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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

geht – hui! zum Fenster hinaus. Hättest sie nicht hin lassen sollen, Moritz, wenn Du was Gutes an ihr haben wolltest.“

Moritz sah einen Augenblick wirklich betroffen aus. Daß die Mutter die Sache so auffaßte, frappirte und erfreute ihn zu gleicher Zeit. Er ging ein paar Mal durch die Stube, die Hände auf dem Rücken; Frau von Ratenow strickte indessen ruhig weiter an ihrem Strumpf, immer von Zeit zu Zeit den Hof überblickend. Das war so ihre Art des Nachmittags zwischen vier und sechs Uhr, sonst gönnte sie sich wenig Ruhe.

„Hegebach will den Abschied nehmen, Moritz, weißt Du es schon?“ fragte sie nach einer Weile.

„Es ist das Beste, er wird doch nichts weiter,“ erwiderte der Sohn, „er zankt sich mit allen Vorgesetzten.“

„Aber die knappe Pension?“

„Nun, er kann ja wohl davon existiren, Mutter.“

„Er! Er! – Aber das Mädchen?“ klang es ungeduldig.

„Ach, Mutter!“

„Ja, großer Gott, Moritz – Du sprichst vom Heirathen! Wenn Du einmal ein halbes Dutzend Kinder hast, was denkst Du, wo soll ich es hernehmen?“ Sie hatte es scherzhaft gesprochen, und Beide mußten lachen.

„Du liebes Mutterchen,“ rief er, noch immer lachend, und küßte sie auf den Mund.

„Nein, Scherz bei Seite,“ betheuerte sie, sich wehrend; „ich sorge schon für die Else, Du brauchst nicht zu glauben, daß ich die Sache halb thue. Sie muß was Ordentliches lernen; ich denke, sie wird Lehrerin, und ich bringe sie nach D., sobald sie zehn Jahre alt geworden. Das ist das Beste, nicht, Moritz?“

In diesem Moment klinkte leise die Thür auf, und ein Köpfchen lugte in das Zimmer, mit Haaren wie leuchtend Gold; ein Paar große braune Kinderaugen sahen aus rosigem lächelnden Gesicht herüber, und eine süße lerchenhelle Stimme fragte: „Moritz, Moritz, kommst Du mit in den Garten? In der Kastanie sitzt ein Eichhörnchen.“

„Komm her, Else!“ rief der junge Mann, und als die Kleine eilends auf ihn zu sprang, nahm er sie wie eine Puppe in den Arm und trug sie zur Mutter.

„Sieh sie Dir einmal an, Mutter,“ bat er mit seltsam weicher Stimme.

Sie blickte in das reine Kinderantlitz und dann fragend zu ihm empor.

„So, und nun lauf voraus, Else, ich komme nach.“ Und behutsam öffnete der riesenhafte blonde Mann die Thür, um das kleine Geschöpf hinaus zu lassen.

„Nicht wahr,“ sagte er zurückkommend, „wie eine Rosenknospe so frisch, so gesund und so fröhlich? Und das willst Du einsperren in ein finsteres Schulzimmer, weit hinein in die schönste Mädchenzeit, und Alles soll verkümmern bei schwerer geistiger Arbeit? Sieh, Mutter, davor kann ich nun wieder nicht schlafen. Welch eine Welt von Thränen und durchwachten Nächten, von begrabenen Hoffnungen und bitteren Entsagungen schließt das Wort ein: Sie muß Lehrerin werden. Ach, Mutter, laß sie, sperr’ es nicht ein, das arme kleine Gör!“

„Nein, Moritz, wie Du so etwas herbeten kannst – zu glauben ist es nicht,“ erwiderte Frau von Ratenow leicht erblaßt und ungeduldig, „als ob ich im Begriff stände, dem Kinde ein schweres Unrecht zu thun! So gieb ihr doch eine Revenue, wenn Du es kannst. Weißt Du, daß sie nichts besitzt, als die dreihundert Thaler von ihrer Mutter und die paar Sachen? Hegebach hinterläßt höchstens Schulden, wenn er die Augen zuthut, und was dann? – Uebrigens ist es noch nicht so weit, Moritz, und Deine Rosenknospe braucht Dich vorläufig noch nicht zu dauern. Weil Du verliebt bist, mein alter Jung, will ich Dir den Vergleich verzeihen. Was? Sie ist doch sicher auch eine Rosenknospe.“ – Und mit diesen Worten legte sie energisch ihren Strickstrumpf in den Korb und ging aus dem Zimmer, und gleich darauf hörte der Sohn die klangvolle Frauenstimme aus dem Souterrain erschallen: „Ich will Euch gleich beweisen, daß das geht! Man kann Alles, wenn man will!“ –00

Spät am Abend klopfte Moritz von Ratenow an die Thür zum Schlafzimmer seiner Mutter.

