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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Wir fanden endlich eine Art Pfad, aber von einer Beschaffenheit, die uns in Zweifel ließ, ob er je von Menschen oder nur von klimmlustigen Ziegen benutzt wurde. An Grasbüscheln uns haltend, von Staffel zu Staffel uns emporziehend, keuchten wir im Sonnenbrande den kahlen Steilhang hundertzwölf Meter hoch hinauf.

Auf der Höhe strich ein frischer Wind über die schwankenden, lockeren Halmgräser und fuhr sausend durch das krause Gezweig der verstreuten charakteristischen Zwergbäume. Der deutlicher gewordene Pfad führte in leichten Steigungen auf und ab, durch dürre, lästige Schilfgräser, die über dem Kopfe raschelnd zusammenschlugen, an einem spärlich über Felsplatten rieselnden Bach hin, dann durch ein die Nähe von Menschen verkündendes mit Erbsenbüschen (Cajanus indicus) bepflanztes Feld. Um einen Hügelsporn biegend gewahrten wir endlich auf einer nicht allzu fernen hohen Kuppe lichte Bestände von Bäumen und Oelpalmen und in deren Schatten fahlbraune Hütten.

Trompetenklänge meldeten unser Nahen, und wir zogen in das Dorf Mungombe ein. Es erschien wie ausgestorben. Die Hüttenthüren waren geschlossen, die Menschen entlaufen; man war nicht gewohnt, hier bewaffnete Fremdlinge, am wenigsten aber Europäer anlangen zu sehen.

Auf einem Platze fanden wir schließlich einige Männer und Hunde um ein Feuer gruppirt, die sich geberdeten, als ob sie Dorf und Besuch gar nichts angingen. Unser Gruß wurde zurückhaltend erwidert, unser Wunsch, im Dorfe zu nächtigen, mit dem Antrage beantwortet, wir möchten weiter ziehen, wir könnten in Mungombe nicht bleiben. Die Art und Weise der Leute war nicht ermuthigend, doch auch nicht abschreckend. Ein kurzes Palaver (so werden in Westafrika mit den Eingeborenen geführte Verhandlungen genannt), freundliche Worte, gewürzt mit einigen lustgen Bemerkungen, die ruhige Haltung der Meinen führten zu einer befriedigenden Verständigung. Der Hauptgrund gegen unsere Aufnahme war: es gab noch keinen Präzedenzfall, eine solche Karawane hatte Mungombe noch nicht betreten; der zweite: so lange wir blieben, durften die Weiber nicht in’s Dorf kommen, und das war unbequem. Wir schlugen vor, und wie sich bald zeigte, nicht ohne Erfolg, die Unbequemlichkeit aufzuheben, die Weiber zurückzurufen, da wir gute Menschen und ihnen gewiß nicht gefährlich wären.

Ohne es zu wissen, hatten wir mit dem Dorfherrn selbst verhandelt, mit dem ein ziemlich großes und reiches Gebiet beherrschenden Häuptling Nadeka Davunda, der sich bald auch als ein sehr respectabler Afrikaner entpuppte. Zunächst brachte er uns ein willkommenes Gastgeschenk, eine stattliche, sich sehr ungeberdig sträubende Ziege und eine große Kürbisflasche mit schäumendem Palmmost.

Während wir noch das Lager aufschlugen, kehrten allmählich die aus den benachbarten Dörfern gerufenen Weiber zurück; erst die alten, dann die jungen. Hübsche, wohlgehaltene Kinder wagten sich bald mit staunenden Augen in unsere Nähe und gaben uns Gelegenheit, die Herzen der Mütter zu gewinnen. In kürzester Zeit herrschte Freude und lustiges Leben im Dorfe. Die Bewohner stellten sich vollzählig ein; Ziegen, Schweine, Hühner, die man vorher wohl nach Kräften verborgen hatte, tauchten auf und das Feilschen um Lebensmittel begann. Eier, ölreiche Erdnüsse, Maniok, Süßkartoffeln und die nahrhaften Früchte des Erbsenstrauches wurden in zierlichen Körbchen herbeigebracht, geduldige Hühner mit zusammengebundenen Ständern zum Verkauf ausgelegt. Unser Reisegeld bestand neben vielen Kleinigkeiten aus blau und weiß gestreiften Stoffen und grellbunten Taschentüchern, für deren Eintausch das weibliche Geschlecht willig seine eßbaren Besitzthümer opferte.

Die Dörfler gehörten zu dem Stamme der Basundi, der hier weithin auf der Nordseite des Congo das Land besiedelt hat, und mußten selbst unter diesen als auffällig wohlgestaltete und gut genährte Leute gelten. Zwar wurde das warme Dunkelbraun ihrer Haut durch den grauen, fast landesüblich zu nennenden und die nächtliche Lagerstatt verrathenden Aschenanflug verunziert, doch sahen sie bei weitem nicht so kümmerlich und vernachlässigt aus wie manche Gemeinden ihrer Brüder in benachbarten Gebieten. Ihre Heimath war ein die Umgebung weit überragendes kleines Bergland, das reichlicheren Regen empfing und in den Einsenkungen wohlbewässerten fruchtbaren Boden besaß.

