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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

mit denen sie erzielt wurde, schwerer und bedeutsamer in’s Gewicht, als an irgend einer andern Stelle, über welcher das Unionsbanner weht, oder der Welt überhaupt. In dieser dem Boden einer Wüstenei abgerungenen Garten- und Ackerwelt ist der große versöhnende Zug und das dauernde Verdienst des Mormonenthums zu erblicken. Sie zeigt daher auch keine Spuren des Verfalls, wie sie von keinem Wechsel, der von außen kommen mag, bedroht ist. Und wie sie die eigentlichste Schöpfung Brigham Young’s ist, der den umliegenden Hochalpen des Wahsatch-Gebirges ihre Quellen zur Befruchtung seines ländlichen Königreichs nahm, so sichert sie in ihrer Dauerbarkeit auch ihrem Schöpfer, weit über seinen pontificalen Humbug, den Vielweiberei-Unfug und die mannigfachen autokratischen Gewaltthaten, welche vor der Hand noch das Bild dieser machtvollen Persönlichkeit entstellen, einen dauernden Platz in der Geschichte der Volksführer und Ländergründer.

Wie es zu Lebzeiten Brigham Young’s das selbstverständliche Verlangen jedes Besuchers des mormonischen Roms war, den Papst dieses Roms von Angesicht zu Angesicht zu schauen, so wird es jetzt kaum ein Fremder unterlassen, wenigstens das Grab des todten Propheten aufzusuchen. Es liegt im Norden der Stadt auf der von dem einstigen Young’schen Privatbesitz an Häusern und Grundstücken bedeckten Erhebung, zu der ihr Weichbild hier ansteigt. Im Osten ragt die Wahsatch-Kette, die hier den westlichsten Zug der Rocky-Mountains bildet, in gewaltiger Nacktheit empor. Gen Westen dehnt sich das Hochthal des Salzsees mit dem weiten Spiegel des nicht nur jenseits wieder von blauen Bergketten eingefaßten, sondern selbst von langgestreckten Felseneilanden durchsetzten Sees dahin. Nach Süden aber, unmittelbar zu Füßen des Prophetengrabes, breitet sich die jetzt über 25,000 Einwohner zählende Stadt, mit ihren rechtwinkeligen Straßen, ihren in Obstgärten verborgenen Häusern, ihrem Tempeltorso, ihren Tabernakeln und seltsam barocken öffentlichen Gebäuden aus. Es ist ein schöner, über eine ansehnliche Rundschau gebietender Platz, den sich der „Seher“ einst selbst für sich und seine Familie zur letzten Ruhestätte erwählt. Wer jedoch daselbst ein Mausoleum, oder sonst einen prächtigen, oder selbst nur würdigen Gruftbau zu finden erwartet, wird schwer und peinlich enttäuscht. Das Gefühl für Schönheit, ja nur für geziemende äußere Würde, war diesem priesterlichen Machthaber und Bauernbeherrscher ebenso wenig gegeben, wie er eine Entwickelung desselben in seinem Volk gestattete.

Ein von vier Fuß hoher Mauer umgebenes, zwei Acres großes Geviert, in dessen einer Ecke wieder ein kleineres ummauertes Quadrat von dem übrigen eher einer alten Bau- und Schuttstatt als einem Begräbnißplatz gleichenden Raum abgetrennt ist – das ist das Grab des Propheten. In dem großen Vorderraume empfängt man sogar den Eindruck der verletzendsten, brutalsten Verwahrlosung. Von Unkraut überwachsen, erheben sich an ein paar Stellen desselben unregelmäßige Kies- und Schotteranhäufungen, die eher einem Schindanger zur charakteristischen Zierde gereichen würden, und von denen man, nicht ohne von einem Schauder überrieselt zu werden, erfährt, daß darunter verschiedene – Frauen und Kinder des Propheten eingescharrt sind. Selbst das von der Straße in diesen wunderlichen Familienfriedhof führende rohe Holzthor liegt aus den Angeln gebrochen quer über dem Eingang. Tröstlicher Weise ist das einstige Haupt dieser todten Hausgemeinde von seinen Hinterbliebenen um ein Beträchtliches respectvoller behandelt worden, als er mit seinen ihm im Tode vorangegangenen Angehörigen verfahren ist. Das separate, etwa hundert Fuß im Geviert messende Mauerviereck, in dessen südöstlicher Ecke er bestattet worden, ist mit Asphaltgängen und einem unter steter Bewässerung schön grün erhaltenen Rasen ausgestattet. Das Grab selbst aber besteht aus einer kolossalen Granitplatte, die so dick und schwer ist, daß sie ihrerzeit von dreißig Maulthieren hierher geschleift werden mußte. Ein ungeschlachtes, hohes Eisengitter umgiebt sie. Daneben, ohne Einfassung und nur von einem nackten Erdhügel bedeckt, befindet sich die letzte Ruhestatt der ersten und somit nach der neuesten Mormonengesetzgebung der Unionsregierung einzig legitimen Gattin des Propheten, Mary Angel Young. Das ist die einzige unmittelbare Geleitschaft, in welcher der Mann von zweiundzwanzig Frauen und achtundsechszig ehelichen Sprößlingen hier im Tode ruht! Wohl ihm, daß man einen so wuchtigen Stein über seinen Sarg gebreitet! Könnte er ihm entsteigen und sehen, wie er im Tode wieder zum Eheherrn eines einzigen Weibes degradirt worden, seine Ruhe würde für immer dahin sein!