„Ich hab’ Dich wohl auf den Hof reiten gehört,“ rief es von drinnen; „komm’ nur herein. Wo bist Du gewesen?“

Er kam über die Schwelle und trat behutsam an das Himmelbett. Der Vollmond warf seinen Schein durch das gewölbte Fenster und zeigte das alte traute Gemach so deutlich. Wie lange war er nicht hier gewesen! Dort hing des Vaters Portrait über der Kommode, und darunter sein Knabenbildniß; hier stand der alte Schrank, in welchem die Mutter all ihre Reliquien aufbewahrte, ihren Brautkranz und sein erstes Mützchen, des Vaters Sporen und Kalpak und den letzten Strauß Feldblumen, den er ihr am Tage vor seinem Tode noch selbst gepflückt. Und da war er wieder, der feine Lavendelduft; es dünkte ihn auf einmal, als sei er noch ein kleiner Knabe und komme zur Mutter, um ihr irgend eine Thorheit zu gestehen.

„Was willst Du, mein Jung’?“ fragte sie weich in ihrem Bremer Dialekt. „Wo warst Du?“

Er saß plötzlich auf dem Bettrande und faßte ihre Hände. „Rath’ einmal,“ sagte er stockend. „Aber nein, Du kannst es nicht rathen – in Teesfelde war ich bei – meinem Schwiegervater.“

„O Du entsetzlicher Mensch!“ rief Frau von Ratenow.

„Es war nur wegen der Pension, Mutter; ich sagte ihm, ich liebe Frieda und sie liebe mich, und wenn Herr von Teesfeld nichts dawider hätte, daß wir uns heirathen, so –“

„Und er hatte nichts dawider? Natürlich!“ forschte sie mit einem unmerklichen Anfluge von Stolz.

„I behüte, Mutter! Na, mit einem Worte, Frieda kommt zurück aus der Pension.“

„Wie alt ist sie denn, Moritz?“

„Sechszehn und ein halbes Jahr –. Frau von Teesfeld meinte, wir müßten noch vier Jahre warten.“

„Sehr vernünftig, Moritz.“

„Bist Du denn zufrieden, Mutter?“ fragte er leise.

„Ei, was hülfe mir denn das Gegentheil? Sie ist guter Leute Kind, Moritz; die Verhältnisse passen, und wenn sie nach ihrem Vater schlägt, wird sie eine brave Frau.“ Sie schwieg, wie nachsinnend. „Ich habe zu wenig Acht gehabt; hätte ich ahnen können, daß das Kücken meine Schwiegertochter werden sollte, so –. Doch, doch,“ fuhr sie fort, „mir ist, als hätte der Vater einmal zu mir gesagt: die Frieda hat genau ein so weterwendisch Köpfchen, wie ihre Mutter. Richtig, ja, ich erinnere mich deutlich. Na, höre mal, wenn’s so ist, halte von vornherein die Zügel stramm, da wirst Du noch viel zu erziehen haben.“

Er lachte. „Sie ist süß, Mama, grad’ weil sie so ein Kobold ist.“

„Da ist nichts zu lachen, Moritz,“ tadelte sie. „Aber nun geh’ schlafen. Ich werde morgen nach Teesfelde fahren; als Deine Mutter muß ich Dir es wohl zu Gefallen thun. Wie?“ Und sie strich liebkosend mit der Hand über sein üppiges Blondhaar. „Geh’ nun schlafen, guck’ nicht mehr in den Mond; hörst Du, Moritz?“

Und als er gegangen, saß sie noch lange im Bette hoch, die Hände gefaltet. „’s ist mir lieb, daß er so resolut ist,“ sagte sie endlich halblaut; „als sein Vater um mich anhielt, da hatte er die ganze Sippe mit mobil gemacht, und alle Spatzen sangen es vom Dache. Der Jung’ weiß, was er will – das hat er von mir!“




Die Thür in dem alten Fachwerkhause, dessen Fenster so langweilig in das ewige Einerlei der engen Straße schauten, wurde leise aufgeklinkt und die zierliche Gestalt eines ungefähr zehn Jahre alten Mädchens huschte hinein. Das Kind trug ein einfaches graues Lüsterkleid, einen braunen Strohhut mit braunem Bande, unter dem zwei schwere aschblonde Zöpfe hervorleuchteten. In der Hand hielt es behutsam einen kleinen Korb mit Birnen und Weintrauben und stieg nun rasch und trotz der festen Lederstiefelchen fast unhörbar die Stufen der schiefen Holztreppe empor und pochte droben an eine Thür.

„Herein!“ rief eine Männerstimme, und im nächsten Augenblicke stand Else von Hegebach in dem mit Tabakswolken angefüllten Zimmer vor ihrem Vater.

Er war sehr alt geworden, der Mann, und er sah so vernachlässigt aus in dem verschossenen Schlafrocke, den er sich angewöhnt hatte seit seiner Pensionirung. Er hatte eine gelbliche Farbe bekommen, und jener verbissene Zug des Gesichtes war der völlig dominirende geworden. Aber das rosige Kinderantlitz schmiegte sich trotzdem süß zutraulich an seine Wange.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_022.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2019)