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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Ja, das steht ja auf meinem Schild, und ich schneide auch die Haare Jedem, der ’s verlangt, doch – doch – wollen Sie denn Ihren schönen Zopf verkaufen?“ erkundigte sich Herr Lugeno, und seine guten Augen blickten ganz trübe.

„Nein – ich will ihn nicht verkaufen – ich komme zu Ihnen, Don Ernano, damit Sie meinen Wunsch erfüllen,“ fuhr Ditta gleich fest und bestimmt fort.

„Muß ich denn wirklich, Fräulein?“ sagte darauf Herr Lugeno, etwas kleinmüthig geworden durch den energischen Ton des Mädchens.

Ja – Sie müssen, wenn Sie wollen,“ war Ditta’s seltsame Antwort. Und damit trat sie schnell in den Laden.

„Wenn Sie wüßten, wie leid mir das thut!“ begann Herr Lugeno wieder. „Ist es denn ein Gelübde, Signorina?“ forschte er.

„So was Aehnliches. Für mich mehr,“ klang es zurück.

„Es ist also Ihr fester Wille?“ wagte noch einmal Herr Lugeno zu fragen.

„Wollen Sie oder wollen Sie nicht, Don Ernano?“ frug darauf Ditta, und that, als ob sie schwer gekränkt fortzugehen im Begriffe sei.

„Nun denn, wenn es durchaus sein muß. Dann bitte, setzen Sie sich!“ erwiderte Herr Lugeno und ging zögernd zu seinem Schranke, wo er sein Barbierhandwerkzeug verwahrte.

In diesem Augenblicke traten zwei Bürger in den Laden und nahmen auf Stühlen Platz. „Beschäftigt, Don Ernano?“ frugen sie, schelmische Seitenblicke auf die schöne Kundin werfend.

„Stehe im Augenblicke zu Diensten, meine Herren,“ gab der Blonde zurück. „Doch wohl nur ein Stückchen?“ frug er halblaut, sich zu Ditta niederbeugend und ihren fast armdicken schwarzen Haarzopf in die Hand nehmend.

„Nein, nahe am Kopfe,“ lautete Ditta’s leise geflüsterte Antwort.

Herr Lugeno richtete ihr sanft und zart das Haupt. Sie sah jetzt durch den kleinen Spiegel vor ihr ruhig und fast heiter, wie der große blonde Mann mit ganz finsterem Blicke drückte und schnitt. Das Werk war nicht so ganz leicht, doch nach wenigen Minuten hielt Herr Lugeno mit betrübten Mienen den Zopf in den Händen.

Ditta erhob sich. „Addio, Signori,“ sprach sie, sich gegen die Herren verneigend. „Addio, Don Ernano,“ grüßte sie Herrn Lugeno, und ehe dieser sich noch von seinem Staunen erholt hatte, war Ditta schon draußen, saß auf ihrem Reitthiere, und Herr Lugeno stand da mit nicht sehr klugem Gesichtsausdrucke, den schöngeflochtenen Zopf in den Händen, und schaute ihr, wie sie die Straße zurücktrabte, kopfschüttelnd nach.

„Eine nette Kundin, Signore!“ scherzten die Gäste, welche nicht gehört hatten, was vorangegangen war.

„Ein schönes Mädchen, meine Herren,“ gab Herr Lugeno sehr gedankenvoll zur Antwort, „aber ein sehr seltsames, ein unbegreifliches.“

„Habt Ihr den Zopf gekauft?“ erkundigten sich die Männer.

Der Barbier schüttelte ernst den Kopf.

„Nun, was denn?“ forschten die Kunden neugierig.

„Weiß nicht,“ gab Herr Lugeno ganz gegen seine Art einsilbig zurück, und er machte sich ganz verwirrt daran, die Kunden zu rasiren.

Er war sonst nichts weniger als nervös, aber heute zitterte ihm die Hand bei der gewohnten Arbeit, und er mußte sich zusammen nehmen, daß er die alten Kunden nicht schnitt.

„Wollt Ihr Ditta Ceprano aus Palenella, der Ihr den Zopf abgeschnitten, heirathen oder nicht?“ (S. 30.)

