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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

aus welchen für solchen Zweck zu schöpfen ist, stehen in staunenswerther Mannigfaltigkeit Jedermann zu Gebote. Eine stattliche Reihe von Namen der Schriftsteller haben wir vor uns, welche darin wetteifern, die Vogelliebhaberei nach allen Seiten hin zu fördern, ihre Anleitung und Rathschläge für alle möglichen Fälle zu gewähren. Jede Buchhandlung legt auf das Bereitwilligste eine reiche Auswahl an entsprechenden Büchern dem Suchenden vor.[1]

Alle Stubenvögel, und zwar ebenso einheimische wie fremdländische, müssen vor einigen üblen Einflüssen sorgsam bewahrt werden, weil dieselben ihnen nur zu leicht Verderben bringen, und zwar sind dies: Zugluft, plötzliche und starke Wärmeschwankungen, Naßkälte, verdorbene mit Dunst oder Qualm erfüllte Luft und Unreinlichkeit. Beim Reinmachen der Zimmer des Morgens droht allen Stubenvögeln, vornehmlich den zarteren, Gefahr, ohne daß die liebevollen Pflegerinnen daran denken. Das Aufrühren des Staubes, das Wischen und Waschen, plötzliches Oeffnen der Fenster verursacht schon bei Menschen Unbehagen, Schauer, Erkältung, Schnupfen etc., und erklärlicher Weise leiden die Tropenvögel erst recht darunter. Man sollte daher alle Sing- und Schmuckvögel, auch die einheimischen, während dessen stets in einen anderen Raum bringen oder doch durch eine dichte Decke sorgfältig schützen.

Der tausendjährige Rosenstock am Dom zu Hildesheim.
Nach der Natur gezeichnet von Robert Geißler.

Im Uebrigen hat die Erfahrung längst ergeben, daß alle unsere gefiederten Stubengenossen keineswegs so sehr hinfällig sind, als man anzunehmen pflegt; bei verständiger Pflege erhalten sich selbst die kleinen Prachtfinken von Afrika, Asien und Australien zehn Jahre und weit darüber hinaus vortrefflich im Käfige, die meisten Papageien sind sehr ausdauernd und einige erreichen bekanntlich ein staunenswerth hohes Alter, selbst bei den für äußerst zart und weichlich angesehenen Arten hat in letzterer Zeit verständnißvolle Pflege das Ergebniß gezeigt, daß sie durchaus nicht so hinfällig sind, wenn sie gesund und lebensfähig zu uns gelangen.

Wenn Jemand bei der Lotterie einer Vogelausstellung einen Gewinn gemacht oder, plötzlicher Eingebung folgend, sich in den Besitz eines Vogels gesetzt hat, welchen er gar nicht kennt, so muß es ihm zunächst darauf ankommen, den Namen des Pfleglings zu erfahren und sich über dessen Bedürfnisse zu belehren. Da giebt dem Neuling in der Liebhaberei entweder der Vorstand des betreffenden Vereins oder ein älterer Liebhaber mit Vergnügen Auskunft. Vor allem ist es nothwendig zu wissen, ob der Vogel ein Hartfutter-, also Samenfresser oder ein Weichfutterfresser sei. Im ersteren Fall ist die Verpflegung überaus einfach, denn die bei den Lotterien der Ausstellungen in der größten Anzahl abgegebenen sogenannten kleinen Exoten, also Prachtfinken, Widafinken und Webervögel, bedürfen zur Fütterung zunächst nur weißer, ungeschälter Hirse, Kanarien- oder Spitzsamen nebst gelegentlicher Zugabe von etwas frischen Ameisenpuppen oder sogenanntem Weichfuttergemisch aus getrockneten Ameisenpuppen und geriebenen Möhren oder Gelbrüben nebst Eierbrod und einigen Mehlwürmern. Dabei kann man sie jahrein und -aus erhalten, und nur wenn man sie züchten will, spendet man mehr von den letzterwähnten Zugaben, auch eingequellte Sämereien, Eierbrod, Grünkraut und, so viel wie man beschaffen kann, Gräsersamen von den Fluren in frischen Rispen. Den aus Ostindien herstammenden Arten, namentlich den kostbaren Papagei-Amandinen, muß man auch immer unenthülsten Reis, sogenannten Paddy, anbieten.

Die größeren Körnerfresser, wie rothe und graue Cardinäle etc., bekommen noch etwas Hanfsamen und beständig Mehlwürmer und Weichfutter dazu. Auch bei ihrer Züchtung füttert man wie bei der aller vorigen und giebt ihnen anstatt der Gräserrispen vornehmlich Hafer in frischen Aehren mit noch nicht vollreifen Körnern.

Gewöhnlich bilden weiter eine Hauptzahl der Gewinne bei jeder Vogellotterie auch kleine Papageien, so vor allen Wellensittiche und Zwergpapageien von einigen Arten. Sie werden mit Hirse, Kanariensamen und Hafer gefüttert und erhalten als Zugabe beim Nisten dieselben Sämereien eingequellt, sowie in Rispen, auch Gräsersamen, etwas Grünkraut und das Weichfuttergemisch mit etwas

  1. Es sei uns gestattet, bei dieser Gelegenheit auf die Werke des Verfassers, Dr. Karl Ruß, „Die fremdländischen Stubenvögel“, „Handbuch für Vogelliebhaber“, „Die sprechenden Papageien“, „Die Prachtfinken“, „Der Wellensittich“, „Der Kanarienvogel“ und „Bilder aus der Vogelstube“ hinzuweisen. Der „Kanarienvogel“ ist bereits in der vierten Auflage erschienen, beide Theile des „Handbuches“ in der zweiten Auflage, und das letztere sowie „Die sprechenden Papageien“ sind mehrfach in andere Sprachen übersetzt. Selbstverständlich müssen wir aber auch die Werke von Bechstein, Lenz, Brehm, Gebrüder Müller, Friderich, Martin u. a. m. als vorzügliche Belehrungsquellen bezeichnen, namentlich soweit dieselben kürzlich neue Bearbeitungen gefunden haben und den Ergebnissen, welche eifrige Vogelpflege und -Züchtung in der letzten Zeit gebracht, Rechnung tragen. Das hervorragendste unter allen Werken über einheimische Vögel, welches trotz seines Alters doch vollen Werth dauernd behält, Naumann’s „Naturgeschichte“, steht leider so hoch im Preise, daß es nur wenige wohlhabende Liebhaber zu benutzen vermögen. Vor den kleinen Machwerken, welche seit Kurzem förmlich wie Pilze hervorschießen und die meistens kenntniß- und verständnißlos aus den Schriften der genannten Autoren abgeschrieben sind, müssen wir warnen. D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_700.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2023)