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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


wenn ich ihn heirathete! Könnten wir aber nicht nach Rom fliehen?“ sann das Mädchen weiter und ließ den Kopf nachdenklich sinken. „Nein, sie würden ihn auch in Rom finden, und eines Tages wäre er todt, und ich hätte ihm den Tod gebracht!“

Der Maulesel, welcher merkte, daß seine Leiterin nicht Acht auf ihn gab, stand still und bog den Kopf herab, um einige Gräser zu rupfen. Das erweckte die Träumerin aus ihren Gedanken, sie ergriff die Zügel, und mit einem lauten „Aia“ setzte sie das Reitthier in schnellere Gangart, sodaß sie nach wenigen Minuten das Ziel ihrer Reise, Palene, vor sich hatte.

Das Oertchen besteht aus drei engen Gassen, einem kleinen Marktplatze, einem wappengeschmückten Municipalgebäude und einer ziemlich großen, hübschen Kirche. Auf dem Marktplatze stehen ein paar bessere Gebäude, rosa und blau angemalt, mit hellgrünen Jalousien, und in einem solchen befindet sich ein Laden, der die werkwürdige Inschrift trägt: „Lugeno, Handel für Alles“ – dann auf Papptafeln sauber aufgemalt: „Barbiere, Café, Taverna“. Vor dem Laden stehen ein Tisch und vier Stühle, außen an dem Eingange Körbe mit Gemüsen und Früchten, und über der Thür ist ein halbes Dutzend Vogelbauer befestigt, in welchen Canarienvögel schmettern.

Der Inhaber dieses Geschäftes, Herr Ernano Lugeno, stand, als Ditta auf ihrem Maulesel angeritten kam, gerade vor der Thür und schaute gemächlich hinaus in das herrliche Frühlingswetter, indem er aus einer großen, kurzen Meerschaumpfeife behaglich schmauchte. War diese Art zu rauchen hier schon etwas Fremdes, so erschien noch fremdartiger an diesem Orte das Aeußere des Mannes, welches als eine vollkommene Verkörperung des Nordens gelten konnte. Er war groß und breitschultrig von Gestalt, seinen gewaltigen Kopf umgab strohgelbes Haar, und ein rosig frisches Gesicht faßte ein goldheller krauser Bart ein. Die Augen des Mannes waren licht und tiefblau und sein Mund sehr voll und weich. Das war nun Alles eigentlich sehr natürlich, denn Herr Lugeno war ein Pommer, Hermann Lütgens mit Namen, den ein Zufall als Knabe nach Neapel verschlagen und der schließlich hier „hängen“ geblieben, wie er sich ausdrückte. Seit zehn Jahren betrieb der jetzt dreißigjährige Herr Lugeno das Barbiergeschäft, den Handel mit Gemüsen und mit Singvögeln, und außerdem hielt er noch ein Café und eine Weinstube. Für die letzteren beiden Geschäfte genügten zwei Tische und acht Stühle, ein Tisch im hinteren Zimmer, wo der Besitzer auch schlief, und ein Tisch, wie wir erwähnt, im Freien nebst einem halben Dutzend Tassen und zwei Glasballons Wein. Trotz dieser vielfachen Geschäfte ging es Herrn Lugeno nicht besonders gut, er ernährte sich mit knapper Noth. An dieser dürftigen Lage trug wohl die einzige Leidenschaft dieses Mannes die Schuld: die Jagd. Sie verführte ihn dazu, daß er oft zwei bis drei Tage verschwand, sein Geschäft und seine Barbierkunden vollständig vergaß, um schließlich mit einem magern Hasen, einem kleinen Marder oder einer elenden Wachtel ganz verwildert und zerzaust heim zu kommen. Herr Lugeno würde auch längst verhungert sein, wenn er nicht in Allem, was Handarbeit hieß, so außerordentlich geschickt gewesen wäre. Er reparirte Uhren, flickte Tische und Stühle, setzte Fensterscheiben ein und malte hübsche Schilde. Er war deshalb ein unentbehrlicher Helfer in der Noth und beliebt bei Allen durch seine Heiterkeit und nicht zum Mindesten durch die Billigkeit seiner Forderungen.

Die Frauen und Mädchen des ganzen Ortes, alt und jung, schwärmten besonders für Don Ernano (es wurden hier alle Leute beim Vornamen genannt) und Il bello Biondo – der schöne Blonde – hätte schon manche gute Partie machen können, die ihn aus seiner Dürftigkeit mit einem Schlage in großen Wohlstand versetzt haben würde, wenn der große Mann nicht stets das Benehmen eines Weiberfeindes gezeigt hätte, was ihm wieder die Freundschaft aller Männer des Ortes eintrug. Auch Ditta hatte seit langem schon eine stille Neigung für den italienischen Pommer, mit dem sie seit ihrer Kindheit in Geschäftsverbindung stand, denn er bezog sein Gemüse fast ausschließlich von dem Gütchen Ceprano. Heute nun führte sie ihr Weg wieder zu ihm.