„Was hat das zu bedeuten?“ murmelte er, als er allein war, den Zopf ängstlich betrachtend, „was hat sie damit gewollt? Was soll ich mit dem Haare? Ob es ein Gelübde ist?“ grübelte er weiter; „das Weibervolk hier thut oft sonderbare Gelübde – aber dies Mädchen ist doch so vernünftig, so klug und gar nicht abergläubisch!“ Herr Lugeno sann lange nach; da er jedoch durchaus nicht darüber klar werden konnte, zu welchem Zwecke seine schöne Lieferantin so gehandelt, schloß er den Zopf, der ihm plötzlich wie eine unheimliche Schlange vorkam, in seinen Schrank ein und verbrachte die folgenden Stunden in ziemlich unbehaglicher Stimmung, wie eine unklare Sache, in der man ohne zu wollen mitgewirkt, solche ja leicht hervorzubringen pflegt.

*      *      *

Gegen Mittag kehrte Ditta nach Palenella zurück. Sie ritt in das Dörfchen ein, ihr Kopftuch in der Hand, was nach dem dortigen Gebrauche ganz ungewöhnlich war, und hinten am Kopfe war anstatt des gewaltigen, stets schön geflochtenen Zopfes nur noch ein rauher Stumpf zu sehen. In wenigen Minuten wußte das ganze Dorf: Ditta war der Zopf abgeschnitten worden! Und wenn die Einwohner dies nicht durch das mit Eilfüßen laufende Gerücht so schnell schon erfahrenn hätten, sie würden es jetzt zu Gehör bekommen haben durch das entsetzliche Schreien und Weinen, mit dem Mutter Ceprano ihre so entstellte Tochter begrüßte. Die Alte rang die Hände, raufte sich das Haar, rief alle Heiligen an, verwünschte Alles, was auf Erden und im Himmel war, und heulte und schrie wieder, daß es bis zum entferntesten Hause des Dorfes tönte und eiligst die ganze Nachbarschaft vor dem Hause zusammen lief. Dort saß ruhig Ditta auf dem Maulesel, ließ die Kinder sie verhöhnend und verspottend umtanzen und die Männer und Weiber zischen und staunen.

Das erste Gefühl bei den Dorfbewohnern war, daß man dem stolzen Mädchen diese Schmach, diese Demüthigung von Herzen gönnte. Dann jedoch, als kein Bursche kam, den Zopf triumphirend zu zeigen und seine erzwungenen Rechte geltend zu machen, trat an Stelle der Schadenfreude bei Allen Zorn und Wuth auf den Fremden, der das gethan! Der Gemeindestolz machte sich geltend, wilde Stimmen erhoben sich, die da riefen: „Wer es auch war, er soll es nicht ungestraft gethan haben! Ein Mädchen aus unserer Gemeinde – er hat uns Alle geschändet – das soll er gut machen, oder es kostet ihm sein Leben!“ – Man fuhr mit den Fäusten in die Luft und stieß wilde Drohungen und Verwünschungen aus, man drängte sich um Ditta, die auffallend ruhig auf ihrem Maulthiere saß und mit Spannung der sich immer steigernden Aufregung, dem stets anwachsenden Tumulte zusah. „Wer war es – wer hat’s gethan?“ schrie man Ditta von allen Seiten an, „sag’ es – kennst Du ihn? wer hat Dich und uns Alle so beschimpft, Mädchen? Du mußt es sagen!“ schrieen hundert zornige Männer- und Frauenkehlen in allen Tonarten. „Er muß Dich heirathen! ja, das wollen wir sehen! Er muß, oder er stirbt! Wer war es – wer?“ schrie und tobte Alles durch einander.

„Es ist Einer aus Palene,“ rief Ditta mit ihrer hellen Stimme.

„Aus Palene? Ah, er stirbt, wenn er nicht seine Pflicht thut!“ schrie man darauf. „Wer aus Palene?“

„Der Händler Don Ernano,“ antwortete Ditta.

„Der – der – ein Fremder!“ rief man – „der Blonde – der Jäger!“ schrie der ganze Haufe.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_029.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)