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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

In dem Thüreingang stand ein schöngewachsener junger Mann in blauer Sammetjacke und spitzem Hut, um den Leib einen großen rothen Wollshawl. Er hatte den Abendgruß gesprochen und schaute Ditta mit den scharfen, pechschwarzen Augen leidenschaftlich an.

„Wollt Ihr zu der Mutter?“ frug Ditta wenig einladend den Ankömmling.

Der junge Mann nahm den Hut ab. „Nein, zu Euch will ich, Signorina,“ erwiderte er geschmeidig, höflich.

„Wenn Ihr kommt, Pieteranton, mir dasselbe wie früher zu sagen, so könnt Ihr Euch die Mühe sparen,“ klang es klar und bestimmt von Ditta’s Lippen.

„Ihr verweigert mir also den Eintritt in Euer Haus, Ditta Ceprano?“ frug jetzt der junge Mann, und sein schmallippiger Mund zog sich zusammen und seine stechenden Augen bekamen etwas von dem Ausdruck eines gereizten Tigers.

„Das Haus steht ja offen, tretet nur ein.“ erwiderte Ditta ruhig, „da seht Ihr meine Mutter,“ und nach diesen Worten schritt das Mädchen zur Hinterthür des Gemaches hinaus in den kleinen mit Aloegebüsch umfriedeten Garten.

Pieteranton trat in das Zimmer, warf den Hut auf den Tisch und setzte sich auf einen Sessel der Frau Ceprano gegenüber.

„Ihr scheint nicht besonders weit mit ihr gekommen zu sein, Mutter Ceprano,“ nahm er zu der Alten gewendet das Wort.

„Ihr seht, wie weit,“ gab die Alte mit unterdrückter Stimme zurück.

„Dann wird sie wohl bald nach Rom gehen und Ihr müßt arbeiten wie die Anderen, Mutter Ceprano,“ warf der Bursche scheinbar ganz harmlos hin, „denn ihr gehört ja hier Alles. Es ist Vatergut und so geschrieben worden.“

„Sie wird mir das Gütchen lassen,“ sagte die Alte kleinlaut.

„Aber nicht alle Arbeit mehr für Euch thun, Mutter Ceprano, denn sie schafft für Zwei, und den Zins wird sie in Rom allein brauchen,“ fuhr der junge Mann mit einem kurzen, scharfen Seitenblick auf die Alte fort. „Euer bequemes Leben hat dann ein Ende, Mutter. – Oder will sie Euch etwa mit nach Rom nehmen?“ erkundigte sich Pieteranton theilnehmenden Tones.

„Ich weiß es nicht,“ fuhr die Alte zornig heraus. „Sie hat nur heute wieder gesagt, daß sie von hier fort geht. Ich glaube, sie thut es bald.“

„So,“ sagte der junge Mann und seine Lippen zuckten von verhaltener Leidenschaft, „dann schafft Euch nur zwei tüchtige Arbeiterinnen für das Feld an, Mutter Ceprano,“ setzte er spöttisch hinzu.

„Das trägt der Acker nicht. Er ernährt so viel nicht, das wißt Ihr wohl,“ versetzte darauf zornig die Mutter.

„So haltet das Mädchen hier!“ warf Pieteranton leicht hin und streckte seine beiden mit gelben Gamaschen bekleideten Beine scheinbar sehr behaglich weit aus.

„Haltet! ja haltet!“ stöhnte die Alte. „Könnt Ihr sie etwa halten, Pietro?“

„Ja, ich kann’s, wenn Ihr mir helft,“ sprach der junge Mann, sich aufrecht setzend, leise. Dann erhob er sich, ging zur Hinterthür, spähte in den Garten hinaus, und als er wahrnahm, daß Ditta, wie er vermuthete, diesen auch verlassen hatte, um nicht mehr mit ihm zusammenzutreten, zog er die Thür zu, setzte sich näher zu der Alten und sprach leise: „Ich kann sie zwingen, hier zu bleiben, Mutter. Sie wäre die Erste nicht, die hat denjenigen heirathen müssen, der sie wollte. Ihr wißt ja, auf welche Weise. Es wäre freilich schade um die schönen Haare!“

„Und wenn sie Euch niedersticht, Pietro? Ihr kennt sie nicht!“ warf die Alte, den unruhigen Blick zur Erde gesenkt, ein.

„Dafür sollt Ihr eben sorgen, Mutter Ceprano, daß sie das nicht kann. Nehmt ihr das Messer weg, wenn sie schläft, verbergt mich im Garten und laßt mich ein, wenn alles sicher ist. Ehe sie erwacht, ist ihr Haar mein – und alles ist in Ordnung.“

„Sie wird mich aus dem Hause jagen, wenn sie erfährt, wie es zugegangen; sie wird mich von sich stoßen wie ein giftiges Thier, und es wird für mich alles noch schlimmer werden,“ entgegnete ihm die Alte sorgenvoll.

