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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


Wiens beschlossen, ein Pädagogium zu errichten. Dieses Institut sollte namentlich zur weiteren Fortbildung der in der Residenz bereits angestellten Volksschullehrer dienen. Das Pädagogium war also eine Hochschule für Lehrer und nur solche, die auf derselben mit Erfolg weiter studirt, hatten auf Weiterbeförderung zu rechnen.

Als Hochschule mußte das Pädagogium frei von confessionellem Zwange sein. Das Ministerium machte Schwierigkeiten, es wollte die Rechte der Kirche und der Staatsregierung wahren, aber der klare, feste Wille und die Einmüthigkeit des aus 120 Mitgliedern bestehenden Wiener Gemeinderathes überwanden alle Hindernisse, und bei Gelegenheit eines Ministerwechsels wurde die Genehmigung zur Errichtung des Pädagogiums ertheilt. Natürlich sollten an dieser Anstalt nur Lehrkräfte ersten Ranges wirken, namentlich war die Wahl des Directors von größter Wichtigkeit.

Viele hervorragende Schulmänner bewarben sich um diese Stellung, aber nach langem Erwägen und genauen Erkundigungen wählte man keinen, der sich gemeldet, sondern den Gothaer Schulrath und Seminardirector Dr. Dittes. Man wählte ihn mit allen gegen zwei Stimmen. Dittes nahm die Wahl an, die wichtige und schwierige Aufgabe fesselte ihn, und am 12. October 1868 trat er in seine neue Stellung ein. Die liberale Presse begrüßte freudig die neue Anstalt und ihren Leiter, aber die Clericalen waren empört, daß ein Ketzer Director eines solchen wichtigen Instituts geworden, und begannen ihre Maulwurfsarbeit gegen ihn, noch ehe er den Boden Wiens betreten hatte.

Im fernen Westen jenseits des Oceans tragen die am weitesten vorgedrungenen Ansiedler, diese Pionniere der Cultur, während sie das Feld bauen, immer die blanke Waffe bei sich. So stand auch Dittes mitten in seiner amtlichen Thätigkeit immer in hellem Kampfe gegen offene und heimliche Widersacher des Pädagogiums. Dreizehn Jahre hindurch währte dieser Kampf. Dittes mußte endlich weichen, aber sein Schild ist rein geblieben, und die Saat, welche er ausgestreut, wird reiche Früchte bringen. Er selbst erklärt:

„Ich blicke ohne Bitterkeit auf die in Wien verlebten Jahre zurück. Ich bedaure nicht, daß ich dem Rufe hierher gefolgt bin, und es reut mich nichts, was ich hier gethan habe. Müßte und könnte ich diesen Abschnitt meines Lebens nochmals beginnen, ich würde genau wieder so handeln, wie ich gehandelt habe. Und mit meinem Schicksale bin ich zufrieden. Wenn es mir versagt blieb, meine Berufsthätigkeit fortzusetzen, so wird dies wohl gut gewesen sein, da ich es unter den gegebenen Verhältnissen kaum noch lange vermocht hätte. Daß es mir aber vergönnt war, eine lange Reihe von Jahren, weit länger als zu hoffen war, auf einem wichtigen und gefährlichen Posten zu stehen, werde ich stets als eine Gunst des Schicksals preisen. Und wenn meine Gegner sich freuen sollten, endlich erreicht zu haben, was sie so lange angestrebt hatten, so sage ich ihnen: Zu spät! Ihr könnt nicht mehr vernichten, was ich geschaffen habe. Möge die Zukunft entscheiden, welche Aussaat kräftigere Halme treiben wird, die eurige oder die meinige. Gewiß ist, daß auf dem Boden, den ich bearbeitet habe, euer Unkraut gründlich ausgerottet ist und niemals wieder gedeihen wird. Mit Beruhigung nehme ich den Waffenstillstand an. Benützen wir ihn, um unsere Wunden zu heilen und unsere Schwerter zu schleifen. Wir werden blanke Waffen noch brauchen.“

Wir können hier nicht weiter auf den Kampf eingehen, den Dittes mit der scharfen Waffe des Geistes für Volkswohl und Volksbildung gegen Aberglauben, Dummheit und Böswilligkeit so glänzend bestand. Er selbst erzählt dies in dem von ihm herausgegebenen „Pädagogium“ – einem Fachblatte ersten Ranges – unter dem Titel „Wiener Geschichten“ in interessanter Weise. Trotz der glänzendsten Erfolge sollte die von Dittes geleitete Anstalt umgestaltet werden; man wußte nur noch nicht, in welcher Weise. Da nun aber Dittes seine wohlgelungene Arbeit nlcht selbst zerstören konnte, so mußte er eben gehen. Und weiter hatte die beabsichtigte Reorganisation keinen Zweck.

