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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Flaschenventils soviel Kohlensäure einströmen läßt, bis ein am Manometer ablesbarer Druck von ein bis zwei Atmosphären im Windkessel erreicht ist. Hierauf schließt man zunächst das Ventil der Flasche, dann die beiden des Windkessels und öffnet dasjenige, aus welchem das gespannte Kohlensäuregas durch Röhren in die Fässer eintritt, aus denen das Bier emporgedrückt werden soll. Das einzige Bedenken, welches man gegen die in Rede stehende Vorrichtung geltend machen könnte, knüpft sich an die möglichen Gefahren, welche durch den beträchtlichen Druck in den Aufbewahrungsflaschen entstehen könnten. Dieselben sind aus starken schmiedeeisernen Röhren hergestellt, an deren beiden Enden dicke, sich nach innen conisch erweiternde Böden eingeschweißt sind, während die Anschlußöffnungen durch eine doppelte schmiedeeiserne Schraubenkappe verwahrt werden.

Diese Flaschen werden unter amtlicher Controlle einem Probedruck von 250 Atmosphären unterworfen, während der völlig ruhige und gleichmäßige Druck der Kohlensäure in denselben selbst bei einer Erwärmung bis auf 30 Grad nur auf 74 Atmosphären steigen würde. Aus diesen Gründen haben denn auch sowohl das Berliner Polizeipräsidium als das Reichseisenbahnamt die Gefahr eines Zerspringens der Flaschen für so völlig abgeschlossen erachtet, daß ersteres die Anbringung der Apparate anstandslos gestattet, und das letztere die Versendung der gefüllten Flaschen mit allen Zügen zuläßt. Beim Gebrauche kann schon deshalb keine Gefahr entstehen, weil der Handgriff, welcher den Windkessel an die Flasche anschließt, zugleich das Sicherheitsventil des ersteren öffnet. Auf dem im Juni dieses Jahres abgehaltenen deutschen Gastwirthtage wurden denn auch die vielseitigen Vorzüge des Verfahrens für Wirth und Publicum durch eine Prämiirung anerkannt.

Die durch diese bereits sehr ausgedehnte Verwendung hervorgerufene fabrikmäßige Darstellung einer chemisch reinen, flüssigen Kohlensäure zu ermäßigten Preisen hat alsbald zu dem Versuche geführt, dieselbe auch zur Herstellung der kohlensauren Wässer (künstliches Selter- und Sodawasser), sowie anderer moussirender Getränke zu benützen, und in dieser Richtung hat besonders der Apotheker Volk in Ratzeburg eingehende und mit dem besten Erfolge gekrönte Versuche angestellt. Bisher bereiteten die Mineralwasserfabrikanten die Kohlensäure selbst, indem sie dieselbe aus ihren mineralischen Verbindungen (Kreide, Magnesit etc.) durch Salzsäure oder Schwefelsäure austrieben, wobei aber, falls nicht eine sorgfältige Waschung des Gases stattfindet, leicht übelriechende und saure Bestandteile in das Mineralwasser gelangen und dessen Güte stark beeinträchtigen. Es ist dies der Grund, weshalb die Mineralwässer kleinerer Fabriken, deren Apparate entweder unvollkommen sind oder schlecht bedient werden, so häufig den Anforderungen des Wohlgeschmackes und der Zuträglichkeit nicht entsprechen.

Die Benutzung der chemisch reinen flüssigen Kohlensäure zur Mineralwassersfabrikation vereinfacht nicht nur die zur Darstellung der Wässer erforderlichen Vorrichtungen und Methoden erheblich, sondern erlaubt auch - was in heißen Sommern von Wichtigkeit ist - dieselben Mengen eines tadellosen Wassers in viel kürzerer Zeit herzustellen. Hierbei kommt noch, ebenso wie beim Bierausschanke nach dem Systeme Raydt-Kunheim, als begünstigender Umstand in Betracht, daß das durch Verflüchtigung der flüssigen Kohlensäure gewonnene Gas sich außerordentlich kalt erweist und dadurch die Auflösung im Wasser erleichtert, während es dort das Bier kühlen hilft. Natürlich muß bei der Mineralwasserfabrikation ein höherer Druck der Kohlensäure angewendet werden, was man ja völlig in der Hand hat, da die Kohlensäureflaschen schon bei einer Temperatur von 0 Grad einen Druck von 36 Atmosphären zur Verfügung stellen.

Aus letzterem Grunde eignet sich die flüssige Kohlensäure ferner in hohem Grade zum Betriebe von Feuerspritzen, deren Wasserstrahl sie zu jeder erforderlichen Höhe emportreibt. Die Kohlensäureflasche wird dabei unmittelbar neben dem Wasserkessel angebracht, und Major Witte, der Chef der Berliner Feuerwehr, hat eine derartige Kohlensäurefeuerspritze mit ununterbrochenem Betriebe construirt, bei welcher zwei Wasserkessel vorhanden sind, die abwechselnd mit Wasser gefüllt werden, sodaß der Strahl ohne Unterbrechung bald aus dem einen und bald aus dem andern Kessel aufsteigen kann. Es kommt auch hier in Betracht, daß das Wasser stark abgekühlt und mit Kohlensäure imprägnirt wird, was seine feuerlöschende Kraft bedeutend erhöht, wie dies schon aus dem Gebrauche der in allen möglichen Formen hergestellten Feuerlöscher (Extincteure) bekannt ist, deren Nützlichkeit im Wesentlichen auf der feuerlöschenden Kraft des kohlensauren Wassers und Gases beruht. Sobald nämlich der Strahl einer solchen Spritze in einen halb oder ganz abgeschlossenen Raum gelenkt wird, verbreitet das von dem Löschwasser entwickelte kohlensaure Gas die löschende Kraft über den unmittelbaren Wirkungsbereich des Wassers, indem es den erforderlichen Sauerstoff von den brennenden Stoffen abschließt und so das Feuer ersticken hilft.