Das Mauleselchen hielt vor dem Laden und beschnoberte den Tisch, auf welchem einige Brosamen lagen. Ditta sprang gewandt herab.

„Guten Morgen, Signorina!“ rief Herr Lugeno und trat etwas langsam, aber doch galant mit freundlichem Gesicht näher, um dem Mädchen die schweren Körbe abladen zu helfen.

„Sind Sie gesund, Don Ernano?“ erkundigte sich, den Gruß erwidernd, Ditta und schaute mit ihren tiefbraunen Augen dem Blonden zärtlich in seine treuherzigen blauen. Dabei wurde Herr Lugeno roth, worüber Ditta mit feinem, lieblichen Ausdruck lächelte. „Hier sind die Zwiebeln, große, schöne; können Sie alle gebrauchen?“ frug sie.

Herr Lugeno kraute sich etwas verlegen hinter den Ohren.

„Könnt’ ich schon, Signorina, habe aber augenblicklich keine große Casse.“

„Weiß schon,“ sagte Ditta, „wahrscheinlich sind der Herr wieder auf der Jagd gewesen?“

„Das wissen Signorina?“ fragte Herr Lugeno, verwundert das schöne Mädchen ansehend.

„Ja. Ich habe nachgedacht, weshalb der Herr nicht reich werden. Er versteht doch Alles, ist so klug und geschickt, trinkt nicht und spielt nicht, er könnte der Erste in der Stadt sein und kommt doch nicht weiter! Ich habe herausgebracht, daß nur die Jagd daran schuld sein kann.“

Herr Lugeno sah noch aufmerksamer die Sprecherin an, aus ihrem Gesichte leuchtete eine freundliche Theilnahme, die ihm tief zu Herzen ging. Er kraute sich abermals hinter den Ohren und wiegte den großen Kopf. „Signorina möchten Recht haben,“ erwiderte er darauf, „aber was soll ich anfangen? Ich habe kein Vergnügen sonst auf der Welt. Es ist so öde in meinem Hause, und die Langeweile packt mich oft wie der Teufel.“

„Sie sollten eine Frau nehmen, Don Ernano, dann haben Sie eine Heimath und wissen, zu wem Sie gehören, für wen Sie schaffen,“ erwiderte Ditta. Sie hatte die Augen, indeß sie sprach, zur Erde gerichtet, und Herr Lugeno sah in ihr klassisches Gesicht, das trotz der braunen Farbe jetzt plötzlich mit tiefem Rosenlichte übergossen war.

„Ja, eine Frau nehmen,“ wiederholte der große Blonde, „das ist leicht gesagt – wer würde mich aber nehmen, den Habenichts, den Fremden? Ich habe wohl manchmal daran gedacht, jedoch unser einer bekommt schwer eine gute Frau.“

„Das kann ich mir gar nicht denken, Don Ernano,“ meinte darauf nachdenklich Ditta und schlug einen Moment die großen schwarzen Sterne zu dem Händler auf. „Ein so guter und kluger Mann wie Ihr! Ihr habt wahrscheinlich nur nicht gewollt, Euch ist Eure Freiheit lieber.“

„Das könnte wohl sein, mein Fräulein. Es kann aber auch sein, daß die Rechte noch nicht gekommen ist,“ antwortete Herr Lugeno mit einem Male ganz ernst und nachdenklich.

„Wie müßte denn diese sein?“ erkundigte sich, beharrlich zu Boden schauend, Ditta.

„Wie, ja wie?“ frug Herr Lugeno, mit der großen weichen Hand wieder hinter die Ohren fahrend. „Nun, etwa wie Ihr, Fräuleinchen!“

Ditta ward von Neuem mit verrätherischem Rosenlichte übergossen.

„Ihr macht Spaß, Don Ernano,“ sprach sie darauf, sich zu einem Lachen zwingend. „Ich bin ja nur eine Bäuerin.“

„Mein Vater war noch weniger als ein Bauer,“ erwiderte darauf Herr Lugeno. „Er kam mit den Eisenarbeiten erst nach Oesterreich und dann nach Italien. Im Stande steht Ihr sogar eigentlich über mir, seht Ihr!“ lachte Herr Lugeno. „Eine Frau wie Ihr könnte mir schon gefallen,“ fügte er mit eigentümlichem Ausdruck hinzu.

„Don Ernano, könnt Ihr die Zwiebeln brauchen?“ brach jetzt plötzlich Ditta wie erschreckt ab, den Blick nicht von der Erde erhebend.

„Natürlich kann ich’s, Signorina, wenn Sie mir das Zeug lassen können – die Zahlung Ende Monats.“

„Ich traue Ihnen,“ sagte darauf Ditta, „gute Geschäfte!“ Und dann, nachdem sie ihre Körbe fast hastig in andere geleert, schwang sie sich auf ihr Reitthier und trabte mit dem eilfertigen Gruße: „Auf Wiedersehen, Signore!“ die Straße, auf welcher sie gekommen, nach Palenella zurück.

(Schluß folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_011.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2020)