„Bin ich denn nicht da?“ erwiderte Pieteranton, „und geschieht nicht alles zu ihrem Glück? Bin ich nicht der reichste junge Mann in der Landschaft? Ist Eine im ganzen Bezirk, die meine Hand ausschlüge? Sagt, könnte ein Mädchen eine bessere Heirath machen? Es ist ja nur eine Laune, ein Eigensinn von Eurer Tochter, der sie noch zur alten Jungfer und Euch zu einer gewöhnlichen Arbeiterin macht! So steht’s, Mutter Ceprano.“

„Da habt Ihr Recht,“ stimmte die Alte zu. „Es wäre ein Glück, wenn sie Euch nähme, für sie selbst, für Euch, für mich – aber Ihr kennt sie nicht, Pieteranton. Es giebt ein Unglück, sag ich Euch!“

„Bah! Redensarten – ein Frauenzimmer – das wäre neu!“ lachte verächtlich Pieteranton. „Ich werde sie schon zähmen. Die Stolzesten und Wildesten sind später die Zahmsten und Sanftesten. Wenn ich ihren Zopf durch die Gassen trage, und ich würde das thun, falls sie sich noch weiter sperrte, so würde sie mir folgen wie ein Lamm dem Schäfer – das würdet Ihr sehen, Mutter. Es hat noch kein Mädchen hier gegeben, das diese Schmach ertragen und den nicht gern genommen hätte, der einzig und allein ihr die Ehre wiedergeben konnte.“

„Sie ist anders, als alle übrigen hier,“ wandte besorgt die Alte ein. „Ihr seid zwar stark und klug und angesehen und der Mächtigste weit und breit, – aber was hilft dies Alles, wenn sie Euch haßt, Euch etwas anthut und mich von sich jagt?“

„Sie haßt mich nicht, es ist ja nur kindischer Stolz von ihr – ich kenne das – darüber mache ich mir keine Sorge,“ versetzte Pietro. „Ihr wißt, ich habe Euch eine Jahresrente verschrieben, wenn sie mein Weib wird, ich werde Euch dafür stehen, daß Ihr hier auf dem Gute bleibt und eine Magd halten könnt. Also macht’s kurz, Mutter: wollt Ihr oder wollt Ihr nicht?“

„Ich kann’s nicht – ich wag’s nicht.“

„So werdet arm wie die Aermsten hier! Arbeit ist ja gesund, wer lange arbeitet, der lebt lange. Addio, Mutter Ceprano!“ höhnte der junge Mann, erhob sich und wandte sich zur Thür.

„Bleibt!“ rief die Alte mit heiserer Stimme. „Ich will es thun.“

„Wann?“ frug der junge Mann, in der Thür stehen bleibend.

„Ich werde Euch einen Boten schicken, wenn ich glaube, daß es geschehen kann. Der soll nur bestellen, ich möchte Euch sprechen, und dann kommt Nachts elf Uhr.“

„Ich verlaß mich darauf,“ sprach der junge Mann. „Seid klug, verschwatzt nichts und haltet Wort!“

„Ich werde Wort halten,“ sagte Mutter Ceprano mit finsterer Miene und geleitete Pieteranton vor das Haus. Dann kehrte sie in die inzwischen ganz finster gewordene Küche zurück.

„Sie kann keine bessere Heirath machen,“ murmelte sie, „er ist reich, sehr reich, angesehen, schön und gehört nicht zu den Schlimmsten. Sie wird sich darein finden. Er hat Recht, es ist nur eine Laune.“

Und die Alte ergriff ihren Rosenkranz, ging, immer vor sich hinmurmelnd, auf die Straße, verschloß das Haus und schlug den Weg zur Kirche ein, um die Abendmesse nicht zu versäumen.

Am nächsten Morgen in aller Frühe, bevor die Mutter noch aufgestanden, war Ditta schon auf dem Hofe beschäftigt; nun zog sie den Maulesel aus dem Stalle, belud ihn mit zwei großen flachen, muldenartigen Körben voll Zwiebeln, schwang sich auf das Thier und trabte nach Palene hinüber.

Das rothseidene Tuch fest um den Kopf geschlungen, das gelbe Brusttuch mit den Zipfeln auf dem Rücken befestigt, im grünen Wollenrock, unterschied sie sich, ihre Größe ausgenommen, in nichts von den übrigen Frauen des Dorfes, nur trug sie einen ledernen Gürtel um den Leib mit einer Metallscheide, in welcher ein großes Gartenmesser steckte. Ihre Hand ruhte fast immer auf dem großen Beingriff des Messers, was ihr etwas Wildes, Amazonenhaftes gab, dem das edle, ruhige Madonnengesicht mit den glatt gescheitelten Haaren seltsam widersprach. Der Esel trabte durch die frische Morgenluft, und Ditta schaute in das flimmernde Sonnengold des Morgens, das auf den Felsen hier oben und auf den Feldern unten lieblich spielte.

„Sollte man es glauben, daß die Menschen so böse wären,“ sprach sie halblaut vor sich hin, „wenn man sieht, wie schön und friedlich und glücklich und still alles hier ist? Das merken sie aber nicht, denn sie sind noch Thiere, sie leben wie reißende Thiere dahin. In den Städten ist es anders, es ist schon in Palene besser; wie viel anders muß es nicht erst in Rom, in Florenz, in Neapel sein! Dort, das habe ich gelesen, giebt es gute, sanfte Menschen, die verzeihen und vergeben, die nicht lieben wie die Wölfe und hassen wie die Tiger. Ich kenne auch Einen,

der so ist, aber er ist ein Fremder, und sie schlügen ihn todt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_010.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)