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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Satzungen der Gemeinde geächtet wird. In diesem Kampfe unterliegt der Held. Den Hintergrund bildet die Zeit der Demüthigung Preußens durch die Oberherrschaft Frankreichs. Der dramatische Stil dieses Dramas steht nicht auf gleicher Höhe mit seiner künstlerischen Architektonik; ihm fehlt jene hinreißende Leidenschaftlichkeit, die sich in den „Karolingern“ und in „Harold“ findet; der letzte Act des „Mennonit“ ist ganz flache Reliefarbeit.

Der Held der „Karolinger“ ist Bernhard Graf von Barcelona, ein thatkräftiger Mann in einer Zeit des Verfalls und der Zerrüttung, als Ludwig der Fromme, der das Reich zwischen seinen drei Söhne getheilt hatte, die Kaiserkrone trug. Seine zweite Frau, Judith, von der er einen Sohn Karl hat, nimmt für diesen das gleiche Recht, einen Theil des Reiches in Anspruch. Bernhard liebt die Kaiserin; er trachtet nach ihrer Hand und nach der Krone, auf einem kleinen Umwege, indem er vorher Judith’s Sohn zum Kaiser krönt: er vergiftet Ludwig, wird aber von den Söhnen desselben im Kampfe getödtet. Es ist eiserne Kraft in diesem Helden; aber er ist gewissenlos, ganz anders als Shakespeare’s dämonische Charaktere Macbeth und selbst der eingeteufelte Richard III., die von den Qualen des Gewissens zerfleischt werden. Diesen Bernhard stört keine innere Stimme in seinem Vorgehen; er tödtet seine frühere Geliebte ohne inneren Kampf vorher, ohne eine Spur von Reue nachher. Einzelne Scenen des Stückes, wie die Liebesscene mit der Kaiserin, haben einen großen und bedeutsamen Zug.

Der Held des Trauerspiels „Harold“ ist der Sachsenkönig, der auf dem Schlachtfelde von Hastings dem Normannen-Herzog Wilhelm erliegt. Den Angelpunkt der Handlung bildet der Eid, den Harold in der Normandie schwört, die Ansprüche Wilhelm’s auf die englische Krone unterstützen zu wollen: ein Eid, den er bricht, als ihn selbst das englische Volk zum König wählt. In Wildenbruch’s Stück läßt sich Harold überlisten; die geistesbeschränkte Unbedachtsamkeit setzt den Helden in unseren Augen zu sehr herab. Die beiden ersten Acte haben eine dramatisch lebendige Exposition; der letzte klingt poetisch stimmungsvoll aus.

Wildenbruch’s Drama „Väter und Söhne“ zerfällt in zwei Haupttheile, die in der Zeit aus einander liegen; das Stück löst sich überhaupt in eine Reihe Tableaux auf, hat einen sehr matten letzten Act und ist in seiner Ausführung von oft abstoßender Herbheit.

Einige andere Dramatiker, die trotz der Ungunst der Zeiten zum Banner der Melpomene schwören, werden wir in unserem nächsten Artikel näher ins Auge fassen und uns dann den mit günstigerem Fahrwind segelnden Lustspieldichtern zuwenden.




Dschapei.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.

Mutterle! Mutterle! Da schau her! Was der Almbauer mir g’schenkt hat: a Lamperl [1] – so a lieb’s! Schau nur g’rad, Mutterle! Schau, schau!“

So rief mit einer Stimme, aus welcher helle Freude sprach, ein junges Mädchen, während es mit dem Ellbogen die Klinke der Thür niederdrückte und in die kleine, wohldurchwärmte Stube trat.

Die alte Baslerin – ihr Mann selig hatte sich Johann Nepomuk Basler geschrieben – legte das Strickzeug auf ihr offenes Gebetbuch, rückte aus dem Herrgottswinkel hervor gegen die offene Wandbank und wollte sich erheben.

Schon aber stand das Mädchen vor ihr, ließ sich auf beide Kniee nieder, schob mit dem Kinn die aufgeschlagene Schürze von den belasteten Armen und legte in den Schooß der Mutter ein kleines, schneeweißes Lamm, das mit ängstlich scheuen Augen umherblickte in der Stube und empor zu den beiden ihm noch fremden Gesichtern.

„Ja Nannei – Nannei – so sag’ nur g’rad – na [2], so ’was!“ lächelte die Alte mit vergnüglichen Mienen.

„Gelt, Mutterle – so ’was – gelt – so ’was Liebs hast ja noch gar nie net g’sehen!“ jubelte Nannei, während sie mit behutsamen Händen das niedliche Thierchen liebkoste. „Schau nur, die Haar’, die rühren sich an wie lauter seidene Schneckerln [3], und die feinen, dünnen Füßerln, da glaub’ ich schon, daß sie ’s noch net amal recht dertragen wollen – und das Goscherl, g’rad wie a recht a lichts Röserl, g’rad so a Farb’ hat’s und die sanften Aeugerln! Aber geh,“ sprach Nannei nun das Lamm mit schmollenden Worten an, „geh, du Dschapei, du, was schaust denn jetzt gar so fürchtig drein, als ob dich wer beißen wollt’. O, wir thun dir nix – na – gewiß net! Und zittern thust – ja mein – gelt – draußen is halt so gar viel kalt g’wesen, du arms Hascherl[4] du!“ Schmeichelnd drückte Nannei ihr Gesicht an den Hals des Thieres und ließ ihm den warmen Hauch ihres Mundes unter die lockige Wolle strömen.

„Ja, Nannei, schamst Dich denn jetzt net, bist denn ganz übergeschnappt?“ eiferte die alte Baslerin, während sie den Daumennagel in das Ohrläppchen des Mädchens kniff. „Redst ja g’rad daher wie a Deandl von a fünf Jahr’. Geh weiter, sei doch net gar so narrisch!“

„O mein – Mutterle, schau, ich hab’ halt a so a Freud’ – ich kann Dir’s gar net sagen – mit dem Viecherl!“

„Ja, ja, es is schon recht; aber da braucht man doch net gleich so obenaus sein und so ganz verruckt! Könntst mir doch auch amal verzählen, wie’s denn eigentlich zu’gangen is, daß Dein Almbauer heut’ so a Spendirhosen an’zogen hat.“

„Ja mein – und das is ja noch lang net alles! Ich sag’ Dir – was mir der heute alles g’schenkt hat! Gar net derschleppen hätt’ ich’s können auf amal – und weißt, drum hab’ ich halt zuerst mein Lamperl heim’tragen, weil’s mich gar a so g’freut hat! Ja – daß ich’s nur sag’ – weißt – nach der Kirchen – na, Du, Mutterle, der hochwürdige Herr Kapaziner hat Dir heut’ ’predigt – so schön – vom Lamm Gottes und seiner Gutheit – weißt, und drum hat mir auch nachher das Lamperl gar so a b’sonderne Freud’ gemacht – ja, also – nach der Kirchen, wie ich so ’rausgeh’ mit die Andern, da steht mein Almbauer und lacht und nickt mir zu: ‚Grüß’ Dich Gott,

  1. Ein junges Lamm.
  2. Nein. („na“ wird im Dialekte mit dem gleichen Nasenlaute gesprochen, wie die französische Präposition dans.)
  3. Löckchen; auch Schmeichelname im Sinne von: Schätzchen, Herzchen.
  4. Ein kleines, furchtsames, bemitleidenswerthes Wesen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_046.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)