Dementsprechend haben sich bedeutende Autoritäten auf dem Gebiete des Feuerlöschwesens dahin ausgesprochen, daß viele Theater-, Fabrik- und Schiffsbrände bei rechtzeitiger Anwendung Raydt’scher Kohlensäurespritzen im Keime erstickt werden könnten. Ein nicht gering ausschlagender Vorzug derselben, besonders gegenüber der mächtigen Dampffeuerspritze, die erst geheizt werden muß, besteht in der augenblicklichen Wirkung derselben, die in dem Momente eintritt, in welchem der Hahn der Kohlensäureflasche geöffnet wird. Daher hat auch Branddirector Major Witte in Berlin die bei großen Feuern in Anwendung kommenden Dampffeuerspritzen mit einer Nebeneinrichtung versehen lassen, um während des Kesselanheizens Kohlensäure in den Wasserbehälter eintreten zu lassen, damit die Spritze sofort in Thätigkeit gesetzt werden kann.

Hiermit sind aber die Anwendungen der flüssigen Kohlensäure keineswegs erschöpft. Ein mit ihr gefüllter Behälter läßt sich einem beständig geheizten Dampfkessel vergleichen, mit welchem man Arbeitsmaschinen aller Art, Straßenlocomotiven etc. treiben könnte, wenn nicht hierbei einigermaßen die bedeutende Wärmebindung der verdampfenden Kohlensäure und die Nothwendigkeit, dieselbe aus geschlossenen Räumen hinauszuleiten, hinderlich wären. Einige sehr interessante Anwendungen werden bereits seit einigen Jahren in den Eisenwerken von F. A. Krupp in Essen gemacht. Bei der einen handelt es sich um die Herstellung dichter, von Blasen und verborgenen Hohlräumen durchaus freier Metallgüsse, die dann natürlich ein besonders zuverlässiges Constructionsmaterial darstellen. Bei diesem Verfahren wird die Form unmittelbar nach dem Gießen luftdicht verschlossen und in dieselbe oberhalb des Metalls Kohlensäuregas von hoher Dampfspannung, die durch Erwärmen des Behälters mit der flüssigen Kohlensäure im Wasserbade noch erhöht werden kann, eingelassen, bis der Guß soweit erkaltet ist, daß keine Neigung zur Bildung von Hohlräumen mehr vorhanden ist. Von allen bisher angewandten Verfahren, die Metallgüsse während des Erstarrens zu pressen, gab das eben beschriebene, bei welchem man leicht den Druck auf zwölfhundert Atmosphären steigern kann, die besten Resultate, während es sich außerdem durch Einfachheit und Bequemlichkeit der Anwendung empfiehlt. Ebenso wie es in den Essener Werken vorzugsweise für Gußstahl angewendet wird, kann es natürlich auch bei anderen Metallgüssen dienen und wird von der Firma A. Krupp in Berndorff bei Wien beispielsweise mit gleichem Erfolge zur Herstellung von Neusilbergüssen angewandt.

Eine andere im Essener Etablissement erprobte Verwendung der flüssigen Kohlensäure besteht darin, mit ihrer Hülfe die äußeren Ringe von den durch Gebrauch abgenützten Kanonenläufen zu lösen. Sie wird zu diesem Zwecke direct in den Lauf hineingegossen, und entzieht demselben, indem sie sich in Gas verwandelt, so viel Wärme, daß sich das Rohr, in Folge der starken Abkühlung, genügend zusammenzieht, um die einst im glühenden Zustande aufgezogenen Ringe nunmehr mit Leichtigkeit herunterschlagen zu können, sodaß blos das Rohr umgegossen zu werden braucht. In demselben Etablissement wird die flüssige Kohlensäure auch zur Eisbereitung gebraucht, und so haben sich eine Fülle von Verwendungen für einen Stoff ergeben, den man bis vor wenigen Jahren nur in kleinen Mengen, als Rarität, in den chemischen Laboratorien erzeugte, um die in dem oben citirten Artikel beschriebenen physikalischen Experimente damit anzustellen. Seit sie nunmehr, und namentlich durch die Bemühungen von Dr. Raydt, so vielseitige Anwendungen gefunden, wird sie in der gedachten Fabrik so billig fabricirt, daß der berühmte Chemiker Professor A. W. Hofmann in Berlin keinen Anstand zu nehmen brauchte, nahezu einen halben Centner dieses Präparats zur Erläuterung eines Vortrages über „verflüssigte Gase“, den er im Beginn dieses Jahres zum Besten des deutschen Schulvereins gehalten hat, zu verbrauchen.

Carus Sterne.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_634.jpg&oldid=- (Version vom 14.1.2024)