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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

ein Kind zu besitzen, reicht nicht aus; nur die eingehendste Selbstprüfung und der durch diese gewonnene Entschluß in nachhaltiger Dauer kann maßgebend sein für die Befähigung zur Annahme eines Kindes.

Viele Anerbietungen haben wir auch schon zurückweisen, bezüglich unberücksichtigt lassen müssen, weil die Bedingungen, unter welchen sich die Eltern erboten, ein Kind anzunehmen, unerfüllbar waren. Wo es sich um Ausführung eines Liebeswerkes handelt, sollte man wahrlich nicht so wählerisch sein. Die Eltern, die wenig Ansprüche machten, haben seit langer Zeit ihre Wünsche erfüllt erhalten, und wir wissen, daß sie glücklich sind. Am stärksten ist Nachfrage und Wunsch nach Mädchen im Alter von zwei bis vier Jahren. Aber das Alter thut es wahrlich nicht. Wir haben ältere Mädchen versorgt und haben die glänzendsten Nachrichten. Kinder allerdings, die bald aus dem schulpflichtigen Alter austreten, würden wir überhaupt nur in seltenen Fällen empfehlen, weil diese bald in die Lage kommen, selbst zu sehen, wo sie bleiben. Es ist wahr, Kinder in frühem Alter gewöhnen sich leichter an die Eltern; aber es liegt die Erfahrung hinter uns, daß Kinder von sechs bis acht Jahren gar bald sich einrichteten und selbst ihre frühere Umgebung völlig vergaßen.

Oft wird von den Eltern Schönheit und guter Charakter als Bedingung ausgestellt. Abgesehen davon, daß sich der Charakter eines Kindes in dem jugendlichen Alter noch gar nicht bestimmen läßt, daß er besonders anerzogen werden muß, so ist auch das Verlangen nach Schönheit ein sehr fragwürdiges. Wenn ein Kind nicht häßliche, abschreckende Gesichtszüge hat, warum es deshalb, weil es nicht dem Ideal von Schönheit entspricht, das man sich gebildet hat, dem Elend überlassen? Wo bleibt dann die Liebe? Eben darum ist kein so schweres Gewicht zu legen auf den Umstand, daß das Kind gebildete Eltern gehabt habe, das heißt Eltern, die den höheren Gesellschaftskreisen angehört haben. Es ist keineswegs immer in solchen Kreisen die beste Erziehung oder sagen wir besser Gewöhnung, dagegen steckt in Kindern armer Eltern, aus sogenanntem niederen Stande häufig eine solche Fülle geistiger Kraft, daß es blos der Liebe bedarf, um diese zur schönsten Blüthe sich entfalten zu lassen.

Diejenigen unserer Leser, welche sich für die Waisensache interessiren, werden gewiß gern einen Einblick in die Technik der Versorgung armer Waisen thun wollen, deshalb müssen wir schließlich, dem hier Dargelegten noch einige Zeilen hierüber anfügen.

Wer Waisen kennt, die in Gefahr stehen, körperlich, geistig oder sittlich zu verkümmern oder zu Grunde zu gehen, kann sich um Versorgung derselben an uns wenden. Hierauf erhält der Antragsteller einen Fragebogen unter Kreuzband und ist der Fragebogen ganz genau ausgefüllt mit thunlichster Beschleunigung an den unterzeichneten Vertrauensmann zurückzusenden. Er dient dazu, ein verhältnißmäßig klares Bild über die zu versorgenden Waisen zu erlangen. Deshalb ist unbedingt nöthig, daß die größte Offenheit, Treue und Genauigkeit bei Ausfüllung des Fragebogens waltet. Wir müssen eben, sollen wir etwas thun können, reinen Wein eingeschenkt erhalten. Wünschenswerth ist, wenn irgend möglich, die Uebersendung der Photographie jedes einzelnen Kindes. Daß alle Nachrichten nach allen Seiten hin discret behandelt werden, liegt auf der Hand und braucht nicht erst versichert zu werden.

Auf Grund des ausgefüllten Fragebogens, der bezüglichen Briefe und der Photographien machen wir nun den Eltern, die sich an uns um Ueberlassung einer anzunehmenden Waise gewandt haben, unsere Vorschläge. Ehe jedoch dies geschieht, werden eingehende Erkundigungen auch über diese Eltern eingezogen, da es wahrlich keine kleine Sache ist, über das Schicksal eines Kindes zu verfügen. Ist die Ueberzeugung gewonnen worden, daß der nachsuchenden Familie ein Kind zu Nutz und Frommen beider Theile anvertraut werden kann, so wird der Vorschlag gemacht, und wird dieser acceptirt, so ist dem Kinde und den Eltern geholfen.

Schwer herein     Bunt von Farben,   Und das junge Volk
Schwankt der Wagen,   Auf den Garben     der Schnitter
Kornbeladen;    0Liegt der Kranz,   Fliegt zum Tanz. 0

Aus dem Prachtwerke: „Das Lied von der Glocke“ von Friedrich von Schiller.
Illustrirt von Alex. von Liezen Mayer, mit Ornamenten von Ludw. von Kramer.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_768.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2023)