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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

flüchtig das Glas hinzuhalten, und die Frau Consul neben dem jungen Ehemanne sah plötzlich so finster aus, daß ein Vorbeigehen mit dem Schwarme gerathen schien. „Mögt Ihr Euch von mir nicht Glück wünschen lassen,“ dachte Helene bei sich, „ich dränge mich Keinem auf; meine Gesinnungen für Euch bleiben doch dieselben.“

Der Assessor versäumte nicht, seinen Weg so zu nehmen, daß er ihr begegnen mußte. Er hatte dem Champagner schon munter zugesprochen und sah sehr erhitzt aus, was ihn nicht gerade verschönte. Er stieß so kräftig an, daß der Rand des feinen Glases spitterte und ein Theil des Weines auf den Boden floß. Er schlürfte schnell den Rest aus und sagte: „Das hat die beste Vorbedeutung – es bleibt bei Ihrem Wohle.“

Sie lächelte. „Das Geschick hat’s versehen: die Scherben hätten in meiner Hand bleiben müssen.“

Er sich sie forschend an. „Wozu so melancholische Gedanken, bestes Fräulein? Ihre Tischnachbarn scheinen übermäßig langweilig gewesen zu sein. Ah! ich habe vor Aerger schon mehr Wein getrunken, als mir zuträglich ist. Welche Abscheulichkeit des verehrten Tafelordners – wahrscheinlich Osterfeld – uns förmlich wie Gegenfüßler zu behandeln!“

Helene winkte einem der Diener. „Für den Herrn Assessor ein anderes Glas,“ dann ging sie weiter nach ihrem Platze.

Noch vor Beendigung des Hochzeitsmahls sollte das junge Paar nach dem Bahnhofe in aller Stille abfahren. Vera entfernte sich schon früh der Reisetoilette wegen. Ihre Mutter und Schwester folgten ihr. So waren denn in der Nähe des Hauptmanns an der Tafel Lücken entstanden, die nun abwechselnd von guten Freunden ausgefüllt wurden, denen es noch um ein Wort des Abschieds und einen Glückwunsch auf die Reise zu thun war. So fand sich denn auch Vetter von Brendeln bei ihm ein. Er rückte den Stuhl auf dem die Frau Consul gesessen hatte, halb herum, sodaß er ihm frei das Gesicht zukehren konnte, klopfte ihm auf die Schulter und fragte: „Bei besserer Stimmung jetzt, Freundchen? Bald erlöst von allen Bräutigamsqualen.“

Der Hauptmann ließ das silberne Messer auf dem Tellerrande balanciren. Es glitt immer ab. „So ganz stimmts nicht,“ antwortete er nach einigem Bedenken.

„Ganz stimmt’s nie,“ meinte der Assessor. „Aber im Besonderen, Vetterchen, wo fehlt’s Dir? Du hast doch gebeichtet?“

Herr von Gräwenstein nickte. „Ja – nach der Rückkehr vom Standesamte.“

„Natürlich erst, nachdem die Sache fest war, und eine Stunde vor der lustigen Hochzeitstafel, die bis zum gerührten Abschiede den üblen Eindruck wieder verwaschen konnte. Nun –?“

„Ich bat die Mama um eine Unterredung unter vier Augen. Wie sie mich dabei ansah! Als ob sie tausend Augen zu haben wünschte, mich gleich durch und durch zu sehen. Eine fatale Situation das, sage ich Dir. Habe in dichtem Kugelregen gestanden – ist aber nichts dagegen. Diese Leute in sogenannten geordneten Verhältnissen vermögen sich gar keine Vorstellung davon zu machen, daß ein armer Teufel von Officier ohne einen Haufen Schulden gar nicht anständig existiren kann. Nun mach’s ihnen mal klar! Die Moral spielt da immer gleich mit; aus dem armen Teufel wird ein armer Sünder, er weiß selbst nicht wie. Eine fatale Situation!“

„Pah! Du hast sie doch hinter Dir.“

„Wie man’s nehmen will. Ich habe gebeichtet, wie Du’s nennst, Aber – nicht vollständig; aufrichtig gesagt, kaum die Hälfte meiner … ich hätte wirklich bald Sünden gesagt.“

„Aber das war – verzeihe mir, Vetter – eine kolossale Dummheit.“

„Der Schreck war schon so groß genug. Ah! Man kommt sich so erbärmlich vor …“

„Aber der Zweck, reinen Tisch zu schaffen, ist verfehlt. Es wäre in Einem hin gewesen. Halb ist fast so schlimm als gar nicht. Was soll nun geschehen?“

„Du mußt mit den schwierigsten Kunden verhandeln. Versuch, was Du willst. Sie müssen sich hinhalten lassen, bis wenigstens der erste Zeuge da ist; der Appell an das Großmutterherz ist weniger peinlich.“

„Und inzwischen meinst Du –“

„Die Karten rühre ich nicht mehr an – wahrhaftig nicht. Inzwischen kann sich auch noch dies oder das ereignen. Wenn Dir’s glücken sollte … auf Deine Freundschaft kann ich ja rechnen.“

Herr von Brendeln nickte, antwortete aber nicht.

