffen! Das wird g’spart, Nannei – für Dich – zum andern – weißt, Du kannst es amal ganz gut brauchen, wenn –“

„Mutterle! Mutterle! Heut’ därfst mich aber schon g’wiß net verzürnen! Ich hab’s amal g’sagt – und da drum mußt Du Dir an neuen Sommerjanker[4] anschaffen – weißt, der alte schaut schon recht schiech her in der Farb’.“

„Was! Der is ja noch wie neu! Ich hab’ ihn ja noch gar net amal lang – höchstens a zwei-, a dreiundzwanzig Jahrln!“

„Jesses na! Der is ja nachher älter wie ich – und schau’ ich schon nimmer ganz schön her!“ scherzte Nannei und drückte ihrer Mutter an jener Hand, welche das Geldstück hielt, immer wieder die Finger zu. „Du kaufst Dir den Janker – oder ich bring’ Dir selber amal ein’ über Nacht in’s Haus – und der muß nachher noch mehrer kosten. Ich will auch wieder amal Staat machen mit mei’m Mutterle – ja…a…a!“

„O Du Kindsköpferl Du, Du narrisch’!“ schmollte die Alte, während sie mit glückselig lächelnden Augen auf das Gesicht der Tochter niederblickte. „Aber mach’ doch, daß Du wieder amal weiterredst! Bis Du ’was verzählst, derzeit könnt’ dieselbige G’schicht’ schon fünfundvierzigmal passirt sein – is schon wahr auch!“

„A geh! Aber schau – eigentlich is ja gar nimmer viel zum verzählen. Ja weißt – da is halt der Bauer nachher ’naus’gangen aus der Stuben – und wie er wieder ’rein’kommen is, da hat er ’s Lamperl auf die Händ’ ’tragen und hat g’sagt: ‚So, Deandl – weil ich kein zuckerns net hab’, jetzt muß ich Dir dengerst[5] a lebendigs schenken, damits auch an guten Braten habts – Du und Dein’ Mutter – die paar Feiertäg’!‘ Ja, so hat er g’sagt und hat mir’s Lamperl hin g’reicht – aber na – gelt, Mutterle, na – gelt, na – wir essen’s aber net? Wär’ doch g’wiß a Sünd’ und a Schad’ um so a herzliebs Viecherl. Gelt, Mutterle – gelt, wir ziehen’s auf –.“ Und ohne die Zusage ihrer Mutter abzuwarteu, sprang Nannei auf die Füße und eilte zur Stube hinaus mit den Worten: „Wart’ nur – ich will ihm gleich a Liegerstatt richten – hinterm warmen Ofen.“

Bald erschien sie wieder, in den Händen einen großen, an manchen Stellen schon zerrissenen Korb, der bis zur Hälfte mit lockerem Heu gefüllt war. Den stellte sie in der Ofenecke auf die schrundigen, doch blank gescheuerten Dielen und ging dann, das Lamm von ihrer Mutter Schooß zu heben und herbeizutragen.

„Deandl, Deandl,“ mahnte nun die Alte, während sie den grauen Kopf bedenklich zwischen den Schultern wiegte. „Das wird sich hart machen. Weißt es ja; im Haus haben wir nix, kein’ Milli und sonst nix – haben ja selber kaum ’was z’beißen!“

„Ach was!“ lachte Nannei. „Der Almbauer hat mir so viel heut’ g’schenkt, daß ich g’rad ganz keck worden bin. Der muß mir diemal[6] an Krug voll Milli schenken – bei seine zweiunddreißig Küh’ kann er’s leicht machen. Die paar Wochen werden wir’s schon durchbringen – und nachher geht’s ja so wie so mit mir auf d’Alm. Da hat’s g’rad g’nug zum Umeinandergrasen. Ja – und für heut’ – für heut’ weiß ich auch schon an Rath.“

Mit den durch die Schürze vor der Hitze gesicherten Fingern öffnete sie das Bratrohr und entnahm demselben einen dampfenden Hafen.

„Jesses na! Was machst denn?“ kreischte die alte Baslerin, während sie hurtig herbeigehumpelt kam. „Das is ja unser Milli für Mittag – zur Millisuppen!“

„Geh, Mutterle, geh – ich hab’ an einer Wassersuppen auch ’gessen. Und wegen Deiner – ja – da lauf’ ich nachher gleich und hol’ den Kretzen mit mei’m Ostersegen – ja, und da mach’ ich Dir nachher Schunkenknödel – von derer Größ’!“ Und Nannei beschrieb den Umfang eines solchen Riesenknödels „von derer Größ’“ mit beiden Armen in die Luft.

Die Baslerin spitzte unwillkürlich die Lippen. Sie war beruhigt und befriedigt. Solch einem seltenen Genuß zuliebe, wie er ihr nun für heute noch in gewisser Aussicht stand, hätte sie ihre hungrige Seele auch länger denn ein paar kurze Stunden vertröstet.

Nannei war schon ganz vertieft und versunken in die Sorge für ihren Pflegling. Sie kühlte die allzu warme Milch mit frischem Wasser, goß sie in eine große, noch aus Vaters Lebzeiten herstammende Branntweinflasche und verschloß dieselbe in Ermangelung eines Saugschlauches mit einem aufgerollten Leinwandstückchen, sodaß die Milch bei gehobener Flasche in dicken, reichlichen Tropfen aus den Fäden sickerte.

Ihr niedlicher Pflegling, der im Alter wohl kaum die zweite Woche erreicht haben mochte, stellte sich bei den ersten Versuchen solch’ künstlicher Ernährung wohl ein wenig ungeschickt, und ein über das andere Mal rief Nannei in sorgender Ungeduld:

„Du Dschapei – o du Dschapei, du dummes – o du Dschapei du!“

Und dieser Name, mit dem die Leute am Königssee und im Berchtesgadener Lande halb in scheltendem und halb in schmeichelndem Sinne ein sanftes, gutmüthiges, nur etwas ungeschicktes und beschranktes Wesen zu benennen pflegen, wofür die Schwaben das bekannte „Tschapperle“ haben – dieser Name war hier berechtigt, wie nicht leicht ein anderer.

Ja – das war ein richtiges Dschapei! Die Nannei meinte es gewiß so gut mit ihm – doch immer und immer wieder riß dieses kleine Dschapei sein weißes Köpfchen aus dem darum geschlungenen Arme des Mädchens, stieß und strampelte mit den Füßen, wollte aus dem Korbe springen, puffte mit der Schnauze die Milchflasche zur Seite oder ließ, wenn es wirklich einmal die Flasche nahm, die Milch, statt sie zu schlucken, aus den Mundwinkeln niedertriefen auf das Heu.

Und Nannei reichte ihm doch ihr eigenes Mittagsmahl und hungerte ihm zuliebe.

Ob es wohl an seine Mutter dachte, die man am Abend des verwichenen Tages von seiner Seite hinweg aus dem Stalle

geführt hatte? Armes Dschapei – die hing jetzt drunten in Unterstein zur Hälfte in des Almbauern Keller an einem blutigen Eisenhaken, zur anderen Hälfte dampfte sie als Ostersonntagsmahl

  1. Verlegen, schüchtern.
  2. Ein aus Weiden geflochtener Korb.
  3. Ein ungeheurer Schinken.
  4. Ein aus schwarzer Wolle gewirktes Wams.
  5. Doch wohl, dennoch, trotzdem.
  6. Manchmal.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_047.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)