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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Bünde verschmolzen später in drei große Bünde, und diese verbanden sich etwa im Jahre 1470 zu dem gemeinsamen Staate der „ewigen drei Bünde in Rhätien“, welcher 1803 als Canton Graubünden der schweizerischen Eidgenossenschaft beitrat.

Aber vom allgemein geschichtlichen Standpunkte und gewissermaßen allegorisch aufgefaßt, predigt uns die gewaltige Composition Stückelberg’s in beredter Sprache eine nicht abzuleugnende und wahre Thatsache.

Der an Gewaltstreiche gewöhnte Ritter ist der Vertreter des Mittelalters und steht hier dem für Rechte und Sicherheit zusammenhaltenden Landvolke gegenüber. Ihn und mit ihm gleichsam das Mittelalter läßt der Künstler durch ihre eigene Schuld auf großartige Weise untergehen, während das Volk sich selbst zu helfen weiß und durch sein Zusammenhalten und seine Bündnisse einer neuen, geregelten Staatsordnung entgegengeht.

St. v. J.




Das Thermometer in der Familie.

Offener Brief an eine Mutter.

Täuscht mich mein Gedächtniß nicht, sehr geehrte Frau, so kamen Sie, als ich Ihr Kind vor etwa acht Tagen zum ersten Male einer plötzlichen fieberhaften Erkrankung wegen besuchte, mir mit den besorgten Worten entgegen: ‚Ich glaube, meine Kleine hat Fieber!‘ Und als ich, leider im Augenblicke kein Krankenthermometer bei mir führend, Sie fragte, ob Sie nicht im Besitze eines solchen seien, äußerten Sie: ‚Das kenne ich gar nicht; aber ich habe ein Badethermometer!‘ – Außer demselben brachten Sie, mit zitternder Hand, von Ihrem Schreibtisch noch ein aus einem kleinen Marmor-Obelisken befestigtes elegantes Stubenthermometer herbei. Beides konnte ich, zu Ihrem Befremden, für diesen Zweck nicht brauchen, allein nach annähernder Taxation des Fiebers und unter Berücksichtigung der übrigen Krankheitssymptome ließ sich immerhin eine treffende Diagnose stellen, und ich ordnete alles Nöthige an. Dabei sprach ich den Wunsch aus, Sie möchten sich ein gutes Krankenthermnometer anschaffen, nannte Ihnen die Bezugsguelle und erkärte mich bereit, Sie im Gebrauche des Instrumentes zu unterwerfen.

Wie Sie mir gegen Abend bereits das Thermometer zurecht gelegt hatten, mit Gelehrigkeit und Eifer meiner kurzen Erkärung lauschten und die Anwendung, sowie das Ablesen der Temperatur verfolgten, wie geschickt und genau Sie es dann zu den Ihnen angegebenen Stunden selbst wiederholten und den Befund notirten – mit Vergnügen erinnere ich mich, trotzdem es für Sie recht schwere Stunden am Krankenbette des eigenen Kindes waren, Ihrer Lehrzeit. Von Tag zu Tag wuchs Ihre Sicherheit. Klar entrollte sich Ihnen das Bild der allerdings ernsten Erkrankung; mit dem Gange der Fiedercurve schwanke zwar auch Ihr Herz mit zwischen Furcht und Hoffen, aber beides war nicht übertrieben, sondern durch die Erkenntniß in maßvollen Schranken gehalten. Es war an Stelle unbestimmter, in Extremen sich bewegender Gefühle die bestimmte ernste Ruhe der Beobachtung jeder Nüance des Krankheitsverlaufs, gewissermaßen das Verständnis für Ihre Aufgabe am Bettchen der kleinen Tochter gekommen. Wenn ich an die Pünktlichkeit denke, mit der Sie zur rechten Zeit, bei richtiger Fieberhöhe das abkühlende Bad genau nach Vorschrift bereiteten, wie sich an dies Verfolgen des Fiebers zugleich eine erhöhte Genauigkeit in Beachtung sonstiger Krankheitszeichen, ein richtiges Handhaben der Diät und Pflege schloß – sagte ich mir: Jede Mutter ist doch, von Haus aus, das Muster einer Krankenpflegerin! Und als Sie mir zum ersten Mal freudestrahlend mit der stark herabgegangenen Temperaturcurve entgegenkamen (denn auch solche zu zeichnen hatten Sie rasch begriffen und Ihre Zeichenmappe längst bei Seite gelegt, um nur diese ernsten bedeutungsvollen Linien mit geübter Hand zu Papier zu bringen), da wußte ich, daß Sie für die Thermometrie gewonnen waren. ‚Dies war die Krisis! Nicht wahr?‘ flüsterten Sie an jenem Morgen und suchten in meinen Augen die Antwort zu lesen. Ich vertröstete Sie auf den Abend; und als dieser nur geringe Steigerung brachte, auch am andern Morgen die Temperatur mäßig blieb, während zugleich die kleine Patientin überhaupt offenbar wohler sich befand, waren Sie über Ihre neugewonnenen Kenntnisse der Krankenbeobachtung und der Krankenpflege seelenvergnügt, ja Sie wären am liebsten gleich selbst als Apostel dafür aufgetreten.

‚Wenn Sie mir für meine entfernt wohnende Schwester eine kurze Schilderung dessen geben könnten, was Sie mich persönlich gelehrt haben, ich wäre Ihnen ungemein dankbar. Sie hat ebenfalls keine Kinder und von allen diesen so wichtigen Dingen so wenig Ahnung, wie ich sie hatte.‘

Ihre Schwester, sehr geehrte Frau? Sagen Sie lieber Ihre Schwestern, das heißt die meisten Frauen und Jungfrauen sind in gleicher Lage wie Sie.

‚Um so segensreicher würde hier eine Belehrung sein.‘

Sie haben Recht und im kleinen Kreise suche ich täglich die Kenntniß der Thermometrie zu verbreiten, wodurch ich schon manchen Nutzen gestiftet zu haben glaube. Jedoch über diesen Kreis hinaus reicht mein Wort nicht.

‚Aber das geschriebene Wort, von einem Weltblatte verbreitet über die fernsten Lande, bei Arm und Reich, zumal in das Haus, in die Familie getragen!‘

Diesen Einwurf mußte ich gelten lassen, und ich versprach Ihnen einen offenen Brief über die Bedeutung des Thermometers in der Familie.

Sie sehen, daß ich mein Versprechen nicht vergessen habe. In der Sommerfrische, fern von meiner Wirkungsstätte, greife ich zur Feder und sende eine Art „Weltpostbrief“, dessen Entstehung Sie am besten kennen, heim; dort wird er in der Presse seine Auferstehung feiern, und das geflügelte Rad wird dann das Weitere übernehmen. Von den Kinderstuben unserer Heimath bis nach denen der andern Halbkugel unserer Erde ist freilich ein weiter Weg, und verschieden sind die nationalen und geographischen Verhältnisse, Klima und Sitte, Lebensweise und Comfort. Aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_654.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2024)