„Uebrigens,“ fuhr der Hauptmann fort, „hätte ich’s sicher viel leichter gehabt, wenn die Mama nicht so arg verstimmt gewesen wäre. Helenens wegen. Du hast da ein nettes Unheil angerichtet, und Deine Schwester secundirt nach Kräften. Euch gaben sie die Hauptschuld an ihrer auffälligen Sinnesänderung, und doch wohl mit Recht. Das arme Kind wird’s auszubaden haben. Man darf kein leises Wörtchen zu ihrer Entschuldigung sagen, gleich ist man ein herzloser Mensch. Das Hochzeitsfest sollte nur nicht gestört werden; aber ich bin überzeugt, morgen bricht das Gewitter von allen Seiten los.“

„Gut! So werde ich mich als Blitzableiter hinstellen.“

„Das bist Du dem Mädchen schuldig.“

„Es giebt keine angenehmere Pflicht,“ sagte der Assessor lachend und stand auf.

Eben trat der Diener der gnädigen Frau an den Hauptmann heran und sagte ihm etwas in’s Ohr. „Gleich,“ rief derselbe. Er erhob sich, drückte seinem Vetter die Hand und verließ den Saal.

Die Gesellschaft hatte indessen fast allgemein Platz gewechselt. Helene war von Fräulein Aurelie in Beschlag genommen. Zu beiden gesellte sich nun noch der Assessor. Nach einer Weile kehrte Frau Osterfeld zur Tafel zurück und entschuldigte ihre Mutter: der Abschied habe sie zu sehr angegriffen. Osterfeld bat zum Kaffee in den Garten. Gruppenweise zogen die Gäste dahin ab, sich in der frischen Luft zu erquicken. Helene vermied es, mit Herrn von Brendeln allein zu bleiben, wozu Aurelie ihrem Bruder gern geholfen hätte. Von Minute zu Minute fühlte sie sich trüber gestimmt unter all den vom Festjubel und Weingenuß erregten Gästen. Sie gefiel sich gar nicht mehr in ihrem weißen Kleide. Und es beunruhigte sie auch, wie Herr von Brendeln sie mit erhitzten Augen ansah und ihr Worte zuflüsterte, die fast schon ein geheimes Einverständniß voraussetzten. Sobald es anging, verließ sie die Gesellschaft ganz, indem sie sich auf starkes Kopfweh berief.

Das Gewitter zog noch schneller auf, als Herr van Gräwenstein vorausgesagt hatte. Bald nach acht Uhr wurde das Haus still, das Dienstpersonal blieb noch eine Stunde mit dem Abräumen beschäftigt, wozu die Frau Consul als gute Wirthin sich wieder einfand. Das junge Ehepaar war entlassen, das Fest beendet – sie empfand nicht das Bedürfniß, eine gehobene Stimmung sanft und langsam ausklingen zu lassen; im Gegentheil schien es ihr lieb eine Beschäftigung zu finden, die sie schnell ablenken mußte. So war sie denn mit ganzer Aufmerksamkeit dabei, als ihr das Silberzeug vorgezählt und jedes zerbrochene Glas nachgewiesen wurde. Auch die Rothweinflecken auf den feinen Tischtüchern entgingen ihrem Blick nicht.

Osterfeld revidirte inzwischen den Weinbestand; dann begab er sich in’s Contor, die eingegangenen Briefe durchzusehen und das Wichtigste noch vor Nacht abzufertigen. Dorthin folgte ihm die Schwiegermama. Sie konnte nicht rasch genug sein geschäftskundiges Gutachten in Betreff der ärgerlichen Enthüllungen des Hauptmanns einholen. Osterfeld überbot sich in scharfen Ausdrücken über sein leichtsinniges Verfahren. „Und wer weiß, was noch nachkommt!“ Einen solchen Argwohn wehrte sie mit Entschiedenheit ab. Gräwenstein war nun doch ihrer Vera Ehegatte: die Verstimmung gegen ihn durfte nicht Bestand haben. Irgend ein Ableiter war erwünscht, und da bot sich Helene ganz von selbst. Bei Gräwenstein handelte es sich nur um eine verdrießliche Geldangelegenheit. Aber Helene –!

Es war noch nicht zu spät, sie gleich jetzt noch in’s Gebet zu nehmen. Der Leuchtschein aus ihrem Fenster erhellte das Laub der Linden, die dicht am Hause standen, und bewies, daß sie noch auf war. So erschreckte sie denn Helene, die halb ausgekleidet auf dem Sopha lag und mit wachen Augen die Ereignisse der letzten Tage durchträumte, durch ihren Besuch. Die steife Haltung und der starre Zug in dem sonst so freundlichen Gesicht verkündeten im Voraus nichts Gutes. Die Robe, die über eine Stuhllehne geworfen war, gab denn auch sofort den gesuchten Anlaß zur Scheltrede. Und diesmal bemühte die Frau Consul sich nicht einmal, würdevolle Ruhe zu behaupten. Das Abscheuliche war ja bereits geschehen; es galt nur noch, der Entrüstung darüber den schneidigsten Ausdruck zu geben.

Sie ließ Helene gar nicht zu Wort kommen. Der ganze lang verhaltene Groll entlud sich in den heftigsten Beschuldigungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_728.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2023)