Daß auch der Wiener Gemeinderath sich von ihm zurückzog, hatte seinen Grund namentlich in politischen Rücksichten. Dittes war 1873 in den Reichsrath gewählt worden. Da er von der demokratischen Partei gewählt war, so hielt er es für Pflicht, sich im Reichstage derselben anzuschließen. Er gerieth dadurch in Gegensatz zu der großen liberalen Partei, welcher auch die Mehrheit des Gemeinderathes angehörte. Leider hatte diese Parteistellung auch die Folge, daß Dittes im Reichsrathe nicht den Einfluß gewann, den er sonst unbedingt gewonnen hätte. Er wurde in keinen Ausschuß gewählt; trotzdem sind aber seine Reden, z. B. zum Tiroler Schulaufsichtsgesetze, zum Unterrichtsbudget 1875 etc., von großer Bedeutung gewesen. Dittes ist überhaupt ein ganz vorzüglicher Redner. Man wird bei seinem Auftreten in mancher Hinsicht an die Schilderung erinnert, die Heine von dem englischen Parlamentsredner Henry Brougham entwirft. Man kann sich kaum denken, daß dieser so schlicht, fast gedrückt aussehende Mann mit seinen Worten so fesseln, so hinreißen kann. Er spricht ruhig und klar, nach und nach aber erhebt sich seine Gestalt wie getragen von der Wucht der Gedanken, die ihn bewegen. Seine Rede gleicht nun einem vollen, aber bis zum Grunde klaren Strom. Er fesselt uns durch die Ueberzeugungstreue, die aus jedem seiner Worte herausklingt, durch die Macht seiner Beweise, durch die Einfachheit seiner Darstellung. Wo er auch gesprochen, im Reichsrathe, in behördlichen Kreisen, in Lehrer-, in Volksversammlungen, zuletzt bei Gelegenheit der Luther–Feier in Wien – seine Rede hat stets einen mächtigen, lang nachwirkenden Eindruck hinterlassen. Welchen Einfluß er als Lehrer ausgeübt, davon ist das im Anfange dieses Artikels erwähnte Gesuch der Wiener Lehrer an den Gemeinderath beredtes Zeugniß.

Den größten Einfluß hat aber Dittes durch seine schriftstellerische Thätigkeit gewonnen. Es dürfte in der Gegenwart nur wenig Lehrer geben, in deren Büchersammlung nicht ein oder einige seiner Werke Platz gefunden hätten. Seine pädagogischen Lehrbücher haben vielfache Auflagen erlebt und sind in Tausenden von Exemplaren verbreitet. In neuerer Zeit sind dieselben unter dem Titel „Schule der Pädagogik“ in einem Bande vereinigt worden. Eine pädagogische Revue ersten Ranges hat Dittes mit der seit 1878 erscheinenden Monatsschrift „Pädagogium“ (Leipzig, Julius Klinkhardt) geschaffen. Es ist dies ein Unternehmen, welches nicht nur von Seiten der Lehrer, sondern auch von Seiten des gebildeten Publicums die größte Beachtung verdient. Dieser Zeitschrift widmet sich jetzt der in Ruhestand versetzte Dittes mit ganzer Seele. Wie er spricht, so schreibt er auch – schlicht und einfach, ohne Phrase, aber klar und schneidig, und so handelt er auch. Er stellt die höchsten Forderungen, er zieht die schärfsten Consequenzen und dem entsprechend ist auch sein Thun.

Mag man auch nicht immer mit seinen Ansichten sich einverstanden erklären – er ist Idealist, der Menschen und Dinge nicht nimmt, wie sie sind, sondern wie sie sein sollten – so stimmen doch Freund und Feind darin überein, daß er in Wort, Schrift und That ein ehrlicher Charakter, ein ganzer Mann ist.

E. Stötzner.     




Die Braut in Trauer.

Erzählung von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)

„Onkel! das ist eine unwürdige Beschuldigung,“ rief Helene, „Wie überzeuge ich Dich denn?“ Sie riß ihre Briefmappe vor, öffnete sie mit Hast, raffte die Blätter zusammen, die lose darin lagen, und reichte sie ihm zu. „Lies dies da!“ bat sie, „und Du wirst an meiner Aufrichtigkeit nicht zweifeln können. Es sind Geständnisse, die ich nur mir selbst zu machen meinte; nun mögen sie meine wahre Schuld offenbaren.“

Er sah verwundert bald auf sie, bald auf die beschriebenen Blättchen, die sie ihm in die Hand schob. „Es ist jetzt dazu keine Zeit, Kind,“ sagte er. „Wenn Du mir aber diese Schriftstücke lassen willst – es findet sich wohl die Gelegenheit sie durchzulesen. Mir flimmert jetzt Alles vor den Augen – ich könnte mich nicht einmal in den Zeilen zurechtfinden.“ Er steckte die Blättchen in die Brusttasche seines Rockes. „Die Aerzte haben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_799.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2024)