Man gewann den angenehmen Eindruck, sich unter ungewöhnlich arbeitsamen Menschen zu befinden, die in einem entsprechenden Wohlstande lebten. Jedenfalls trafen wir nirgends wieder am Congo eine so dichte Bevölkerung und gepflegte Plantagen von so überraschender Ausdehnung wie in den Kukibuendi-Bergen.

Mungombe liegt auf dem letzten südlichen Ausläufer der Hauptkette, an 150 Meter über dem Congo. Von seiner Höhe genoß man einen reizvollen Rundblick weit in das Congoland hinein. Nordwärts ragten die um 400 Meter höheren Berge auf, deren Gipfel ausnahmslos mit dichtem Wald wie mit einer Haube geschmückt waren und sich dadurch wesentlich von allen übrigen des Gebirges unterschieden. Nach Osten, Süden und Westen schweifte der Blick ungehindert bis in die blaue Ferne über die fast gleichförmigen waldlosen Hügel (siehe Abbildung auf Seite 796).

Gegen Abend entwickelte sich im Westen ein wundervolles Landschaftsbild. Am Horizonte waren die Grasbestände in Flammen gesetzt, und dunkle Rauchschichten lagerten über den Bergen. In sie tauchte die Sonne hinab, eine gluthrote, glanzlose Scheibe, und durchdrang den Dunst und Qualm mit purpurnem und violettem Lichte. Dazu der bläuliche Duft zwischen den Bergen, die Abstufungen von Braun, Gelb und Grün bis zu den kräftigen Farben des Vordergrundes und Alles überhaucht von dem wundersamsten Scheine – eine Märchenlandschaft lag vor uns, von immer sich erneuerndem zauberischen Reize, der erst allmählich mit dem Verschwinden der Sonne verblich.

Ein köstlicher windstiller Abend ist auf den heißen Tag gefolgt. Wir haben unser trefflich mundendes Abendbrod (Erbswurstsuppe, zähen Ziegenbraten und gebackene Süßkartoffeln) verzehrt, unseren Thee getrunken, zünden unsere Pfeifen an und schlendern durch die Dorfgassen. Draußen umfängt uns dunkle Nacht. Unter einer Gruppe träumerischer Oelpalmen halten wir an und lauschen – aber nichts regt sich auf der Höhe, in der Tiefe, nur vom Dorfe her klingt gedämpftes Stimmengewirr. Ueber uns funkeln die südlichen Sternbilder; fern im Westen züngeln noch die Flammen wie leuchtende Bänder an den Berglehnen hin, langsam vorrückend, nun verschwindend, nun wieder auflohend und stetig weite Strecken der lästigen Grasbestände in Kohle und Asche verwandelnd.

Wir wandern nach dem Dorfe zurück, wo an dem Lagerfeuer die Unseren mit den Dörflern noch die halbe Nacht hindurch schwatzen werden, strecken uns auf das frisch geschüttete Graslager und schlafen einen beneidenswerthen Schlaf.

Schon vor Tagesgrauen lassen wir den Trompeter zum Aufbruch rufen. Rasch ist das Frühstück verzehrt und alles gepackt. Die Dörfler drängen sich um uns zum Abschied; hungerige Hunde schnüffeln zwischen den Lasten umher, einige stolz schreitende stattliche Hähne rufen ihre Hennen zusammen. Jämmerlich blökende Ziegen suchen einander und grunzende Schweine trollen sich vorüber. Auch eine Dorfkokette ist vorhanden, ein schlankes Mädchen, das mit gutgespielter Unbekümmertheit zierlich hin und wieder schreitet und mit einer Gerte fuchtelt, als wollte es soeben zu einem Morgenritt in den Sattel steigen.

Unser Gastfreund Nadeka Davunda gesellt sich zu uns. Er ist von dem empfangenen Gegengeschenk überaus befriedigt, hat nicht einmal – gänzlich unafrikanisch! – noch mehr verlangt und will uns nun selbst das Ehrengeleit durch sein kleines Reich geben. Würdig wandelt er vor mir her, hinter uns folgt die Karawane, untermischt mit den Dörflern, die sich noch immer nicht trennen können.

Bergauf, bergab schlängelt sich der Pfad, an steilen Hängen hin und lauschige Thäler entlang. Wo immer in den Senkungen sich günstiger Boden findet, da sind Felder angelegt, stehen Gruppen großblättriger Pisangs und Melonenbäume. Kräftige Oelpalmen wachsen allenthalben verstreut; in ihren Kronen hängen, fast wie Früchte anzuschauen, die Kürbisflaschen, in welchen der reichlich aus einer Schnittwunde sickernde Saft aufgefangen wird. Rieselnde Bäche und versumpfte Strecken sind von dichtem, von Schlingpflanzen durchwirktem Gebüsch umgeben. Dazwischen dehnen sich wieder öde Halden, auf welchen starres Gras und Gestrüpp ihr Dasein fristen. Streifen von Buschwald haben sich hier und dort erhalten, sowie schattige Haine von stattlichen Bäumen, unter welchen in großer Menge der stolze, edelbelaubte Baum, der die vielgepriesenen Kolanüsse hervorbringt, seinen vollästigen Wipfel ausbreitet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_795.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2023)