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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Siegreich?“ fuhr Johanne auf. „Hermann hat den Fischer in das Gesicht geschlagen, daß es ihm verging, Victoria zu rufen.“

Jetzt riß der Geduldsfaden der Muhme. „Daß Gott erbarm!“ zeterte sie. „Sind das züchtige Jungfern? Das Lerchenei schreit nach einem Zechbruder, die Henningin nach einem Riesen Goliath, und sie kratzen sich derowegen die Augen aus. Habt Ihr nicht gesehen, da die Liese Besser Kirchenbuße that, wie sie vor der Kirchthür lag, und Jegliches über sie hinwegschritt? Also ergehet es unehrbaren Weibspersonen.“

Barbara weinte laut, Johanne fuhr wie eine Flamme empor, und der Rathsbrunnenmeister gebot mit dröhnender Stimme: „Feierabend! Hört Ihr die Bierglocke läuten? Wir müssen uns heim begeben; sonst bringen uns die Scharwächter auf den Schub.“

Die Gäste brachen auf, tummelten sich durch einander, brachten ihren bestgeflissnen Dank dar, und wer mit einander an die Decke geflogen war, faßte sich bei der Hand und zog ab. Die Spinnstube war zu Ende.

Aber die Muhme Schmidtin noch lange nicht. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Man möchte erworgen und zerbersten. Das hat eine gutmüthige Seele, wie ich, für ihre Gefälligkeit.“

Der Rathsbrunnenmeister lachte mit seiner tiefen Stimme: „Danket Gott, wenn Ihr für Eure Gefälligkeit heut Abend nicht den Lästerstein tragen müßt,“ sagte er, indem er davon schritt.

„Den Lästerstein?“ zankte sie hinter ihm her. „Den will ich sehen, der mir ihn umhängt. Ein Schwarmgeist wie Ihr, der an kein rechtschaffnes Gespenst mehr glaubt, gewißlich nicht. Der soll froh sein, wenn er nicht in den Hexenthurm gesetzt wird, wegen gottlosen Unglaubens.“ Klingelnd schloß sie hinter ihm die Hausthür.

(Fortsetzung folgt.)




Weihnachten in Madrid.

Von Gustav Diercks.

Weihnachten! Was für ein Zauberwort für jeden Deutschen, was für Erinnerungen weckt es in uns! Von Kindesbeinen an gewöhnt, dieses Fest in jener sinnigen Weise zu begehen, die seit einer Reihe von Geschlechtern in Deutschland gebräuchlich ist, wollen wir den Weihnachtsbaum auch nicht entbehren, wenn wir fern von der Heimath sind.

Im Allgemeinen in Unkenntniß über die symbolische Bedeutung dieses Festes und der mit demselben verbundenen Gebräuche, sowie über die kurze Zeit, seit der Weihnachts- oder Lichterbaum in den nordischen Landen zur Geltung gelangt ist, halten wir das Fest als auf das Engste verbunden mit dem Christenthum und so alt wie dieses. Es wird uns schwer, zu denken, daß Weihnachten irgendwo in anderer Weise gefeiert wird als in Deutschland. Kaum aber überschreiten wir die Grenzen unseres Heimathlandes, da verschwindet auch schon der Lichterbaum, da verschwinden die meisten übrigen Gebräuche, die uns als zu dem Feste gehörig erscheinen. Nun erst werden wir uns bewußt, daß das poetische Kinderfest, zu dem Weihnachten geworden ist, ursprünglich eine viel weitere Bedeutung hatte, und daß es weit davon entfernt ist, specifisch christlich zu sein, sondern mit allen seinen Gebräuchen tief im Heidenthum wurzelt, einerseits im nordisch-germanischen, andererseits im alt-orientalischen.

Das Julfest der alten Germanen, das auf ägyptischen Ursprung zurückweisende israelitische Fest der Hütten, die entsprechenden Feste der Perser und anderer orientalischer Völker waren alle der Geburtsfeier des Sonnenlichtes und seiner göttlichen Verkörperung geweiht, und das Christenthum sah sich gezwungen, dieselben sowie die anderen uralten im Naturcult wurzelnden religiösen Feste beizubehalten, wenn es bei den verschiedenen Völkern Eingang finden wollte. So wurde Christus an die Stelle der alten Sonnengötter gesetzt und seine Geburt am 24. December gefeiert.

