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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

und über Felsengeröll sich den Weg bahnen muß, kann nicht jederzeit ein gehorsamer Diener sein, wenn er sich nicht selbst aufgeben will. Zum bloßen Vergnügen verfeindet man sich doch nicht einmal mit einem Kinde, geschweige denn mit Regierungsräthen, Ministern und sonstigen einflußreichen Herren. Aber da nun einmal unter dem Monde nicht alle Dinge nach Recht und Billigkeit geordnet sind, so lasse man doch dem Individuum dasjenige Maß von Freiheit, welches ihm nöthig ist, um sein Ziel zu erreichen, vorausgesetzt, daß sein Streben ein rechtschaffenes ist und Niemandem schadet.“

Friedrich Dittes stammt aus dem sächsischen Vogtlande, er wurde in Irfersgrün bei Lengenfeld – man muß schon eine vorzügliche Specialkarte haben, um das Dörfchen zu finden – am 23. September 1829 geboren. Seine Eltern waren einfache Landleute, die sich tüchtig zu regen hatten, um die zahlreiche Familie mit Ehren durchzubringen. Da mußten auch die Kinder frühzeitig zur Arbeit herangezogen werden. Bei alledem herrschte aber ein gesundes, herzliches Familienleben im Hause, das namentlich durch die Mutter die rechte Weihe erhielt. „Mein Vater“ – erzählt Dittes selbst – „war ein durchaus wackerer, rechtschaffener, thatkräftiger Mann; aber sehr streng, ohnehin weniger im Hause als die Mutter, weil stets an harte Arbeit gebunden, weshalb wir Kinder, zusammen sieben Geschwister, besonders in und mit ihr lebten, die durch ihre unerschöpfliche Geduld und rastlose Thätigkeit die zahlreiche und wenig bemittelte Familie in bester Ordnung erhielt, uns Kinder in den Mußestunden zum Lernen der Schulpensa und zum Vorlesen aus Bibel und Gesangbuch anleitete und uns ohne alle Kunst, fast nur durch ihr eigenes Beispiel einen unverbrüchlichen Sinn für alles Gute einflößte. Zum Glück ist auch keines ihrer Kinder mißrathen. Meine Geschwister sind zwar in einfachen Lebensverhältnissen geblieben, aber rechtschaffene Leute geworden und haben sich stets der Achtung ihrer Umgebung erfreut. Mich haben sie stets gefördert, wo sie nur konnten, nicht selten auch, so lange ich’s bedurfte, mit ihren kleinen Ersparnissen freudig unterstützt. Und so habe ich reichlich erfahren, welcher Schatz von Herzensgüte und Rechtschaffenheit in den breiten Schichten des kleinen Volkes ruht, und das ist der Ursprung meiner Liebe zum Volke oder, wenn man will, meiner demokratischen Gesinnung.“

Der lebhafte, geweckte Knabe besuchte die Schule seines Ortes, fand aber auch im Pfarrhause die freundlichste Aufnahme. Der würdige Pastor ertheilte ihm Privatunterricht und beredete die Eltern, ihren Friedrich für den Lehrerstand ausbilden zu lassen. Er hielt den lebendigen Knaben in strenger geistiger Zucht, sodaß dieser die lateinische Grammatik, Geschichtstabellen und andere Bändigungsmittel munterer Burschen immer mit sich herumtrug, wenn er auf dem Felde oder in der Scheune mit helfen mußte, um in den kleinen Arbeitspausen die Unterrichtspensa einzuüben. War aber doch einmal eine harte Nuß nicht geknackt worden, so hatte der Pastor auch Nachsicht mit den schwachen Zähnen, und wenn er einmal die Geduld verlor, so brachte ihn seine Frau durch ihre Thränen wieder zur Güte. „Diese alte Dame“ – schreibt Dittes – „ein wahrer Engel des Dorfes, steht neben meiner Mutter unter allen Frauengestalten, die mir im Leben begegnet sind, in oberster Reihe und fehlt niemals, wenn die heiligsten Jugenderinnerungen in mir auftauchen.“

Im Jahre 1844 bezog Dittes das Proseminar zu Plauen. Der Dorfknabe paßte noch wenig in die Welt, war linkisch und schüchtern und hatte deshalb von seinen lustigen Cameraden im Anfang manche Neckerei zu ertragen. Aber das gab sich bald, und schließlich blieb doch der unscheinbare Kern, den er aus dem Elternhause mitgebracht, das Grundcapital für sein ganzes Leben. Nach kurzer Zeit übersprang er das Proseminar und trat in das wirkliche Seminar ein. Hier arbeitete er tüchtig, ohne sich aber von seinen andern Schulgenossen zu trennen. Diese sahen gar bald, daß er wacker zum Ganzen hielt, und so sind ihm aus dieser Zeit viele brave Freunde geblieben. Dittes hat überhaupt das Glück gehabt, daß er keinen Ort seines Lebens und Wirkens verlassen hat, ohne sich der freundlichsten Anerkennung seiner Genossen und Collegen zu erfreuen. Wo es galt, tüchtig zu arbeiten, war er nicht der Letzte, und wo sich Gelegenheit fand, für die Ehre der Schule und des Lehrstandes einzutreten, scheute er sich nicht, zu den Ersten zu gehören.