Die Braut in Trauer.

Erzählung von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)

Daß Helene Walter sofort spreche, wollte Onkel Grün durchaus nicht zulassen. Es kam ihm offenbar darauf an, seinen Sohn erst mit dem bekannt zu machen, was inzwischen geschehen war. Nach mehreren Minuten erst kam er zurück, und Walter folgte ihm. „Du hast mich zu sprechen gewünscht, Helene,“ sagte er, „hier bin ich.“

„Ungern genug,“ fügte sie im Tone zwischen Ernst und Scherz hinzu.

„Wie Du willst,“ meinte er, „es kümmert Dich ja nicht.“

Sie musterte ihn einen Moment mit ihren vor innerer Aufregung fieberhaft glänzenden Augen und ließ ihr Blitzfeuer auf ihn sprühen. Sie schien zu denken: warte, es trifft Dich doch, was ich im Rückhalte habe – es soll treffen! „Du hast mir neulich etwas voreilig gratulirt, Vetter,“ begann sie dann, leise einsetzend, aber von Wort zu Wort die Stimme hebend. „Jetzt könnte dazu allerdings Gelegenheit werden. Herr Regierungsrath von Brendeln hat heute feierlich um meine Hand angehalten.“

Sie faßte, während sie diese Worte sprach, Walter fest in’s Auge, als wolle sie sich nicht das leiseste Zucken der Lippen entgehen lassen. Wie sehr er sich auch zu beherrschen vermochte, eine plötzlich auffliegende, über Wangen und Stirn hinspringende Röthe verrieth die Wirkung auf sein Gemüth. Es klang recht gezwungen, als er dann sagte: „Das ist ja sehr erfreulich … Also doch!“

„Ich habe mich noch nicht erklärt,“ bemerkte Helene, wieder einen forschenden Blick auf ihn werfend.

„Aber Du wirst Dich erklären,“ entgegnete der Doctor. „Ich denke, Du bist mit Dir längst einig.“

„Meinst Du?“ fragte sie rasch und herausfordernd.

„Ich nehme dies nach Deinem ganzen Verhalten an,“ bestätigte er sehr kühl.

„So! Und wenn …“

„Nun –?“

„Mitunter trügt der Schein.“

„Den unbefangenen Beobachter selten.“

„Und für den soll ich Dich wirklich halten?“

„Ich bitte darum.“

„Du kannst Herrn von Brendeln nicht leiden, denke ich.“

„Ah –! Erlasse mir jede Meinungsäußerung über einen Mann, der wahrscheinlich morgen schon das Recht hat, sich Deinen – Bräutigam zu nennen.“

Sie preßte die Lippen auf einander. „Meinen – Bräutigam! Und das sagst Du so …“ Der kleine Fuß trat fest mit der Spitze auf.

„Du bist sehr sonderbar, Helene. Erwartest Du vielleicht, daß ich Dir zurede, den Herrn Assessor mit Deiner Hand zu beglücken?“

Sie lachte kurz auf und wendete sich in demselben Momente auch ab, um die Thränen zu verbergen, die ihr in die Augen schossen. „Das wäre in der That die Krone Deiner Liebenswürdigkeit,“ spottete sie, sich zu einem festen Tone zwingend.

„Wenn Du aber vor einem solchen Entschlusse stehst, Lenchen,“ meinte der Onkel, dem dieses Gespräch augenscheinlich die schwerste Pein verursachte, „so begreife ich doch nicht, warum Du Dich vor einer Stunde so beeilt hast …“

Er meinte: auf ein Erbe zu verzichten, das für eine gute Mitgift gelten könne. Aber ehe er noch ausgesprochen hatte, begriff er dies ganz gut, pausirte deshalb ein wenig und schloß mit einem sehr bezeichnenden: „Ja so –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_763.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)