Daraus aber erklärt es sich auch, daß dieses Fest in den einzelnen Ländern seinen besonderen nationalen Charakter annahm, daß die germanischen Völker es anders feierten als die slavischen und die romanischen; und diese Unterschiede wurden in dem Maße größer, als die reformatorischen Bewegungen begannen, als der seit dem frühen Mittelalter bestehende Kampf zwischen der im germanischen Norden fußenden Kaisermacht gegen das durch die Romanen gestützte Papsttum in der Reformation Ausdruck fand. Hatten die Missionäre früherer Zeiten und die Diener Roms gegen die altheidnischen Gebräuche der Weihnachtszeit geeifert, so suchte man dieselben später vollends aus dem Machtbezirk Roms zu verbannen und der Feier einen ganz specifisch christlichen Charakter zu verleihen, die Lebensgeschichte des Heilands direct und ausschließlich zum Mittelpunkt derselben zu machen, die Ueberreste der heidnischen Symbolik auszuschließen.

So darf es uns denn nicht überraschen, in Spanien, dem katholischsten Lande der Welt, fast gar keine Spuren heidnischer Gebräuche mehr zu finden, wie sie in Frankreich noch hier und da aus keltischer Zeit her bestehen, und alles das zu vermissen, was uns die Weihnachtsfeier in Deutschland so poetisch und lieb macht.

Der kirchliche Theil des Festes hat, besonders in Madrid, kaum irgend etwas Bemerkenswerthes aufzuweisen. Wie bei allen Kirchenfesten ist es eine reichere Prachtentfaltung, glänzendere Beleuchtung und Erweiterung des Gottesdienstes, wodurch die Festzeit bekundet wird. Ausnahmsweise sind Schaustellungen veranstaltet, die den Besuchern der Kirchen die Geschichte der Geburt des Heilandes in Erinnerung bringen. In einzelnen Gotteshäusern Spaniens bestand auch der Gebrauch, Mysterienspiele aufzuführen, die den Gegenstand der Weihnachtsfeier behandeln. Im Allgemeinen unterscheidet sich daher die Weihnachtsfeier nicht viel von denen anderer gewöhnlicher Feiertage und kann sich nicht messen mit der von Ostern. Es liegt dies offenbar im Charakter der „spanischen Religion“, in der die Anbetung der Heiligen, besonders aber der Jungfrau so vollständig überwiegt, daß die Persönlichkeit Christi darüber ganz vernachlässigt wird.

Der weltliche Theil der Weihnachtsfeier hat dagegen manches Eigenthümliche aufzuweisen, was völlig von dem in anderen Ländern Ueblichen abweicht. Dazu gehört besonders, daß während der ganzen Weihnachtszeit und noch ziemlich lange über dieselbe hinaus in einzelnen Volkstheatern Mysterien und Mirakelspiele aufgeführt werden, die denen des Mittelalters entweder getreu nachgebildet oder direct aus ihnen hervorgegangen sind. Dem Geist und Geschmack der Massen ist in diesen Dichtungen so weit Rechnung getragen, als es nur möglich ist, und diese Stücke unterscheiden sich von den Volkskomödien und Farcen nur durch ihre religiösen Gegenstände. In drastischster, derbster Weise ist der Inhalt der Evangelien da dramatisirt, und es fehlt ebenso wenig an geistlosen Witzen, die ihre Wirkungen auf die Lachmuskeln der Zuhörer und Zuschauer nicht verfehlen, wie an Prügeleien und Kraftscenen aller Art, durch die diese Mysterien zu höchst einträglichen Cassen- und Zugstücken werden, die fast immer volle Häuser erzielen und Jung und Alt auf das Höchste belustigen und befriedigen. Ein Unterschied im Verhalten der Theaterbesucher ist kaum zu bemerken. Wie bei anderen Vorstellungen werden die Kinder in die Theater mitgenommen; in den Logen sieht man die feineren Familien von ihren Kindermädchen und Ammen begleitet, und das Geschrei sowie Scenen der Kinderstube sind nichts Ungewöhnliches. Im Parterre und in den höheren Rängen kreisen die Flasche und die Eßvorräthe, die ein sorgsamer Familienvater mitgenommen hat. Das Einzige, worauf die Theaterdiener streng bei der Aufführung dieser religiösen Weihnachtsstücke halten, ist, daß die männlichen Individuen während des Spiels ihre Kopfbedeckungen abnehmen.

Einige Tage vor dem Fest wird ferner der Weihnachtsmarkt eröffnet, denn wenn auch in Spanien nicht die Sitte besteht, daß die erwachsenen Verwandten und Bekannten sich beschenken – was gewöhnlich am 6. Januar geschieht – so ist es doch im Allgemeinen Gebrauch, die Kinder mit Kleinigkeiten zu erfreuen, und außerdem macht die Festfeier noch in anderer Weise den Jahrmarkt erforderlich. Auf mehreren Plätzen der Stadt und in verschiedenen großen Straßen werden nun jene meist überaus urwüchsigen Buden errichtet, die man auch auf deutschen Jahrmärken sehen kann, und es entwickelt sich ein von dem der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_811.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2024)