Nach vier Jahren verließ er das Seminar, um in dem bei Chemnitz gelegenen Dorfe Thalheim als Schulvicar einzutreten. Hier hatte er das erste Mal Gelegenheit, einmal energisch „nein“ zu sagen. Er fand dort den Brauch vor, daß der Lehrer auch das Läuten der Glocken besorgte, das heißt durch Schulknaben besorgen ließ, die er überwachte. Nun kam dabei einmal ein Kunstfehler vor, es wurde bei einer Leiche mit einer Glocke zu wenig geläutet. Darüber machte der „Kirchvater“ dem jungen Lehrer so heftige, zu weitläufigen Auseinandersetzungen führende Vorwürfe, daß dieser erklärte, der Lehrer habe ohnehin von Gesetzeswegen mit dem Glockenläuten nichts zu thun, er würde sich von nun ab auch nicht mehr darum kümmern und auch nicht dulden, daß Schulknaben während der Unterrichtszeit dazu verwendet würden. Eine solche Anmaßung war damals unerhört; es gab einen heftigen Sturm und lange Erörterungen in verschiedenen Instanzen. Pfarrer und Superintendent meinten zwar, „die Vogtländer seien etwas hartnäckig“; sie standen aber dem jungen Lehrer kräftig bei, und so wurde der Glöcknerdienst vom Lehrdienste für immer getrennt. Bald nachher kam Dittes als Lehrer an die Bürgerschule in Reichenbach. Da er sich entschlossen hatte, die Universität Leipzig zu besuchen, so beschäftigte er sich angelegentlich mit Gymnasialstudien.

Im Jahre 1851 benutzte Dittes einen anderthalbjährigen Urlaub, um diesen Lieblingswunsch zur Ausführung zu bringen. Er mußte sich in Leipzig oft recht kümmerlich behelfen, aber mit eiserner Energie überwand er alle Schwierigkeiten, und je mehr ihn hungerte, desto eifriger trieb er Mathematik, Naturwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Als der Urlaub vorüber war, kehrte er in seine frühere Stellung zurück.

Jetzt trat er auch als Schriftsteller auf. Schon seine beiden ersten Schriften wurden mit Preisen gekrönt und auf das Günstigste aufgenommen. Sie behandelten psychologische Fragen und hatten den Zweck, die Wissenschaft der Pädagogik aus naturwissenschaftliche Psychologie zu gründen. 1857 ging Dittes nach Leipzig, um an der unter Director Vogel’s Leitung stehenden ersten Bürgerschule eine Lehrerstelle zu übernehmen. Dann, nach wohlbestandener Maturitätsprüfung trat er abermals in die Universität ein, um seine wissenschaftlichen Studien nun zum Schluß zu bringen. Er bestand 1860 das Examen für das höhere Schulamt und promovirte bald nachher bei der philosophischen Facultät.

Ein sprechendes Zeugniß für seine wissenschaftliche Tüchtigkeit war es, daß eine in dieser Zeit von ihm verfaßte Schrift von der Universität mit dem ersten Preise ausgezeichnet wurde. Nun wollte der junge Doctor sich ganz der Wissenschaft hingeben und ging ernstlich damit um, sich als Docent für Philosophie und Pädagogik zu habilitiren. Da aber kam ein Ruf aus Chemnitz, Dittes folgte diesem und trat als Subrector in die mit einem Progymnasium verbundene Realschule ein. Nun kamen glückliche Jahre. In der Tochter eines Gesinnungsverwandten, des Seminardirector Dreßler in Bautzen, fand er eine treue, sein Wirken wohl verstehende Lebensgefährtin; ein Kreis braver Collegen umgab ihn, mit denen er nach Herzenslust weiter studirte. Von Bedeutung war sein Auftreten in der 1864 in Chemnitz abgehaltenen sächsischen Lehrerversammlung; seine dort abgegebene Kritik der Lehrerseminare bewirkte eine Reorganisation derselben und gab zugleich Veranlassung, daß er als Schulrath und Director des Lehrerseminars nach Gotha berufen wurde. Er ging schwer von Chemnitz fort; aber der größere und schönere Wirkungskreis, der RuF, Lehrerbildner zu werden, zog ihn mächtig an.

Das Gothaer Seminargebäude hatte früher verschiedenen Zwecken gedient. In seiner Einweihungsrede ermahnte Dittes nun dazu, daß das Seminar die Hinterlassenschaft des Klosters, des Gymnasiums und der Volksschule, welche vordem hier Obdach gefunden hätten, antreten und in Folge dieses Erbes eine Heimstätte warmer Religiosität, wissenschaftlichen Strebens und tüchtiger pädagogischer Bildung werden möge. Er selbst hat mit aller Treue geholfen, diese Ideale zu verwirklichen, und der von ihm geschaffene Lehrplan, durch den er seine Zöglinge „nicht zu routinirten Stundengebern und Schulhaltern abrichten, sondern zu erziehenden Lehrern heranbilden will, deren gesammte Berufsthätigkeit auf die harmonische Entwickelung, auf die leibliche und geistige Wohlfahrt der ihnen anvertrauten Kinder gerichtet ist“, wird als mustergültig bezeichnet. Schon nach drei Jahren schied Dittes von Gotha, um nach Wien zu gehen.

Um einen tüchtigen, den Ansprüchen der Gegenwart gewachsenen Lehrerstand zu gewinnen, hatte die Gemeindevertretung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_798.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2023)